Im Entscheid des Obergerichts des Kantons Zug, Zivilabteilung, vom 23.04.2025, Nr. Z1 2024 23 hatte sich dieses insbesondere mit der Frage des Verzichts und der Verwirkung von Ansprüchen des Arbeitgebers bei einer vorbehaltlosen Auszahlung des letzten Lohns an den Arbeitnehmer auseinanderzusetzen. Dies machte der Kläger (Arbeitnehmer) geltend.

Das Obergericht kam zum Schluss, dass der Kläger diese Behauptungen im vorinstanzlichen Verfahren nicht rechtzeitig vorgebracht habe und sie deswegen im anschliessenden Berufungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden konnten (Haupterwägung).

Es führte aus, dass dem Kläger jedoch auch dann nicht geholfen gewesen wäre, wenn seine Behauptungen noch hätten berücksichtigt werden können (Eventualerwägung). Zumal die Interessenlage der Arbeitgeberin klar gegen eine Preisgabe ihres Rechts spräche, dürfen der Verzicht und die Verwirkung bei einem Rückforderungsanspruch der Arbeitgeberin gemäss der Lehre nur mit grosser Zurückhaltung angenommen werden.

«5.4.2.2. Soweit der Kläger der Beklagten sinngemäss vorwirft, sie habe mit der vorbehaltlosen Auszahlung des letzten Lohns auf ihre Ansprüche verzichtet bzw. diese seien infolge zu langen Zuwartens mit der Forderungseintreibung verwirkt, ist ihm entgegenzuhalten, dass er derartige Behauptungen im (ersten) vorinstanzlichen Verfahren nicht rechtzeitig vorgebracht hat, weshalb sie im vorliegenden Berufungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden können (vgl. vorne E. 1.3.1).

Dem Kläger wäre allerdings auch dann nicht geholfen, wenn seine Behauptungen noch berücksichtigt werden könnten. Nach der Lehre dürfen Verzicht und Verwirkung bei einem Rückforderungsanspruch der Arbeitgeberin nämlich nur mit grosser Zurückhaltung angenommen werden, spricht doch die Interessenlage bei der Arbeitgeberin klar gegen eine Preisgabe ihres Rechts (vgl. Portmann/Rudolph, Basler Kommentar, 7. A. 2020, Art. 322 OR N 11a; Streiff/ von Kaenel/Rudolph, a.a.O., Art. 322 OR N 13).”

 

Eventualerwägung betreffend den Verzicht von Ansprüchen

Das Obergericht legte dar, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich von einem Anspruchsverzicht ausgehen dürfe, wenn es die Arbeitgeberin unterlasse, ihr bekannte Ansprüche vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Dies sei namentlich der Fall, wenn die Arbeitgeberin den letzten Lohn vorbehaltlos auszahle.

Beweislast für die für einen Verzicht sprechenden Tatsachen trage der Arbeitnehmer. Dieser Beweis sei dem Kläger im vorliegenden Fall nicht gelungen. Der letzte Lohn sei ihm aber ohnehin nicht vorbehaltlos ausbezahlt worden, da der Kläger Umsatzbeteiligungen, welche ihm von der Beklagten nicht rechtzeitig ausbezahlt wurden, bereits eingeklagt hatte.

«Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darf zwar ein Arbeitnehmer grundsätzlich von einem Verzicht ausgehen, wenn es die Arbeitgeberin unterlässt, Ansprüche, die ihr dem Umfang oder dem Grundsatz nach bekannt sind, vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, insbesondere indem sie den letzten Lohn vorbehaltlos auszahlt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_20/2023, 4A_24/2023 vom 22. Juni 2023 E. 8.2).

Die Beweislast für die Tatsachen, die auf einen Verzicht schliessen lassen, trägt aber der Arbeitnehmer (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_257/2019 vom 6. November 2019 E. 4.4.2 m.w.H.). Dieser Beweis ist dem Kläger nicht gelungen, war ihm doch bewusst, dass die Beklagte Privatbezüge nicht toleriert (vgl. hierzu act. 87 Sachverhalt Ziff. 3.2 und 3.4 sowie E. 4.5 und 7.3.3), weshalb er nicht auf einen Anspruchsverzicht der Beklagten schliessen durfte. Hinzu kommt, dass die Beklagte dem Kläger die Umsatzbeteiligungen für die Jahre 2016 und 2017 eben gerade nicht ausbezahlte und der Kläger diese einklagen musste, womit der „letzte Lohn“ nicht vorbehaltlos ausbezahlt wurde.»

