Das Verwaltungsgericht Zürich hatte sich im Urteil VB.2021.00760 vom 12. Mai 2022 mit der Zulässigkeit der Öffnung von Verkaufsläden an Sonntagen zu befassen:

Das Konzept der Ladenbetreibers sah vor, dass die Filiale an der F-Strasse 01 in G sonntags „zu den regulären Ladenöffnungszeiten, sprich von 08.00 bis um 20.00 Uhr“ geöffnet und während dieser Zeit „nur von einer Sicherheitsperson bewacht“ ist. Verkaufspersonal war keines anwesend und der mit der Überwachung des Betriebs betrauten Sicherheitsfachkraft sind folgende Arbeiten explizit untersagt:

„Verkaufstätigkeiten wie einkassieren, einräumen von Regalen oder Wahrnehmung von Kundenberatung“, „Nachfüllen von Verbrauchsmaterial (z. B. Kassenrollen)“, „Inbetriebnahme oder Reinigung der Kaffeemaschinen“, „Kontrolle der Einhaltung der Massnahmen bzgl. der COVID-19 Pandemie“ sowie „Durchführung von Taschenkontrollen bei Kunden“. Die Regale wurden, soweit möglich, am Vortrag befüllt und die Abwicklung des Verkaufs bzw. die Bezahlung erfolgt mittels Self-Checkout-Kassen. Brot und Backwaren wurden am Sonntagmorgen durch Mitarbeitende einer Filiale der Mitbeteiligten im Zürcher Hauptbahnhof angeliefert und in die Regale geräumt.

Gemäss dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (AWA) war dieses Vorgehen aufgrund des Arbeitsgesetzes zulässig. Dagegen liess die Gewerkschaft UNIA an die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich rekurrieren.

 

Zur Sonntagsarbeit

Nach Art. 18 Abs. 1 ArG ist die Beschäftigung von Arbeitnehmenden in der Zeit zwischen Samstag, 23.00 Uhr, und Sonntag, 23.00 Uhr, untersagt; Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit sind möglich, bedürfen jedoch grundsätzlich der Bewilligung (Art. 19 Abs. 1 ArG). So wird etwa dauernde oder regelmässig wiederkehrende Sonntagsarbeit im Einzelfall bewilligt, wenn sie aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unentbehrlich ist (Art. 19 Abs. 2 und Abs. 4 ArG). Bestimmte Gruppen von Betrieben oder Arbeitnehmenden können zudem auf dem Verordnungsweg pauschal vom Sonntagsarbeitsverbot bzw. der entsprechenden Bewilligungspflicht ausgenommen und Sonderbestimmungen unterstellt werden, soweit dies mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse notwendig erscheint.

Von dieser Möglichkeit hat der Bundesrat unter anderem für das „Bewachungs- und Überwachungspersonal“ in Art. 45 der Verordnung 2 vom 10. Mai 2000 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2, SR 822.112) Gebrauch gemacht. Danach dürfen mit Bewachungs- und Überwachungsaufgaben betraute Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne behördliche Bewilligung ganz oder teilweise am Sonntag beschäftigt werden (Art. 45 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 ArGV 2). Zu den betreffenden Aufgaben zählen nach der Wegleitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) zum Arbeitsgesetz und zu den Verordnungen 1 und 2 „insbesondere die Bewachung von Örtlichkeiten, Gebäuden, Personen und Gegenständen sowie Einsätze in der Verkehrslenkung und -überwachung, im Ordnungsdienst oder bei Veranstaltungen (z. B. Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Konzerten)“, wobei es sich hierbei um die Haupttätigkeit der am Sonntag beschäftigten bzw. zu beschäftigenden arbeitnehmenden Personen handeln muss (SECO, Arbeitsgesetz – Wegleitung zum Gesetz und zu den Verordnungen 1 und 2 [Wegleitung SECO]).

Unmittelbar aus Art. 27 ArG ergibt sich sodann namentlich, dass in Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben in Bahnhöfen, welche auf Grund des grossen Reiseverkehrs Zentren des öffentlichen Verkehrs sind, sowie in Flughäfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sonntags beschäftigt werden dürfen (Abs. 1ter; vgl. auch § 26a Abs. 2 ArGV 2).

 

Das Verwaltungsgericht zum „unmanned store“

Das Verwaltungsgericht anerkannte (Urteil VB.2021.00760 vom 12. Mai 2022), dass wichtige Sicherheitsaufgaben (Bewachungsbetrieb) gestützt auf Art. 27 Abs. 1 ArG in Verbindung mit Art. 45 ArGV 2 von arbeitnehmenden Personen grundsätzlich auch am Sonntag wahrgenommen werden dürfen und die Mitbeteiligte in Anwendung von Art. 27 Abs. 1ter ArG in der im Hauptbahnhof gelegenen Filiale sonntags selbst Verkaufspersonal beschäftigen darf. Der sonntägliche Einsatz dieser Kategorien von Arbeitnehmenden in der Filiale an der F-Strasse 01 gemäss dem aktuellen Konzept eines „unmanned store“ der Mitbeteiligten führe jedoch zu einer unzulässigen Überdehnung des Anwendungsbereichs der vorstehenden Ausnahmebestimmungen bzw. einer Aufweichung des geltenden Sonntagsarbeitsverbots:

