Das Bundesgericht hatte im Entscheid BGer 4A_261/2022 im Zusammenhang mit einer Lohnforderung und der Arbeitstätigkeit die Beweislage zu beurteilen. Dabei erwog es, dass es der Arbeitgeberin obliegt zu beweisen, welchen Tätigkeiten der Arbeitnehmer nachgeht. Der Arbeitgeber machte im Wesentlichen geltend, er habe den vollen Lohn für drei Monate zugute, während dem die Arbeitgeberin der Ansicht war, die drei Löhne seien auf einer vorzunehmenden Schlussrechnung aufgrund der Leistungen des Arbeitnehmers im Resultat nicht geschuldet. Es hätte nämlich ein negativer Schlusssaldo resultiert.

 

Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt und Instanzenzug zugrunde:

B. (fortan: Arbeitnehmer) war bei der A. SA (fortan: Arbeitgeberin) als Versicherungsberater angestellt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis per 31.08.2018. Der Arbeitnehmer erachtete die Kündigung als missbräuchlich woraufhin er eine entsprechende Entschädigung sowie die Bezahlung der Sozialversicherungsabgaben, den Lohn für drei Monate und Spesen einklagte. Die Arbeitgeberin bestritt die Missbräuchlickeit, begründete die Kündigung mit dem Nichterreichen von Zielen und machte ihrerseits (widerklageweise) andere Forderungen geltend.

Der Pretore in Locarno wies die Klage ab und hiess die Widerklage teilweise gut. Die zweite Zivilkammer des Appellationsgerichts des Kantons Tessin hiess die Berufung teilweise gut, da die Arbeitgeberin nicht im Einzelnen erläutert hatte, wie sie die in der von ihr eingereichten Abrechnung enthaltenen Zahlen berechnet hatte.

Für das Appellationsgericht war es Sache des Arbeitgebers, die vom Arbeitnehmer im Jahr 2018 ausgeübten Tätigkeiten nachzuweisen (welche zu einem negativen Schlusssaldo geführt hätten), weshalb dies weitere Unterlagen einforderte, um seinen Lohn zu berechnen. Diesem Begehren kam die Arbeitgeberin nicht nach (E.5.2: „[…] la ricorrente non ha prodotto i documenti a lei richiesti dal giudice […]„). Mit Beschwerde in Zivilsachen rügte die Arbeitgeberin eine Verletzung von Bundesrecht, da sie die Forderungen (Lohnforderungen für drei Monate) des Arbeitnehmers wirksam bestritten habe, womit ihrer Ansicht nach die drei vom Arbeitnehmer geforderten monatlichen Zahlungen auf der Grundlage des Lohnausweise für 2017 nicht fällig gewesen seien. Dem Arbeitnehmer wäre nur der per Jahresende berechnete Betrag zugestanden (Saldo). Da dieser Betrag negative gewesen sei, sei kein Lohn geschuldet (mit Hervorhebungen):

„Ad 4-5: contestati

(…) Discorso analogo riguarda la pretesa del salario per i mesi fino al licenziamento: come visto sopra, quanto percepito dal signor B.________ mensilmente non rappresenta un salario, bensì un anticipo sulla cifra effettivamente dovuta, definita alla fine dell’anno nel conteggio finale (doc. A, art. 23-27; doc. B, art. 10 e 15). Di conseguenza, non sono dovute 3 mensilità di anticipi, come vorrebbe l’attore, bensì il saldo del conteggio al 31 agosto 2018: come emerge infatti dal doc. 9, quest’ultimo è stato calcolato sulla base dei pro rata, precisamente come indicato dal contratto di lavoro all’art. 16 (cfr. doc. 9 e doc. B, art. 16). Siccome il conteggio al 31 agosto 2018 risulta negativo, nulla è dovuto“.

