Immer wieder sehen sich Arbeitgeber damit konfrontiert, dass Arbeitnehmer unmittelbar nach Erhalt der Kündigung einen Arzt konsultieren und dieser ein Arztzeugnis ausstellt, welches – in zeitlicher Hinsicht auch den Tag der Kündigung umfasst. Dies obwohl der Arbeitnehmer bis zum Empfang der Kündigung ohne Anzeichen von Krankheit gearbeitet hat.

 

Konsequenzen

Nach Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR darf eine Kündigung nicht erfolgen, während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen. Erfolgt die Kündigung während der Sperrfrist, ist sie qualifiziert rechtswidrig und es besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung (vgl. BVGE 2015/45 E. 3; Peter Hänni, Personalrecht des Bundes, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. I/2, 3. Aufl. 2017, Rz. 119 ff;). Der Lohn ist indessen nur geschuldet, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit richtig anbietet.

Ist die Kündigung jedoch vor Beginn einer Sperrfrist erfolgt, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt. Das Ende des Arbeitsverhältnisses verschiebt sich somit nach hinten. Für die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses ist der Lohn aber nur geschuldet, wenn die Arbeit gehörig angeboten wird.

 

Anwendung auf den konkreten Fall

Umfasst das Arztzeugnis auch den Tag der Kündigung, so wäre die Kündigung grundsätzlich nichtig und müsste nach Ablauf der Sperrfrist – um Gültigkeit zu erlangen – wiederholt werden.

Das Arztzeugnis ist somit ein wichtiges Indiz für Arbeitsunfähigkeit. Wird nur eine Krankheit attestiert, so bedeutet das noch nicht automatisch die Arbeitsunfähigkeit. Dem Wortlaut des Arztzeugnisses kommt daher grosse Bedeutung zu. Das Arztzeugnis ist einer von möglichen Beweisen für die Arbeitsunfähigkeit. Es sind aber grundsätzlich andere Beweise möglich.

 

Korrektur der Rechtsprechung

In einigen Fällen, bei denen die nach erfolgter Kündigung einen Arzt aufsuchte, hat die Rechtsprechung korrigierend eingegriffen und festgehalten, dass aufgrund der konkreten Umstände davon auszugehen sei, der Arbeitnehmer sei im Kündigungszeitpunkt selbst noch nicht krank gewesen.

Dabei geht es aber nicht darum, dass es missbräuchlich ist, den Arzt unmittelbar nach der Kündigung aufzusuchen. In den nachfolgenden Entscheiden konnte aber – trotz Arztzeugnissen – nicht bewiesen werden, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Empfangs der Kündigung tatsächlich krank war. Es ist somit jeder Fall separat zu beurteilen und es wäre falsch anzunehmen, dass einem Arztzeugnis, welche unmittelbar nach einer Kündigung ausgestellt wird, per se keine Beweiswirkung betreffend den Zustand des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt entfalten kann.

 

BGer 4A_89/2011 vom 27. April 2011

Im Entscheid BGer 4A_89/2011 vom 27. April 2011 hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Kündigung gültig war trotz Arztzeugnis, welches auf den gleichen Tag unmittelbar nach Empfang der Kündigung ausgestellt wurde.

Im konkreten Fall hatte sich der Arbeitnehmer geweigert, die Kündigung entgegen zu nehmen (die Kündigung gilt dann trotzdem als empfangen) und hatte unmittelbar danach einen Arzt aufgesucht, welcher eine Arbeitsunfähigkeit inklusive dem Tag der Kündigung bescheinigte:

La lettre du 24 octobre 2008, dûment signée, constituait l’avis écrit nécessaire selon les termes du contrat.

La résiliation est une déclaration de volonté soumise à réception, qui produit ses effets seulement lorsqu’elle parvient à l’autre partie (ATF 133 III 517 consid. 3.3 p. 523; 113 II 259 consid. 2a p. 261). Une déclaration de volonté émise sous forme de lettre parvient à son destinataire au moment où elle entre dans la sphère d’influence de celui-ci, d’une manière telle que l’on peut prévoir, selon les usages, qu’il en prendra connaissance (Peter Gauch et al., Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 9e éd., vol. I, n. 199 et 200 p. 38). Un éventuel refus de recevoir la lettre et d’en lire le contenu n’est pas opposable à l’auteur de cet écrit. En l’occurrence, la résiliation est entrée dans la sphère d’influence du demandeur au moment où les collaborateurs désignés par la défenderesse ont voulu la lui remettre et se sont heurtés à un refus. La résiliation est donc intervenue, dans la forme requise, aussi ce même 24 octobre 2008. Le demandeur soutient inutilement que son adverse partie n’a alors procédé qu’à une notification verbale; en particulier, ses dénégations ne suffisent pas à invalider les constatations du Tribunal de prud’hommes fondées sur le témoignage de l’employé A.________, témoignage dont le compte-rendu indique textuellement que la lettre de résiliation a été présentée au demandeur et qu’il a refusé de la contresigner.

