Dem Streitwert einer Klage kommt in verschiedener Hinsicht Bedeutung zu. So kann er etwa für die sachliche Zuständigkeit (Einzelgericht, Kollegialgericht, ect.) oder die Verfahrensart (einfaches oder ordentliches Verfahren) relevant sein. Auch die Höhe der Gerichtskosten und Parteientschädigungen hängen vom Streitwert ab. Ebenso wird die Frage, ob ein Verfahren kostenlos ist, zum Teil aufgrund des Streitwerts entschieden.

 

BGer 8C_553/2022 vom 13. Januar 2023

Im Entscheid BGer 8C_553/2022 vom 13. Januar 2023 stellte sich die Frage, welcher Streitwert einem Arbeitszeugnis beizumessen ist, dies im Zusammenhang mit der Frage, ob die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig war.

E 1.2. Die Schätzung des Wertes eines Arbeitszeugnisses ist regelmässig schwierig (vgl. Urteil 4A_2/2019 vom 13. Juni 2019 E. 7 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 74 II 43). Im Urteil 8C_151/2010 vom 31. August 2010 (teilweise publiziert in: ARV 2010 S. 265) setzte sich das Bundesgericht eingehend mit der bisherigen Rechtsprechung und der Doktrin zur Streitwertbemessung bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Arbeitszeugnissen auseinander (vgl. E. 2 des zitierten Urteils). Es wies darauf hin, dass in einem älteren Entscheid die Erschwerung der beruflichen Zukunft der Arbeitnehmenden als allgemeiner Bewertungsgrundsatz herangezogen wurde (BGE 74 II 43). Weiter seien die von den kantonalen Behörden gewählten Bewertungskriterien, wie die berufliche Stellung der Arbeitnehmenden, die bisher ausgeübten Funktionen, die Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie das Gehalt, als relevant betrachtet worden (vgl. Urteil 1C_195/2007 vom 17. Dezember 2007 E. 3). Es kam zum Schluss, dass der Wert eines Arbeitszeugnisses nicht losgelöst vom konkreten Fall auf einen Bruchteil oder ein Mehrfaches des Monatslohnes festgesetzt werden könne (vgl. E. 2.8 des zitierten Urteils; vgl. auch Urteil 4A_45/2013 vom 6. Juni 2013 E. 4.3). Präzise Kriterien zur Bestimmung des Streitwertes nannte es aber nicht, was bisweilen für Kritik in der Lehre sorgt (vgl. etwa OLIVIER SUBILIA, Quelle valeur litigieuse pour un certificat de travail, in: SZZP 6/2011, S. 511).

 

BGer 4A_45/2013 vom 6. Juni 2013

Bereits im Entscheid BGer 4A_45/2013 vom 6. Juni 2013 hatte das Bundesgericht festgehalten, dass der Wert eines Arbeitszeugnisses nicht losgelöst vom konkreten Fall auf einen Bruchteil oder ein Mehrfaches des Monatslohns festgesetzt werden könne und dass der Streitwert nicht schematisch danach zu bemessen sei, ob das Zeugnis ganz oder teilweise umstritten sei:

4.3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann der Wert eines Arbeitszeugnisses nicht losgelöst vom konkreten Fall auf einen Bruchteil oder ein Mehrfaches des Monatslohns festgesetzt werden (Urteil des Bundesgerichts 8C_151/2010 vom 31. August 2010 E. 2.8, teilw. publ. in: ARV 2010 S. 267). Wie wichtig das Zeugnis objektiv ist, hängt von der Situation auf dem Arbeitsmarkt ab sowie von der Funktion und der Qualifikation des Arbeitnehmers (zit. Urteil 8C_151/2010 E. 2.7 in fine mit Hinweisen). Der Streitwert ist nicht schematisch danach zu bemessen, ob das Zeugnis ganz oder teilweise umstritten ist. Massgebend ist vielmehr, ob es beim Streit um wesentliche Punkte des Zeugnisses geht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_220/2011 vom 2. März 2012 E. 1.2). Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, die Zeugnisausstellung an sich sei Streitgegenstand gewesen und nicht nur die Formulierung eines einzelnen Absatzes, und einfach einen Streitwert von einem Monatslohn behauptet, genügt er den Begründungsanforderungen (Art. 42 Abs. 2 BGG) nicht. Er müsste vielmehr aufgrund seiner konkreten Situation im Einzelnen aufzeigen, weshalb der Streitwert bei willkürfreier Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten auf einen Monatslohn festzusetzen ist und inwiefern der von der Vorinstanz angenommene Wert offensichtlich nicht der Bedeutung entspricht, die dem Arbeitszeugnis objektiv zukommt. Mangels hinreichender Begründung ist insoweit nicht auf die Beschwerde einzutreten.

 

Arbeitsgericht Zürich zum Streitwert

Beim Zeugnis gilt die Faustregel, dass ihm ein Streitwert von einem Monatslohn beigemessen wird, sofern ein Zeugnis herausgeklagt wird. Bei Zeugnisänderungen wird von einem halben Monatslohn ausgegangen. Dies wird auch auf der Homepage des Arbeitsgerichts Zürich so festgehalten. Allerdings – so hält das Obergericht Zürich (so etwa im Entscheid LA1220022 vom 31. Juli 2012) fest – muss auch hier stets der Einzelfall berücksichtigt werden.

b) Der Kläger macht mit seiner Berufung geltend, auf der Webseite der Zürcher Gerichte sei die nachfolgende Faustregel angegeben; von dieser Grundregel sei nach Treu und Glauben nur abzuweichen, wenn dies aufgrund der konkreten Umstände geboten sei (Urk. 11 S. 3 f., Urk. 14/2):

Beim Zeugnis gilt die Faustregel, dass ihm ein Streitwert von einem Monatslohn beigemessen wird (Zeugnisänderung: ½ Monatslohn; Arbeitsbestätigung: Fr. 500).

Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich bei diesen auf dem Internet-Auftritt der Zürcher Gerichte publizierten Informationen, wie auch der Kläger selbst feststellt, um blosse Faustregeln handelt, welche die richterliche Berücksichtigung des Einzelfalls nicht vorwegnehmen oder gar ausschliessen können.

c) Der Kläger macht weiter geltend, der Einbezug des Masses der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens rechtfertige vorliegend keine Abweichung von der Faustregel nach oben: Der Kläger sei ein einfacher Gipser, nur ca. 2 Jahre für die Beklagte tätig gewesen, nicht in leitender Stellung, in einem eher tiefen Lohnniveau sowie seit dem 21. März 2011 arbeitsunfähig und daher seit längerem nicht auf Arbeitssuche; es sei sogar fraglich, ob er überhaupt je wieder arbeiten könne (Urk. 11 S. 4). Diese vom Kläger dargelegten Umstände sprechen in der Tat für eine eher geringe Bedeutung des Arbeitszeugnisses für das wirtschaftliche Fortkommen des Klägers. Gleichwohl dürfte die Bedeutung nicht derart gering sein, wie der Kläger dies geltend macht, denn sonst würde sich ein Streit um den Inhalt weitgehend erübrigen. Wesentlich ist jedoch gar nicht dies (das Mass der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens), denn die Vorinstanz erwog, dass der Kläger diese Erschwernis nicht so dargelegt habe, dass die Schätzung des Streitwerts ohne weiteres erfolgen könnte (Urk. 12 S. 4 f., Erw. 2.2.6 i.f. i.V.m. Erw. 2.2.8). Dies wird in der Berufung zu Recht nicht als unzutreffend geltend gemacht, denn aufgrund der vom Kläger genannten Umstände erscheint eine auf das Mass der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens abstellende Schätzung des Streitwerts effektiv nicht ohne weiteres möglich.

d) Der Kläger macht geltend, die Erwägung der Vorinstanz, dass nicht nur einzelne Korrekturen verlangt worden seien, überzeuge nicht. Erstens sage die Anzahl der Korrekturen nichts über das Mass der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens aus. Zweitens laufe ein solches Kriterium dem Bemühen nach Rechtssicherheit zuwider. Und drittens seien die vorliegend verlangten Änderungen solche, wie sie für die meisten Zeugnisänderungsverfahren durchaus typisch seien (Urk. 11 S. 5). Dass er (der Kläger) geltend gemacht habe, das ausgestellte Zeugnis erfülle die Anforderungen an ein qualifiziertes Zeugnis in keiner Weise, sei irrelevant und sachfremd. Das ändere nämlich nichts an der Tatsache, dass ein qualifiziertes kurzes Zeugnis ausgestellt worden und nur dessen Änderung beantragt worden sei. Daher gebe es keinen Grund, das ausgestellte Zeugnis als inexistent zu betrachten (Urk. 11 S. 4 f.). Wie bereits die Vorinstanz dargelegt hat (Urk. 12 S. 3), wird der Streitwert durch das Rechtsbegehren bestimmt (Art. 91 Abs. 1 ZPO). Das Rechtsbegehren des Klägers lautete unmissverständlich auf Ausstellung eines vom Kläger formulierten Arbeitszeugnisses, und nicht auf Ausstellung eines abgeänderten Zeugnisses o.ä. (Urk. 2 S. 2 Rechtsbegehren 2). Daran ändert nichts, dass der Klage auch das bereits ausgestellte Zeugnis beigelegt wurde und in der Klagebegründung dann eine Abänderung desselben geltend gemacht wird. Massgeblich dafür, ob es um eine Abänderung eines bestehenden oder Ausstellung eines neuen Arbeitszeugnisses geht (mit den entsprechenden Folgen für die Streitwertzumessung), ist, ob inhaltlich das bereits ausgestellte Zeugnis nur in wenigen Punkten korrigiert werden soll, sodass es inhaltlich noch als das gleiche, aber abgeänderte Zeugnis erscheint, oder ob die „Korrekturen“ so bedeutend sind, dass ebensogut ein neues Zeugnis hätte verlangt werden können (d.h. – 6 – das neue Zeugnis entspricht inhaltlich kaum mehr dem ursprünglichen). Dies ist vorliegend in letzterem Sinne zu entscheiden. Das vom Kläger formulierte Arbeitszeugnis (Urk. 4/10) ist von dem von der Beklagten unterm 31. Juli 2011 ausgestellten Zeugnis (Urk. 4/4) so verschieden, dass es nicht mehr als Modifikation bzw. Korrektur desselben angesehen werden kann, sondern inhaltlich ein neues Zeugnis darstellt; dass einzelne Formulierungen des bestehenden in das neue Zeugnis übernommen wurden, vermag hieran nichts zu ändern. Bloss ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dem auch der Umstand entspricht, dass der Kläger nicht auf dem ausgestellten Zeugnis Korrekturen angebracht hat, sondern das ganze (neue) Zeugnis selbst formuliert hat (Urk. 4/10).

Ungeachtet der vorgenannten Rechtsprechung dürfte es sich in der Regel dennoch aufdrängen, im Kanton Zürich der Faustregel des Arbeitsgerichts zu folgen: Zeugnis – ganzer Monatslohn, Abänderung Zeugnis – halber Monatslohn.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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