Übersetzt: „Zu 4-5: bestritten

(…) Das Gleiche gilt für die Lohnforderung für die Monate bis zur Entlassung: Wie oben dargelegt, handelt es sich bei dem, was Herr B. monatlich erhielt, nicht um einen Lohn, sondern um einen Vorschuss auf den tatsächlich geschuldeten Betrag, der am Ende des Jahres in der Endabrechnung festgelegt wurde (Dok. A, Art. 23-27; Dok. B, Art. 10 und 15). Folglich sind nicht drei Monatsvorschüsse fällig, wie der Kläger möchte, sondern der Saldo der Abrechnung zum 31. August 2018: Wie aus Dok. 9 hervorgeht, wurde letzterer auf der Grundlage von anteiligen Zahlungen berechnet, genau wie im Arbeitsvertrag in Art. 16 festgelegt (siehe Dok. 9 und Dok. B, Art. 16). Da die Berechnung zum 31. August 2018 negativ ausfällt, ist nichts fällig“.

Das Appellationsgericht habe zudem weitere Unterlagen – zur Bestimmung des Lohnes des Arbeitnehmers – beschafft, was nicht notwendig gewesen wäre, denn die Arbeitgeberin habe bereits die Lohnforderung bestritten (E. 5.1). Die Höhe der Beträge wären indes unstrittig und es obliege dem Arbeitnehmer in seiner Klageantwort seine Lohnforderung zu spezifizieren. Dies verletzte Art. 8 ZGB sowie Art. 55 und 221 ZPO.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht machte zunächst allgemeine Ausführungen zu Art. 55 ZPO. Dieser lautet wie folgt:

1 Die Parteien haben dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzugeben.

2 Vorbehalten bleiben gesetzliche Bestimmungen über die Feststellung des Sachverhaltes und die Beweiserhebung von Amtes wegen.

Zum einen muss der Kläger die konkreten Tatsachen, die seinen Anspruch begründen, hinreichend genau darlegen, damit die Gegenpartei angeben kann, welche Umstände sie bestreitet oder ihren Gegenbeweis erbringt; zum anderen ist der Kläger, wenn der Beklagte Tatsachen bestreitet, verpflichtet, den Inhalt der Behauptung jeder der bestrittenen Tatsachen näher darzulegen, damit das Gericht die zu ihrer Klärung erforderlichen Beweise erheben und die Regel des materiellen Rechts auf den konkreten Fall anwenden kann. Wenn der Kläger eine Behauptung aufgestellt und hinreichend begründet hat, muss der Beklagte diese Behauptung in präziser und begründeter Weise bestreiten. Andernfalls gilt die Behauptung des Klägers als unbestritten (bzw. anerkannt oder zugelassen), mit der Folge, dass sie nicht bewiesen werden muss.

Im konkreten Fall bestätigte das Bundesgericht die Auffassung des Appellationsgericht (E.5.1.2: „Nella fattispecie la sentenza impugnata resiste alla critica.“) Der Arbeitnehmer hatte seine Lohnforderungen gestützt auf die von der Arbeitgeberin ausgestellten Lohnausweise für 2017 sowie weiteren Dokumenten, welche der Pretor als Urkunde zuliess, geltend gemacht. In der Klageantwort bestritt die Arbeitgeberin die Forderungen und legte ihrerseits andere – vom Arbeitnehmer abweichende – Dokumente vor. Die Arbeitgeberin erläuterte jedoch nicht wie sie zu diesen Zahlen gekommen wäre (E.5.1.2: „Nella risposta la ricorrente ha in sostanza contestato i crediti salariali dell’attore ed esposto una stima diversa degli stessi, rinviando al conteggio da lei elaborato (doc. 9) e all’art. 16 del contratto. L’interessata, tuttavia, non ha spiegato nel dettaglio come aveva calcolato le cifre inserite in quel conteggio.“) Der Verweis der Arbeitgeberin in ihrer Klageantwort auf dieses Dokument sei daher ungenügend, da sie ihre Aussage nicht so präzisiere oder kommentiere, dass die darin enthaltenen Angaben leicht verständlich seien, ohne dass sie interpretiert oder recherchiert werden müssten (5.1.2: „Il rinvio della ricorrente nella risposta a quel documento non era pertanto sufficiente, giacché essa non ha precisato, né commentato il suo conteggio in modo tale da poter capire facilmente i dati in essa contenuti, senza doverli interpretare o ricercare.“)

 

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Autoren: Nicolas Facincani Matteo Ritzinger

 

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