Das Bundesgericht hat sich kürzlich im Entscheid 4A_195/2022 vom 19 April 2023 mit der Thematik der Kündigung zur Unzeit auseinandergesetzt. Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob die schwangere Arbeitnehmerin nach der Kündigung ihre Arbeit hätte anbieten müssen oder ob ein Fall von Art. 337d OR vorlag.

Art. 337d OR regelt den Fall, in welchem der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund die Arbeitsstelle nicht antritt an oder diese fristlos verlässt. Es handelt sich um das Gegenstück der berechtigten fristlosen Entlassung des Arbeitnehmers. Art. 337d OR lautet wie folgt:

Tritt der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund die Arbeitsstelle nicht an oder verlässt er sie fristlos, so hat der Arbeitgeber Anspruch auf eine Entschädigung, die einem Viertel des Lohnes für einen Monat entspricht; ausserdem hat er Anspruch auf Ersatz weiteren Schadens.

[…]

Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Sachverhalt

B (Arbeitnehmerin, Beschwerdegegnerin) war bei der A. AG (Arbeitgeberin, Beschwerdeführerin) in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis angestellt. Die A.AG kündigte B am 21. März 2016 per 30. Juni 2016. Die Arbeitnehmerin war vom 5. bis 8. April 2016 krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Im Juli 2016 bezog B noch unbezogene Ferientage und arbeitete währenddessen 2.5 Tage für ein Konkurrenzunternehmen, die C. AG im Rahmen einer Probearbeit. Weiter teilte sie der Arbeitgeberin am 16. August 2016 mit, dass sie seit dem 19. Mai schwanger sei. Das Kind wurde am 4. März 2017 geboren. Am 21. November 2016 kündigte die A. AG erneut das Arbeitsverhältnis, diesmal fristlos.

 

Urteil der Vorinstanz

Das Appellationsgericht Tessin stellte fest, dass sich das Arbeitsverhältnis aufgrund von Krankheit und Mutterschaft auf den 30. August 2017 verlängert habe. Es schloss aus, dass die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis beendigt hatte, indem es bei C. einer Tätigkeit nachgegangen sein soll. Die A. AG war anderer Ansicht und argumentierte, dass sie in Treu und Glauben davon ausgehen konnte, dass B ihre Arbeitsstelle verliess, da sie im Juli 2016 bei der C. AG gearbeitet hat. Die A.AG sah das Verlassen der Arbeitsstelle weiterhin als gegeben an, da ein Schreiben zur Aufforderung zur Herausgabe von Unterlagen von der B, unbeantwortet blieb. Die Vorinstanz vertrat zudem die Auffassung, wonach die Arbeitgeberin ein Beschäftigungsangebot seitens B in jedem Fall abgelehnt hätte, da die A.AG davon ausging, dass der Vertrag Ende Juli 2016 endete. Somit konnte ein unterlassenes Arbeitsangebot auch nicht zulasten der B ausgelegt werden.

 

Verfahren vor Bundesgericht

Die Rechtsfrage, mit welcher sich das Bundesgericht konfrontiert sah lautet: Inwiefern hätte die Arbeitnehmerin währen ihrer Schwangerschaft ihre Arbeit anbieten müssen?

Art. 337d OR sieht die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor, falls die arbeitsnehmende Person die Arbeitsstelle ungerechtfertigt verlässt. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bedarf einer bewussten, und endgültigen Verweigerung des Arbeitnehmers, die Beschäftigung aufzunehmen oder die vereinbarte Arbeit fortzusetzen (u.A.: BGE 121 V 277, E. 3a).

Dabei hat der Arbeitgeber zu prüfen, ob aus dem Verhalten der Arbeitnehmerin, objektiv, nach Treu und Glauben schlüssige Handlungen abgeleitet werden können, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Massgebend sind vorausgegangen Willensäusserungen (BGE 144 III 93, E. 5.2.3), wobei die arbeitgebende Person den Arbeitnehmer zu ermahnen hat, die Arbeit wieder anzutreten, falls die Handlungen und Willensäusserungen der arbeitsnehmende Person uneindeutig sind.

Das Bundesgericht folgte der Auffassung der Arbeitgeberin, wonach die Arbeitnehmerin bei C. AG gearbeitet haben soll, nicht. Zwar habedie Arbeitnehmerin bei C. AG einige Stunden unentgeltlich auf Probe gearbeitet. Ein Arbeitsverhältnis ist dabei aber nicht entstanden. Daraus lasse sich noch nicht ableiten, dass die Arbeitnehmerin die Arbeitsstelle abrupt und ungerechtfertigt verlassen wollte oder sich zur Weiterarbeit weigerte (E.4.3.2: „Da ciò, tuttavia, non si può ancora dedurre la volontà della lavoratrice di lasciare il lavoro presso la ricorrente in modo repentino e senza valide giustificazioni, né un rifiuto definitivo di continuare a lavorare, né una sua assenza, poiché, d’intesa con il datore di lavoro, stava godendo di vacanze durante le quali s’era dedicata alla ricerca d’un impiego“). Ein solches Verhalten habe die Arbeitgeberin zu gewähren. Hierzu gehören, wie das Bundesgericht zitiert: Durchführung von Tests, Bewerbungsgespräche oder Assessments (Prinz/Geel, in: Etter/Facincani/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 329 N 21). Das Verhalten könne auch nicht als intransparent bezeichnet wir, da sie nicht verpflichtet war dies der Arbeitgeberin mitzuteilen (E.4.3.2: „La condotta della dipendente non poteva neppure dirsi opaca, perché questa non era tenuta a rivelare alla datrice di lavoro presso chi intendeva candidarsi“).

Weiter bestätigte das Bundesgericht die vorinstanzliche Auffassung, wonach die Arbeitgeberin ein Beschäftigungsangebot seitens B. in jedem Fall abgelehnt hätte, da die A.AG davon ausging, dass der Vertrag Ende Juli 2016 endete (E. 5.1: „Riguardo ai rimanenti giorni fino al 16 agosto 2016 (data in cui era stata comunicata la gravidanza), essa ha stabilito che la datrice di lavoro avrebbe comunque rifiutato un’offerta lavorativa dell’attrice, ritenendo il contratto già terminato nel luglio del 2016, poiché C. SA avrebbe assunto l’impiegata, che aveva abbandonato l’impiego“ sowie E. 5.3.2: „In definitiva nella fattispecie la Corte cantonale poteva considerare che la ricorrente non avrebbe più ingaggiato la lavoratrice, perché anche dopo la comunicazione della gravidanza la datrice di lavoro aveva reputato terminato a fine giugno del 2016 il rapporto contrattuale, ciò che questa ha ribadito il 23 settembre e il 14 novembre 2016“).

Im Ergebnis hielt das Bundesgericht fest, dass kein Grund für eine fristlose Kündigung vorliege, wenn die arbeitnehmende Person während der Kündigungsfrist 2.5 Tage in einem anderen (Konkurrenz)Unternehmen arbeitet auf Probe arbeite. Aus den Umständen habe zudem nicht abgeleitet werden können, dass die arbeitnehmende Person ihre Arbeit hätte anbieten müssen, da diese ohnehin abgelehnt worden wäre. Der Arbeitgeber ging ja zunächst vom Arbeitsende per Ende Juli aus. Es lag somit auch kein Anwendungsfall von Art. 337d vor.

 

Weitere Beiträge zur Kündigung (Auswahl):

 

Autoren: Nicolas Facincani Matteo Ritzinger

 

 

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