Das Bundesgericht hat im Entscheid BGer 4A_357/2022 vom 30. Januar 2023 seine Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Abgeltung von Ferienlohnansprüchen mit dem laufenden Lohn geändert.

Nach Art. 329d Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Ferien den gesamten darauf entfallenden Lohn und eine angemessene Entschädigung für ausfallenden Naturallohn zu entrichten. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung bedeutet diese Bestimmung, dass der Arbeitnehmer während der Ferien lohnmässig nicht schlechter gestellt werden darf, als wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte.

Mit der Begründung, dass die Durchsetzung des Verbots der Abgeltung des Ferienlohns mit dem laufenden Lohn bei unregelmässigen Beschäftigungen Schwierigkeiten bereiten könne, hat das Bundesgericht eine Abgeltung in solchen Fällen in Abweichung vom Gesetzestext ausnahmsweise zugelassen, dies aber an eine materielle und zwei formelle Voraussetzungen geknüpft: Erstens muss es sich um eine unregelmässige Beschäftigung ( „une activité irrégulière“) handeln. Zweitens muss der für die Ferien bestimmte Lohnanteil klar und ausdrücklich ( „clairement et expressément“) ausgeschieden sein, sofern ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt. Drittens muss in den einzelnen schriftlichen Lohnabrechnungen der für die Ferien bestimmte Lohnanteil in diesem Sinne ausgewiesen werden. Der blosse Hinweis „Ferienlohn inbegriffen“ genügt damit nicht. Erforderlich ist, dass der Ferienlohn durch Angabe eines bestimmten Betrags oder eines Prozentsatzes als solcher erscheint und zwar sowohl im Arbeitsvertrag als auch auf den einzelnen Lohnabrechnungen.

Noch im Entscheid BGer 4A_619/2019 vom 15. April 2020 hatte das Bundesgericht festgehalten, dass die Annahme, dass nicht von unregelmässiger Arbeit gesprochen werden, wenn eine Vollzeitarbeit im Stundenlohn ausgeübt werde, nicht korrekt sei.

Im Entscheid BGer 4A_357/2022 vom 30. Januar 2023 hielt es nun aber fest, dass bei einer Vollzeitbeschäftigung bei derselben Arbeitgeberin eine ausnahmsweise Abgeltung des Ferienlohnanspruchs aufgrund monatlicher Schwankungen des geschuldeten Lohnes ausgeschlossen sei.

 

Enge Grenzen bei der Zulässigkeit der Abgeltung des Ferienlohnanspruchs

Das Bundesgericht hat die materielle Voraussetzung der unregelmässigen Beschäftigung für eine ausnahmsweise Zulässigkeit der Abgeltung des Ferienlohnes in seiner Rechtsprechung jeweils sehr eng umschrieben. Aufgrund des klaren Wortlauts der zwingenden Gesetzesbestimmung darf ein Ausnahmefall, in dem der Ferienlohn auch schon laufend mit dem Lohn ausgerichtet werden kann, mit Blick auf den Schutzgedanken der Bestimmung nur äusserst zurückhaltend angenommen werden. Es müssen unüberwindbare Schwierigkeiten vorliegen, die eine Auszahlung während der Ferien als praktisch nicht durchführbar erscheinen lassen.

Nun hat das Bundesgericht festgehalten, dass solche unüberwindbaren Schwierigkeiten bei einer Vollzeitanstellung nicht mehr bestehen sollen:

Arbeitet der Arbeitnehmer zu 100 % für denselben Arbeitgeber, ist nicht einzusehen, welche unüberwindbaren Schwierigkeiten aufgrund von monatlichen Schwankungen der Arbeitszeit für eine Auszahlung des Lohns während der Ferien bestehen sollen. Das Bundesgericht hat in Fällen, die Vollzeitbeschäftigungen betrafen, bereits bisher betont, dass der variable Charakter des Arbeitslohns für sich allein keine von Art. 329d OR abweichende Vereinbarung rechtfertigt, da dies bei Stunden- oder Akkordlohn regelmässig vorkommt (Urteile 4A_158/2021 vom 11. November 2021 E. 4.2; 4A_478/2009 vom 16. Dezember 2009 E. 4). Mit der Vorinstanz erscheint im Hinblick auf die heute zur Verfügung stehenden Softwareangebote und Zeiterfassungssysteme eine dem Gesetz entsprechende Berechnung des Ferienlohns auch bei monatlichen Schwankungen des Lohns nicht mehr als unzumutbar (in diesem Sinne auch PORTMANN/RUDOLPH, in: Basler Kommentar, 7. Aufl. 2019, N. 5 zu Art. 329d OR; WOLFGANG PORTMANN, Salaire afférent aux vacances et indemnité pour les vacances non prises/Ferienlohn und Entschädigung für nicht bezogene Ferien, in: ARV/DTA 2003 S. 221 f.; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 9 [S. 693] zu Art. 329d OR; PRINZ/GEEL, in: Etter und andere [Hrsg.], Arbeitsvertrag, 2021, N. 10 zu Art. 329d OR; zur Berechnung bei variablem Lohn: WYLER/HEINZER, a.a.O., S. 509; VISCHER / MÜLLER, Der Arbeitsvertrag, in: Schweizerisches Privatrecht, SPR, Bd. VII/4, 4. Aufl. 2014, § 17 Rz. 33 FN 50 S. 229 f.; ADRIAN STAEHELIN, in: Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2006, N. 2 zu Art. 329d OR; CEROTTINI, Le droit aux vacances, a.a.O., S. 187 ff.; vgl. auch BGE 129 III 664 E. 7.3). 

Somit ist für 100 %-Beschäftigungen bei derselben Arbeitgeberin festzuhalten: Die in der Rechtsprechung angeführten praktischen Schwierigkeiten infolge unregelmässiger Arbeitszeiten entfallen als Rechtfertigung. Eine Ausnahme vom Grundsatz nach Art. 329d Abs. 1 OR aufgrund monatlicher Schwankungen des geschuldeten Lohns selbst bei Vollzeitbeschäftigungen zuzulassen, würde den Schutzzweck dieser zwingenden Bestimmung aushöhlen. In solchen Fällen ist eine Ausnahme vom klaren Gesetzestext daher unzulässig. 

 

Mögliche Lösung für den Arbeitgeber

Das Bundesgericht hat für die Arbeitgeber gleich eine mögliche Lösung präsentiert:

Abgesehen davon könnte eine gesetzeskonforme Auszahlung des Ferienlohns auch in der Weise gewährleistet werden, dass der Ferienlohnanteil zwar periodisch mit dem Grundlohn berechnet und ausgewiesen, aber erst beim tatsächlichen Ferienbezug ausbezahlt wird (CEROTTINI, Le droit aux vacances, a.a.O., S. 211; PORTMANN/RUDOLPH, a.a.O., N. 5 zu Art. 329d OR; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., N. 9 [S. 693] zu Art. 329d OR). 

 

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Autor: Nicolas Facincani 

 

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