Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber (oder auch der Arbeitnehmer) das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen. Die fristlose Entlassung kann jederzeit ausgesprochen werden. Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf. Es ist aber eine sofortige Reaktion erforderlich.

 

BGer 4A_206/2019 vom 29. August 2019

In BGer 4A_206/2019 vom 29. August 2019 hatte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinanderzusetzen, innert welcher Frist nach Entdeckung eines Vorfalls/Missstandes die fristlose Kündigung ausgesprochen werden werden muss. Sodann hatte sich das Bundesgericht mit Fragen der Vertragsauslegung auseinanderzusetzen.

 

Sachverhalt in BGer 4A_206/2019 vom 29. August 2019

Der Arbeitnehmer (bzw. vor Bundesgericht der Beklagte) war ab dem 1. April 2006 als Co-Chief Executive Officer eingestellt. Der genannte Vertrag mit einer anfänglichen Laufzeit von fünf Jahren war um fünf Jahre über fünf Jahre verlängerbar, sofern er nicht zwölf Monate im Voraus gekündigt wurde. Der Mitarbeiter hatte sich verpflichtet, seine Pflichten mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit auszuüben und die Interessen des Unternehmens in gutem Glauben zu wahren. Gemäss Klausel 3.1 des Arbeitsvertrages betrug das Bruttojahresgehalt des Mitarbeiters Fr. 2’000’000, zuzüglich eines ordentlichen Bonus von Fr. 1’500’000 bei Zielerreichung und eines zusätzlichen Bonus von Fr. 500’000 für jeden Fr. 10’000’000 des über die gesetzten Ziele hinausgehenden Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) des Unternehmens. Artikel 7 des Arbeitsvertrags mit dem Titel „Kündigung“ lautet wie folgt:

“ (…)

7.2 Immediate Termination („Without Notice“). Should this Agreement be terminated without notice during any of the successive Contractual Periods (including the First Contractual Period) (i) for cause (within the meaning of Article 337 of the Swiss Code of Obligations) by the Employee, or (ii) without cause (within the meaning of Article 337 of the Swiss Code of Obligations) by the Company, then the Employee shall be entitled to the benefits provided by Clause 3.3 of this Agreement, and to a lump sum payment including the following components:

  1. d) the salary the Employee should have received until the end of the Contractual Period during which this Agreement is terminated; and
  2. e) an amount corresponding to two times the Employee’s last annual salary; and
  3. f) an additional amount corresponding to two times the average annual ordinary bonus (Clause 3.1 (b) above) received by the Employee during the three-year period preceding the year during which the Agreement is terminated.

Such payment shall be due within sixty (60) days after the termination date.

(…) „.

Durch eine Änderung des Arbeitsvertrages, die am 1. Dezember 2011 in Kraft getreten war, erhöhten die Parteien des Mitarbeiters auf Fr. 2’232’000, zuzüglich Fr. 36’000 als Jahrespauschale für Repräsentationsausgaben, wobei der Jahresbonus weiterhin auf Fr. 1’500’000 festgelegt bleibt.

Später wurde dem Mitarbeiter aufgrund der Verletzung der Pflichten als Geschäftsführer fristlos gekündigt (die Begründung ist in BGer 4A_206/2019 vom 29. August 2019 A.e. zu finden).

 

Ungerechtfertigte fristlose Entlassung

Mit Urteil vom 20. Februar 2018 wurde die Arbeitgeber verurteilt, den Bruttobetrag von Fr. 2’774’380 und die Nettosumme von Fr. 7’917’703 zu zahlen. Das Gericht war der Ansicht, dass eine Treuepflichtverletzung vorliegen würde, die eine sofortige Beendigung rechtfertigt. Obwohl dem Arbeitgeber dieser Kündigungsgrund seit dem 30. Juni 2014 bekannt war, hatte er jedoch bis zum 18. Februar 2015, d.h. mehr als sieben Monate, gewartet, um den Kläger über seine Kündigung mit sofortiger Wirkung zu informieren. Durch die Verzögerung der Antwort hatte die Beklagte somit auf jeden Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsvertrags verzichtet, so dass die Beendigung des Arbeitsvertrags ungerechtfertigt war.