 

Eventualerwägung betreffend die Verwirkung von Ansprüchen

Gemäss Obergericht wäre des Weiteren auch eine Verwirkung des Anspruchs wegen Zuwartens mit der Geltendmachung zu verneinen gewesen. Grund hierfür sei, dass eine Verwirkung nur im Fall eines offenbaren Rechtsmissbrauchs eintreten könne.

Ein solcher Rechtsmissbrauch läge bei blossem Zuwarten mit der Rechtsausübung grundsätzlich noch nicht vor, ausgenommen, wenn zusätzlich besondere Umstände hinzugetreten wären. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können solche Umstände darin bestehen, dass sich der Berechtigte mit dem Zuwarten der Geltendmachung des Anspruchs einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen wollte, oder darin, dass dem Berechtigten die Rechtsausübung zumutbar gewesen wäre und dem Verpflichteten aus der Verzögerung der Geltendmachung in erkennbarer Weise Nachteile erwachsen sind. Solche besonderen Umstände waren gemäss Obergericht im vorliegenden Fall nicht ersichtlich und vom Kläger weder rechtzeitig behauptet noch bewiesen worden.

«5.4.2.3 Schliesslich wäre auch eine Verwirkung des Anspruchs wegen Zuwartens mit der Geltendmachung zu verneinen, kann doch eine Verwirkung nur im Fall eines offenbaren Rechtsmissbrauchs eintreten (vgl. Portmann/Rudolph, a.a.O., Art. 322 OR N 11a).

Blosses Zuwarten mit der Rechtsausübung begründet aber grundsätzlich noch keinen Rechtsmissbrauch, es sei denn, zum blossen Zeitablauf treten besondere Umstände hinzu, welche die Rechtsausübung mit der früheren Untätigkeit des Berechtigten in einem unvereinbaren Widerspruch erscheinen lassen. Solche Umstände können darin bestehen, dass dem Verpflichteten aus der verzögerten Geltendmachung in erkennbarer Weise Nachteile erwachsen sind und dem Berechtigten die Rechtsausübung zumutbar gewesen wäre, oder darin, dass der Berechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs zugewartet hat, um sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen (vgl. BGE 131 III 439 E. 5.1; Urteil des Bundesgerichts 4A_35/2024 vom 10. September 2024 E. 5.3.4). Derartige besondere Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich und vom Kläger weder rechtzeitig behauptet noch bewiesen worden (vgl. vorne E. 1.3).»

 

Urteil des Bundesgerichts 4A_249/2025 vom 8. Oktober 2025

Nachfolgend wendete sich der Kläger vor Bundesgericht gegen beide Begründungen (Haupt- und Eventualbegründung) des Obergerichts Zug. Das Bundesgericht bestätigte die Hauptbegründung des Obergerichts und ging entsprechend auf die Eventualbegründung nicht weiter ein. Auch nach Ansicht des Bundesgerichts vermochte es der Kläger nicht aufzuzeigen, dass er die massgeblichen Tatsachen entgegen dem Obergericht rechtzeitig und rechtsgenüglich behauptet hatte.

„2.4.1. Der Kläger machte bereits vorinstanzlich geltend, die Beklagte habe mit der vorbehaltlosen Auszahlung des letzten Lohns auf ihre Ansprüche verzichtet bzw. diese seien infolge zu langen Zuwartens verwirkt. Die Vorinstanz hielt dem entgegen, dass der Kläger derartige Behauptungen im (ersten) erstinstanzlichen Verfahren nicht rechtzeitig vorgebracht habe, weshalb sie im Berufungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Im Sinne einer Eventualerwägung legte die Vorinstanz in der Folge dar, weshalb dem Kläger auch dann nicht geholfen wäre, wenn seine Behauptungen noch berücksichtigt werden könnten.

Der Kläger wendet sich gegen beide vorinstanzlichen Begründungen. Bezüglich der Haupterwägung vermag er aber nicht aufzuzeigen, dass er die massgeblichen Tatsachen entgegen der Vorinstanz rechtzeitig und rechtsgenüglich behauptet hätte. Da bereits die Haupterwägung der Vorinstanz trägt, braucht auf deren Eventualerwägung, und die dagegen erhobenen Rügen des Klägers, nicht weiter eingegangen zu werden.“

 

Weitere Beiträge zum Lohn (Auswahl):

 

Autoren: Nicolas Facincani / Julia Huber

 

Weitere umfassende Informationen zum Arbeitsrecht finden Sie hier.

Umfassende Informationen zum Gleichstellungsgesetz finden Sie hier.

Oder folgen Sie uns auf YouTube.