Selon l’art. 336c al. 1 let. b CO, l’employeur ne peut pas résilier le contrat de travail pendant une incapacité de travail totale ou partielle résultant d’une maladie ou d’un accident. Sur la base des témoignages, les premiers juges ont constaté que le demandeur a accompli son travail normalement le 24 octobre 2008, sans présenter aucun signe de maladie, jusqu’à son licenciement en début d’après-midi, qu’il s’est plaint de malaise seulement après et qu’il s’est rendu chez le médecin par ses propres moyens. Dans ces circonstances, contrairement à l’argumentation développée par le demandeur, alors même que le médecin consulté a attesté de son incapacité de travail dès le 24 octobre 2008, la résiliation n’est pas intervenue en temps inopportun selon la disposition précitée.

 

Entscheid des Arbeitsgerichts Zürich, Entscheide 2010, Nr. 17

«Entsprechend dem üblichen Zeitablauf hat die Klägerin die Kündigung vom 18. Februar 2008 am 19. Februar 2008 erhalten. Gleichentags stellte der Arzt das ärztliche Zeugnis mit einer Arbeitsunfähigkeit ab 18. Februar 2008 aus. Da es sich bei einer Kündigung um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, ist im Kontext der Frage der Nichtigkeit der Kündigung weniger bedeutsam, ob die Klägerin am 18. Februar 2008 bereits krank gewesen ist; entscheidend ist vielmehr, ob sie im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung, mithin am 19. Februar 2008 arbeitsunfähig war.

Dass die Klägerin im Zeitpunkt der Konsultation des Arztes arbeitsunfähig gewesen ist, darf aufgrund des ehedem ausgestellten ärztlichen Zeugnisses und der ergänzenden Auskünfte des Arztes als erwiesen erachtet werden: Im Rahmen dieser Konsultation konnte der Arzt aufgrund eines persönlichen Eindruckes die starke Nervosität, die emotionale Labilität und Unruhe feststellen, wobei er ergänzend, naheliegenderweise für eine psychische Erkrankung, auf die Angaben der Klägerin abzustellen hatte. Wenn er daher für den Zeitpunkt der Konsultation und ein paar anschliessende Tage die Klägerin für arbeitsunfähig erklärt hat, ist das nachvollziehbar.

Anders liegen die Verhältnisse für die Zeit vor der Konsultation des Arztes vom 19. Februar 2008 um 11:00 Uhr, für welche der Arzt einzig auf die Angaben der Klägerin abstellen konnte. Erklärtermassen hat die Klägerin die Kündigung am gleichen Tag erhalten. Damit ist es vorstellbar, dass ihr diese Kündigung – ungeachtet ihrer gegenteiligen Angaben – vor dem Arztbesuch zugegangen ist. Vorstellbar ist auch, dass der Erhalt der Kündigung die Klägerin überhaupt erst in einem Masse belastet hat, das die anschliessende Attestierung einer Arbeitsunfähigkeit zufolge starker Nervosität rechtfertigen konnte. Mit dem ärztlichen Zeugnis und der ergänzenden Auskunft kann deshalb eine Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Empfanges der Kündigung nicht als erstellt erachtet werden.

Ein allerdings schwaches Indiz für eine bereits am Vortag eingetretene Arbeitsunfähigkeit zufolge Krankheit stellt der Umstand dar, dass die Klägerin bereits an diesem Montag nicht mehr zur Arbeit erschienen ist. Weiter hat die Beklagte jedenfalls im Rahmen der Lohnabrechnung Februar 2008 das ärztliche Zeugnis noch anerkannt:

Sie vergütete der Klägerin Taggelder im Gesamtbetrag von Fr. 1’180.30, was genau den 10 Krankheitstagen (1.– 5. und 18.–22. Februar: Fr. 4’500.–/Mt. x 12 Mt. : 366 Kalendertage x 80% = Fr. 118.03 Taggeld) entspricht.»

Mangels Angaben der Parteien (bezüglich der Track and Trace-Nummer der Post) konnte nicht festgestellt werden, wann genau die Klägerin das Kündigungsschreiben abgeholt hatte.

«Im Ergebnis ist demnach offen, ob die Klägerin im Zeitpunkt des Empfangs des Kündigungsschreibens bereits krank gewesen ist oder ob allenfalls erst die Kenntnisnahme der Kündigung die Gesundheit der Klägerin mit Krankheitswert beeinträchtigt hat. Es ist mit anderen Worten nicht erstellt, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung krank gewesen ist mit der Folge, dass die Kündigung sich als nichtig erwiese. Die Lohnzahlungspflicht der Beklagten endet daher mit Ablauf der Kündigungsfrist Ende März 2008.»

 

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Autor: Nicolas Facincani