 

Erwägungen des Bundesgericht zur notwendigen sofortigen Reaktion

Das Bundesgericht stützte die kantonalen Gerichte indem es die fristlose Kündigung als verspätet erachtete und machte folgende rechtlichen Ausführungen:

  • Nach der Rechtsprechung muss eine Partei, die den Vertrag mit sofortiger Wirkung kündigen will, unverzüglich handeln, sobald sie von einem wichtigen Grund zur Kündigung Kenntnis erlangt, andernfalls wird ihr das Recht genommen, davon Gebrauch zu machen. Wenn es zu langsam handelt, schlägt es vor, dass es auf die sofortige Entlassung verzichtet hat oder dass es die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum ordentlichen Ablauf des Vertrages akzeptieren kann.
  • Die Umstände des Einzelfalls bestimmen die Frist, innerhalb derer von der betreffenden Person vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie die Entscheidung über die sofortige Kündigung des Vertrages trifft. Generell ist die Rechtsprechung der Ansicht, dass eine Reflexionsfrist von zwei bis drei Arbeitstagen ausreicht, um rechtliche Informationen zu reflektieren und aufzunehmen. Eine zusätzliche Frist wird toleriert, wenn sie durch die praktischen Erfordernisse des täglichen und wirtschaftlichen Lebens gerechtfertigt ist; eine Verlängerung um einige Tage kann somit gewährt werden, wenn die Entscheidung von einem mehrköpfigen Organ innerhalb einer juristischen Person getroffen werden muss oder wenn der Vertreter des Arbeitnehmers gehört werden muss.
  • Es ist auch zu unterscheiden, ob die Fakten klar sind oder geklärt werden müssen. Im letzteren Fall ist der Zeitaufwand für die Klärung des Sachverhalts zu berücksichtigen, wobei festgelegt ist, dass ein Arbeitgeber, der konkret den Verdacht auf das Vorliegen einer gerechten Ursache hat, unverzüglich und kontinuierlich alle Maßnahmen ergreifen muss, die vernünftigerweise von ihm zur Klärung der Situation verlangt werden können. In einigen Fällen kann es notwendig sein, geheime Untersuchungen durchzuführen.
  • Darüber hinaus muss der Arbeitgeber je nach Art des Verdachts (z. B. sexuelle Belästigung) vorsichtig vorgehen und eine Vorstrafe vermeiden.
  • Angesichts der schwerwiegenden Folgen einer sofortigen Kündigung muss der Arbeitgeber in der Lage sein, den Sachverhalt sorgfältig oder zumindest in einer Weise darzulegen, die sich der Überprüfung von Gerichtsverfahren widersetzt, wobei er darauf achten muss, den Ruf des Arbeitnehmers nicht durch vorzeitige Verurteilung zu schädigen.

 

Auslegung der Kündigungsklausel

Ebenfalls war zwischen den Parteien strittig, wie die Klausel in Ziff. 7.2 des Arbeitsvertrages zu verstehen war. Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, dass hier die wichtigen Gründe für eine fristlose Entlassung gegeben seien und es daher nicht darauf ankomme, wann diese ausgesprochen wurde (und dass es auch keine Rolle spielen würde, wenn diese verspätet ausgesprochen werden, da es auf nur auf den Grund ankomme).

Diese Auslegung wurde von den Gerichten verworfen.

„Au demeurant, l’argumentation de la recourante ne résiste pas à l’examen. En effet, la recourante a expressément admis l’allégué 14 de la demande du 22 septembre 2015, rédigé dans les termes suivants: “ Par ailleurs, le contrat prévoit qu’en cas de résiliation immédiate injustifiée par l’employeur, l’employé peut prétendre au paiement d’un montant correspondant aux salaires qui auraient été dus jusqu’à la prochaine échéance contractuelle ordinaire, au paiement d’un montant correspondant à deux fois le dernier salaire annuel et au paiement d’un montant additionnel correspondant à deux bonus annuels calculés sur la base des bonus moyens des trois ans précédant l’année de la résiliation. „Nonobstant ses vaines tentatives de limiter,  a posteriori, la portée cet aveu, l’intéressée ne peut être suivie lorsqu’elle soutient que la réglementation prévue à l’art. 7.2 viserait seulement certains licenciements immédiats injustifiés, à l’exclusion de l’hypothèse d’une résiliation immédiate injustifiée pour cause de tardiveté. Comme l’expose de façon convaincante l’intimé, si la recourante entendait plaider que la réelle et commune intention des parties ne consistait pas à régler les conséquences de toute résiliation immédiate injustifiée au sens de l’art. 337 CO, il lui incombait de l’alléguer et de le prouver, ce qu’elle s’est pourtant gardée de faire. Quoi qu’il en soit, l’interprétation faite par la recourante de la clause 7.2 du contrat n’apparaît nullement convaincante. En tout état de cause, la constatation opérée par la cour cantonale ne saurait être taxée d’arbitraire (Erw. 3.2).

 

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Autor: Nicolas Facincani