Das Arbeitsgericht Zürich hatte sich im Entscheid AN990798 vom 18. August 2000 (ZR 2001 Nr. 87 = JAR 2002 S. 165) mit der gegen eine Arbeitnehmerin ausgesprochenen fristlosen Kündigung auseinanderzusetzen. Die Klägerin (Arbeitnehmerin), wohnhaft in Zürich, arbeitete seit 1. Juni 1999 für die Beklagte (Arbeitgeberin) in deren Zürcher Filiale. Am 28. September 1999 wurde ihr mitgeteilt, dass die Zürcher Filiale auf Ende Monat geschlossen werde. Am 30. September 1999 wurde der Klägerin ein Kündigungsschreiben übergeben. Dies war auch ihr letzter Arbeitstag. Die Klägerin fordert den Lohn für die Kündigungsfrist. Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, dass die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, während der Kündigungsfrist in ihrer Filiale in Gais zu arbeiten und sprach die fristlose Kündigung aus, als die Klägerin dies verweigerte. Im schriftlichen Arbeitsvertrag war als Arbeitsort ausschliesslich Zürich erwähnt.

 

Vertragliche Vereinbarung über den Arbeitsort

Dass im Arbeitsvertrag ausschliesslich Zürich als Arbeitsort erwähnt war, bedeutet, dass die Parteien bezüglich des Arbeitsortes eine vertragliche Vereinbarung getroffen haben und damit diese Frage der in Art. 321d OR statuierten Weisungsbefugnis der Arbeitgeberin grundsätzlich entzogen wurde:

Ein anderer Arbeitsort wäre nur dann in Frage gekommen, wenn sich die Parteien mittels Vertragsänderung darauf geeinigt hätten. Kann keine Einigung erzielt werden, steht der Arbeitgeberin nur noch die Änderungskündigung offen, wobei die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist einzuhalten ist (Brühwiler, a.a.O., N. 2b zu Art. 335).

 

Anderer Arbeitsort aufgrund der Treuepflicht?

Das Arbeitsgericht hielt aber fest, dass unter dem Gesichtspunkt der Treuepflicht von Art. 321a OR  eine Arbeitnehmerin dennoch gehalten sein könne, bei dringlichen betrieblichen Bedürfnissen ihren Arbeitsplatz an einen anderen Ort zu verlegen:

Dies jedoch nur, wenn es ihr zuzumuten ist. Bei der Frage der Zumutbarkeit ist auf die konkreten Umstände abzustellen und es sind namentlich die Länge des Arbeitsweges und die Mehrkosten, aber z.B. auch die Erfüllung familiärer Pflichten zu berücksichtigen (Brühwiler, a.a.O., N. 2c zu Art. 321 OR, N. 3 zu Art. 321d OR).

 

Keine Zumutbarkeit des Wechsels des Arbeitsortes im konkreten Fall

Das Arbeitsgericht Zürich verneinte, dass es im konkreten Fall für die Arbeitnehmerin zumutbar gewesen wäre, den Arbeitsort von Zürich nach Gais zu verlegen. Angesichts des täglichen Arbeitsweges von insgesamt vier Stunden hätte auch eine Arbeitszeitreduktion von einer Stunde nichts daran geändert, dass der Klägerin massiv weniger Zeit für die Betreuung ihrer Tochter zur Verfügung gestanden hätte. Insofern verneinte das Arbeitsgericht auch ein Verletzung der Treuepflicht durch die Arbeitnehmerin. Die fristlose Entlassung war somit ungerechtfertigt:

Es mag sein, dass die Filiale in Zürich für die Beklagte nicht mehr rentabel war und aus betriebswirtschaftlicher Sicht geschlossen werden musste. Dieser Umstand stellt aber ein klassisches unternehmerisches Risiko dar, welches von der Arbeitgeberin zu tragen ist und bedeutet keineswegs automatisch, dass die Arbeitnehmerin an einem anderen, als dem vertraglich verabredeten Ort zu arbeiten hat. Dies gilt auch dann, wenn der Klägerin bereits vor der Anstellung mitgeteilt worden sein sollte, dass die Zürcher Filiale nur ein Versuch sei und möglicherweise geschlossen werden müsse.

Dass es für die Beklagte von dringendem betrieblichem Interesse war, die Klägerin nach der Schliessung der Zürcher Filiale in Gais einsetzen zu können, wurde von der Beklagten nicht behauptet. Es ist davon auszugehen, dass keine dringlichen betrieblichen Bedürfnisse für den Wechsel des Arbeitsortes vorlagen.

Angesichts des täglichen Arbeitsweges von insgesamt vier Stunden hätte auch eine Arbeitszeitreduktion von einer Stunde nichts daran geändert, dass der Klägerin massiv weniger Zeit für die Betreuung ihrer Tochter zur Verfügung gestanden hätte. Und selbst wenn die zeitliche Einbusse voll hätte kompensiert werden können, wäre es der Klägerin unmöglich gewesen, im Bedarfsfall innert nützlicher Frist bei ihrem Kind zu sein. Die Ausübung der mütterlichen Pflichten für die Klägerin wäre erheblich erschwert worden. Der Arbeitsort Gais war der Klägerin nicht zuzumuten, weshalb sie sich weigern durfte, dort zur Arbeit zu erscheinen. Die fristlose Entlassung war nicht gerechtfertigt.

 

Weitere Beiträge zur Treuepflicht:

 

Autor: Nicolas Facincani

 

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