Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen. Die fristlose Entlassung kann jederzeit ausgesprochen werden (siehe hierzu etwa den Beitrag Beurteilung einer fristlosen Entlassung).

Nach der Rechtsprechung ist eine fristlose Entlassung ist nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt, welche:

  • objektiv geeignet sind, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zuzumuten ist, und
  • auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben.

Das Gericht hat ein freies Ermessen bei der Prüfung, ob bei einer fristlosen Kündigung wichtige Gründe vorlagen (Art. 337 Abs. 3 OR) – eine sofortige Reaktion des Kündigenden ist verlangt, sobald die konkreten Umstände bekannt sind (siehe hierzu den Beitrag Sofortige Reaktion bei fristloser Kündigung).

Bei Kaderangehörigen gilt ein strengerer Massstab (BGE 130 III 28: Pra 93 115, BGE 127 III 86: Pra 90 84 [missbräuchliche Kündigung]). Bei der Gewichtung einer Pflichtverletzung ist bei Kaderpersonen aufgrund des ihnen entgegenbrachten besonderen Vertrauens und der Verantwortung, welche ihnen ihre Funktion im Betrieb verleiht, ein strengerer Massstab anzulegen (BGE 130 III 28 E. 4.1 S. 31; Urteil 4A_349/2017 vom 23. Januar 2018 E. 4.2) (siehe hierzu etwa den Beitrag rechtliche Grundlagen einer fristlosen Entlassung).

 

Urteil BGer 4A_296/2020 vom 6. August 2020

Im Entscheid BGer 4A_296/2020 vom 6. August 2020 hatte sich das Bundesgericht mit der fristlosen Kündigung eines Küchenchefs auseinanderzusetzen. Es lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Arbeitnehmer arbeitete ab dem 3. Juni 2017 als Küchenchef in einem Hotel der Arbeitgeberin. Am 29. Januar 2018 sprach die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer die fristlose Kündigung aus, nachdem er am Freitagabend 26. Januar 2018 seinen Arbeitsplatz während laufendem Service verlassen hatte. Die kantonalen Gerichte erachteten die fristlose Kündigung als ungerechtfertigt und verteilten die Arbeitgeberin zur Bezahlung von netto CHF 11’784.40 nebst 5 % Zins seit 1. April 2018.

Die Arbeitgeberin erhob dagegen Beschwerde an das Bundesgericht.

 

Fragen von grundsätzlicher Bedeutung?

Da es sich um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit handelte, war die Beschwerde in Zivilsachen nur zulässig, sofern der Streitwert mindestens CHF 15’000 beträgt (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Vorliegend betrug der Streitwert CHF 11’786.40, womit der vorausgesetzte Mindestbetrag nicht erreicht war.

Erreicht der Streitwert den erforderlichen Betrag nicht, ist die Beschwerde in Zivilsachen unter anderem dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist nur zurückhaltend anzunehmen. Sie liegt vor, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen (BGE 144 III 164 E. 1 S. 165; 141 III 159 E. 1.2 S. 161; 137 III 580 E. 1.1 S. 582 f.; je mit Hinweisen). Die Anwendung rechtsprechungsgemässer Prinzipien auf einen Einzelfall stellt keine Grundsatzfrage dar. Der blosse Umstand, dass die aufgeworfene Rechtsfrage noch nie entschieden wurde, genügt nicht. Es muss sich um eine Rechtsfrage handeln, deren Entscheid für die Praxis wegleitend sein kann und die von ihrem Gewicht her nach einer höchstrichterlichen Klärung ruft (BGE 143 II 425 E. 1.3.2 S. 428; 141 II 14 E. 1.2.2.1 S. 21; 138 I 143 E. 1.1.2 S. 147).

 

Einmaliges unentschuldigtes Verlassen genügend für fristlose Kündigung

Die Arbeitgeberin machte vor Bundesgericht geltend, es würden sich gleich zwei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen. Einerseits gelte es zu klären, wie viel Aufwand eine Arbeitgeberin zu betreiben habe, um einen Arbeitnehmer, der sich unentschuldigt vom Arbeitsplatz entfernt habe, zu kontaktieren bzw. ob der Versuch, ihn zu kontaktieren, ausreichend sei. Andererseits müsse höchstrichterlich die Frage entschieden werden, ob das unentschuldigte einmalige Verlassen des Arbeitsplatzes eines leitenden Angestellten eine schwere Pflichtverletzung darstelle, die eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen vermöge.

 

Einzelfall massgebend

Das Bundesgericht führte aus, nach der Rechtsprechung zu Art. 337 OR sei eine fristlose Kündigung durch die Arbeitgeberin nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Diese müssen einerseits objektiv geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist, und anderseits auch tatsächlich dazu geführt haben. Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein (BGE 142 III 579 E. 4.2 S. 579; 130 III 28 E. 4.1 S. 31, 213 E. 3.1 S. 220 f.).

Die Treuepflicht des Arbeitnehmers (Art. 321a Abs. 1 OR) gilt für leitende Angestellte in erhöhtem Masse, weshalb eine Verletzung dieser Pflicht durch solche Angestellte schwerer wiegt (BGE 130 III 28 E. 4.1 S. 31; 127 III 86 E. 2c S. 89; 104 II 28 E. 1 S. 29 f.; Urteil 4A_349/2017 vom 23. Januar 2018 E. 4.2). Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwelle erreicht, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (BGE 142 III 579 E. 4.2 S. 580; 127 III 153 E. 1a S. 155; zit. Urteil 4A_349/2017 E. 4.2).

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Frage, wie bei einem leitenden Angestellten das unentschuldigte Verlassen des Arbeitsplatzes zu beurteilen ist, nicht unabhängig vom konkreten Einzelfall beurteilt werden kann. Dies gelte erst recht auch für die erste von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage. Es kann offensichtlich nicht abstrakt festgelegt werden, welchen Aufwand die Arbeitgeberin zu betreiben hat, um einen Arbeitnehmer, der sich unentschuldigt vom Arbeitsplatz entfernt hat, zu kontaktieren.

 

Nichteintreten

Das Bundesgericht stellte klar, dass die die Anwendung rechtsprechungsgemässer Prinzipien auf einen Einzelfall keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG darstelle. Die Arbeitgeber zeigt somit keine konkrete Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, an deren höchstrichterlicher Klärung ein allgemeines und dringendes Interesse bestünde, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung der massgebenden Bestimmungen herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen. Damit sei die Beschwerde an das Bundesgericht unzulässig.

 

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Autoren: Nicolas Facincani