Mit Bezug auf besonders gefährdete Arbeitnehmer gab es verschiedene Fassungen von Art. 10 der Covid-19-Verordnung 2. Diese sahen insbesondere Bestimmungen zum Schutz dieser Personengruppe vor, welche im Laufe der Zeit wieder abgeändert wurden.

Mit der Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020 (Ende ausserordentliche Lage, Beginn besondere Lage, AS 2020 2213) wurde mit Wirkung ab 22. Juni 2020 in Artikel 10 für alle Arbeitnehmende das STOP-Prinzip eingeführt. Es wurde also nicht mehr zwischen nicht besonders gefährdeten und besonders gefährdeten Arbeitnehmern unterschieden.

Ab dem 18. Januar 2021 standen mit Art. 27a der Covid-19-Verordnung 3 erneut besondere Bestimmungen für besonders gefährdete Arbeitnehmer in Kraft (AS 2021 5).

Es stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob während dem Zeitraum, während dem besondere Bestimmungen für besonders gefährdete Personen in Kraft sind, der zeitliche Kündigungsschutz für diese Personen Anwendung findet oder nicht.

 

Zeitlicher Kündigungsschutz

Nach Art. 336c OR wird die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung während gewissen Fristen (dazu unten) als nicht opportun angesehen, daher wird der Arbeitnehmer in den entsprechenden Situationen geschützt.

Abs. 1 listet die Situationen auf, in welchen der Arbeitnehmer den Schutz erfährt, Abs. 2 soll dem Arbeitnehmer helfen, indem die Kündigungsfrist verlängert wird um eine neue Stelle zu finden, wenn eine sog. Sperrfirst nach ausgesprochener Kündigung eintritt. Abs. 3 soll dann die Vertragsdauer verlängern.

Art. 336c OR lautet wie folgt:

1 Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen:
a.
während die andere Partei schweizerischen obligatorischen Militär- oder Schutzdienst oder schweizerischen Zivildienst leistet, sowie, sofern die Dienstleistung mehr als elf Tage dauert, während vier Wochen vorher und nachher;
b.
während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen;
c.
während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft einer Arbeitnehmerin;
d.
während der Arbeitnehmer mit Zustimmung des Arbeitgebers an einer von der zuständigen Bundesbehörde angeordneten Dienstleistung für eine Hilfsaktion im Ausland teilnimmt.

2 Die Kündigung, die während einer der in Absatz 1 festgesetzten Sperrfristen erklärt wird, ist nichtig; ist dagegen die Kündigung vor Beginn einer solchen Frist erfolgt, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt.

3 Gilt für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Endtermin, wie das Ende eines Monats oder einer Arbeitswoche, und fällt dieser nicht mit dem Ende der fortgesetzten Kündigungsfrist zusammen, so verlängert sich diese bis zum nächstfolgenden Endtermin.

 

Entscheid AH210077 vom 27. August 2021 des Arbeitsgerichts Zürich

In einem Gerichtsverfahren vor dem Arbeitsgericht Zürich machte eine Arbeitnehmerin geltend, dass sie als besonders gefährdete Arbeitnehmerin im Sinne der Covid-19-Verordnung 2 von einem zeitlichen Kündigungsschutz gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. b OR profitieren konnte.

Das Arbeitsgericht Zürich verneinte dies:

3.4.3. Gegen die Anwendung einer Sperrfist gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. b OR auf besonders gefährdete Personen im Sinne der Covid-19-Verordnung 2 spricht demgegenüber die abschliessende Aufzählung der Schutztatbestände im Gesetz (vgl. hierzu etwa BSK OR I-PORTMANN/RUDOLPH, Art. 336c N 9). In Art. 336c Abs. 1 lit. b OR wird ein zeitlicher Kündigungsschutz bei einer ganzen oder teilweisen (unverschuldete) Verhinderung an der Arbeitsleistung wegen Krankheit oder Unfall statuiert. Es genügt nicht, krank oder verunfallt zu sein. Vielmehr muss die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer beweisen, dass sie oder er wegen Krankheit oder Unfall (ganz oder teilweise) an der Arbeitsleistung verhindert ist. Eine laut Covid-19-Verordnung 2 besondere Schutzmassnahmen begründende Gefährdung kann nicht unbesehen einer Krankheit gleichgesetzt werden. Besonders gefährdete Arbeitnehmende, darunter fallen auch Personen ab 65 Jahren, sind nicht „durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert“. Art. 10c der Covid-19-Verordnung 2 hat vielmehr besonders gefährdete Arbeitnehmende zum Gegenstand, die nicht arbeitsunfähig sind, die aber aufgrund ihrer gesundheitlichen Dispositionen vor einer Ansteckung mit Covid-19 am Arbeitsplatz geschützt werden sollen. Ist es nicht möglich, die Arbeit unter angemessenen Bedingungen zu organisieren, oder macht eine Arbeitnehmerin von ihrem Ablehnungsrecht Gebrauch, beschränkt sich Art. 10c auf die Festlegung eines Urlaubs sui generis mit Anspruch auf Lohnfortzahlung. Wenn der Bundesrat spezifische Vorschriften zum Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer traf, so hätte er auch mit Bezug auf einen besonderen Kündigungsschutz eine Regelung treffen können und müssen, wenn ein solcher zum Zuge kommen soll. Eine neue Sperrfrist für besonders gefährdete Personen kann nur – im Rahmen der Notrechtsbefugnis – vom Bundesrat oder vom Parlament eingeführt werden (sinngemäss JEAN-PHILIPPE DUNAND/RÉMY WYLER, Coronavirus et droit suisse du travail: quelques questions en période de déconfinement, in: Newsletter, DroitDuTravail.ch du 28 mai 2020, S. 14 f.).

Diese namentlich von DUNAND/WYLER vertretene Lehrmeinung überzeugt. Der Bundesrat erliess zwischen dem 13. März 2020 und dem 22. Juni 2020 sehr differenzierte und auch immer wieder geänderte Vorschriften im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in der Schweiz. So ist namentlich die Fassung von Art. 10c der Covid-19-Verordnung 2 vom 17. April 2020 zum Schutz der Gesundheit von besonders gefährdeten Arbeitnehmenden mit insgesamt acht Absätzen ausserordentlich detailreich formuliert. Der Bundesrat erliess dabei gewissermassen arbeitsrechtliches Notrecht. Ein zeitlicher Kündigungsschutz für besonders gefährdete Arbeitnehmende wurde jedoch nie vorgesehen und findet deshalb auch keine Anwendung.

Gleich dürfte auch die Frage zu beantworten sein, ob Arbeitnehmern in Quarantäne ein Sperrfristenschutz zukommt (vgl. hierzu etwa Facincani/Bazzell, in: Etter/Facincani/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 336c N 15).

 

Weitere Beiträge zur Kündigung (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani

 

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