3.3 […] So müssen die nach Art. 27 Abs. 1ter ArG vom Sonntagsarbeitsverbot ausgenommenen Angestellten von Dienstleistungsbetrieben in einem Zentrum des öffentlichen Verkehrs wie dem Hauptbahnhof Zürich für die Sicherstellung der Geschäftstätigkeit gerade dieses Betriebs eingesetzt werden und nicht eines solchen ausserhalb des Bahnhofsareals. Es geht nicht an, dass die Mitbeteiligte Angestellte, welche aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse am Sonntag ausnahmsweise einer unselbständigen Beschäftigung für sie nachgehen dürfen, beliebig auch in anderen Betrieben einsetzt, deren besondere Verhältnisse keine Abweichungen von den gesetzlichen Arbeits- und Ruhezeitvorschriften erlauben. Dass die „betroffenen“ Arbeitnehmenden am Sonntag ohnehin einer Arbeit nachgehen, ändert an dieser Einschätzung nichts. Soweit sich die Mitbeteiligte in diesem Zusammenhang auf die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) beruft und argumentiert, ein Verbot des Einsatzes „betriebsfremder“ Angestellter sei unverhältnismässig, da ein solcher den Schutz der Arbeitnehmenden nicht beeinträchtige, ist (nochmals) darauf hinzuweisen, dass der Bundesgesetzgeber das in Art. 18 ArG statuierte Verbot der Sonntagsarbeit zwar unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips nicht absolut statuiert hat, Ausnahmen jedoch nur in engem Rahmen zulässt. Sonderbestimmungen für eine Branche oder bestimmte Berufe nach Art. 27 ArG etwa sind nur zu erlassen, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf deren besondere – berufsgruppen- oder branchenspezifische – Situation unumgänglich ist (Wegleitung SECO, Art. 27 ArG; ferner BVGr, 18. September 2009, B-771/2009, E. 4.2 mit Hinweisen). Der Wertungsentscheid des Bundesgesetzgebers kann somit nicht im Einzelfall durch die Berufung auf das Verhältnismässigkeitsprinzip korrigiert werden. Zu beachten ist denn auch, dass die Mitbeteiligte gegenüber ihren Wettbewerbsteilnehmerinnen und -teilnehmern ohne Personal, das an Sonntagen (andernorts) beschäftigt werden darf, bevorzugt behandelt würde, wenn man ihr gestattete, das am Hauptbahnhof tätige Personal auch in anderen Filialen ausserhalb des Bahnhofsareals einzusetzen (vgl. BGE 125 I 431 E. 4).

Der sonntägliche Einsatz von Überwachungspersonal im Sinn von Art. 45 ArGV 2 wiederum muss mit Blick auf den damit verfolgten Zweck aufgrund eines (auch) an diesem Wochentag für die zu be- bzw. überwachenden Örtlichkeiten, Personen oder Gegenstände ohnehin drohenden Sicherheitsrisikos geboten sein. Die streitgegenständliche Filiale der Mitbeteiligten kann indes – wie die Beschwerdeführerin zu Recht einwendet – jedenfalls nach dem aktuellen Konzept (im Gegensatz zu den in … genannten Konzepten) am Sonntag überhaupt nur dank der Anwesenheit bzw. Arbeit des (externen) Sicherheitspersonals betrieben werden. Hätte die Filiale sonntags nicht geöffnet, müsste die Mitbeteiligte dort auch kein Sicherheitspersonal ausserhalb der allgemeinen Grenzen des Arbeitsgesetzes einsetzen. Laut dem eingereichten Betriebskonzept der Mitbeteiligten besteht die Haupttätigkeit der Sicherheitsperson nämlich darin, am Eingang des Verkaufsgeschäfts stehend die Kunden an der Bezahlstation zu überwachen sowie „ungebetene“ Kunden abzuweisen und auf der Ladenfläche Kontrollen im Sinn einer Ladenüberwachung durchzuführen. Darüber hinaus kommen ihr diverse sogenannte „Unterstützungs“- und „Pflege“-Aufgaben zu. Konkret hat das Sicherheitspersonal zu Beginn bzw. Ende seiner Schicht das Licht und den Alarm ein- bzw. auszuschalten, den Haupteingang und die Rollladen der Kühlgeräte zu öffnen bzw. zu schliessen, die „Geöffnet-Stelle“ und den Papierkorb vor die Filiale zu stellen bzw. am Abend wieder zu verstauen, an der Kasse liegen gebliebene Produkte in die Auslage zurückzulegen, zur Verhütung von Unfällen kleinere Reinigungsarbeiten im Laden vorzunehmen sowie kleinere Reinigungsarbeiten vor dem Haupteingang durchzuführen. Das Konzept enthält weiter einen Katalog mit möglichen Fragen von Kunden und den passenden Antworten der Sicherheitsperson.

3.4 Die Mitbeteiligte [Migros] vermag sich demnach im Zusammenhang mit dem sonntäglichen Betrieb ihrer Filiale an der F-Strasse 01 in G nicht auf Art. 27 Abs. 1ter ArG und Art. 27 Abs. 1 ArG in Verbindung mit Art. 45 ArGV 2 zu berufen, erscheint die strittige sonntägliche Beschäftigung von Angestellten in der betreffenden Filiale doch weder unter Rücksicht auf deren Standort noch die dort – unabhängig vom angestrebten Einsatz von Sicherheitspersonal – vorherrschende sicherheitsrelevante Situation unumgänglich. Das Interesse an der Ausnahme des genannten Betriebs vom allgemeinen Sonntagsarbeitsverbot beruht vielmehr einzig auf Überlegungen, welche nach dem Bundesgesetzgeber keine solche Sonderbehandlung rechtfertigen.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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