Kann die Arbeitnehmerin die Arbeit infolge Verschuldens der Arbeitgeberin nicht leisten oder kommt letztere aus anderen Gründen mit der Annahme der Ar­beitsleistung in Verzug (auch weil sich ein Betriebsrisiko verwirklicht), so bleibt sie gemäss Art. 324 Abs. 1 OR zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass die Arbeitnehmerin zur Nachleistung verpflichtet ist (sog. Annahmeverzug). Umstritten und bislang nicht restlos geklärt ist die Frage, ob eine Schliessung des Betriebs auf behördliche Anordnung wegen einer Epidemie zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers zählt oder nicht. Gehört die Schliessung zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers, ist der Lohn weiterhin geschuldet. In Deutschland wurde der Lohnanspruch durch das Bundesarbeitsgericht verneint.

Nun hat das Arbeitsgericht Zürich (Einzelrichterin im vereinfachten Verfahren) einen ersten Entscheid gefällt (Geschäfts-Nr.: AH210123) und einen Lohnanspruch für den konkreten Sachverhalt bejaht.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war nicht der sogenannte Lock­down zu Beginn der Covid-19-Pandemie in der Schweiz im März/April 2020. Zu entscheiden ist über die — ebenfalls pandemiebedingte — behördliche Schliessung der Restaurationsbetriebe ab dem 22. Dezember 2020 und deren Auswirkungen auf ein Arbeitsverhältnis, das im August 2020 (neu) eingegangen wurde.

Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin trat per 8. September 2020 als Event Koordinatorin in die Dienste der Arbeitgeberin ein. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 – also nach der behördlichen Schliessung der Restaurationsbetriebe – kündigte die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis ordentlich per 28. Februar 2021. In der Folge zahlte die Arbeitnehmerin der Arbeitnehmerin den Lohn bis Ende Dezember 2020 aus. Bezüglich der Lohnforderungen der Klägerin für die Monate Januar und Februar 2021 teilte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 2. Februar 2021 im Wesentlichen mit, dass sie ihr für die Monate Januar und Februar 2021 keinen Lohn bezahlen könne, da die Arbeitnehmerin während der Kündigungsfrist keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung habe und aufgrund des Lockdowns auch nicht arbeiten könne, wie dies in einer normalen Situation der Fall gewesen wäre. Gleichzeitig verwies die Beklagte in ihrem Schreiben auf einen Auszug aus dem Fragenkatalog des Gastrosuisse Rechtsdienstes, welcher wie folgt zitiert wurde:

Mitarbeiter in gekündigten Arbeitsverhältnissen haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Welcher Lohn ist während der Kündigungsfrist zu bezahlen?

Grundsätzlich ist der Lohn während der Kündigungsfrist zu 100% geschuldet. Eine Ausnahme besteht dann, wenn die Behörde die komplette Schliessung anordnet. In diesem Fall besteht eine objektive Unmöglichkeit, die Arbeit auszuführen oder aus Sicht des Arbeitgebers, die Arbeit anzunehmen. Da die Schliessung nicht in den Risikobereich des Arbeitgebers fällt, besteht kein Annahmeverzug seinerseits. Zugleich ist der Mitarbeiter nicht subjektiv, also aus einem Grund, welcher in seiner Person liegt, an der Arbeit verhindert. Deshalb gilt der Grundsatz „ohne Arbeit, kein Lohn“.

Für die Arbeitgeberin kam zudem eine Anpassung ihres Angebots zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs, etwa durch das Anbieten von Speisen und Getränken als Take-away und/oder ei­nes Lieferdienstes, nicht in Frage.

 

Bejahung des Lohnanspruchs

Das Arbeitsgericht (Geschäfts-Nr.: AH210123) bejahte den Lohnanspruch der Arbeitnehmerin während der pandemiebedingten Schiessung der Restaurationsbetriebe, hielt aber explizit fest, dass hier nur ein Einzelfall beurteilt wurde und die Frage nicht allgemein beantwortet werde, ob eine behördliche Betriebsschliessung generell einen Anwendungsfall von Art. 324 OR darstelle (E. 3.2.1 Vorwegzuschicken ist, dass das Gericht (nur) über den vorliegenden Fall zu entscheiden hat. Ob ein Umstand in das Betriebsrisiko der Arbeitgeberin fällt, muss jeweils im Einzelfall bestimmt werden.)

 

Risiko einer erneuten Schliessung

Das Arbeitsgericht kam zum Schluss, dass im vorliegenden Fall das Risiko einer erneuten Schliessung der Restaurants bekannt war:

3.2.2. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht der sogenannte Lock­down zu Beginn der Covid-19-Pandemie in der Schweiz im März/April 2020. Zu entscheiden ist über die — ebenfalls pandemiebedingte — behördliche Schliessung der Restaurationsbetriebe ab dem 22. Dezember 2020 und deren Auswirkungen auf ein Arbeitsverhältnis, das im August 2020 (neu) eingegangen wurde. Vollends unvorhersehbar und unabwendbar, im Sinne einer höheren Gewalt, waren das Ri­siko und die Folgen eines am 22. Dezember 2020 verhängten vorübergehenden Restaurationsverbots im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 7. August 2020 (act. 5/3) nicht. Bei Vertragsschluss waren vielmehr viele Parameter mit Bezug auf Covid-19 bekannt. Unvorhersehbar war weder das Risiko einer zweiten Welle in den Wintermonaten noch wie die Behörden darauf reagieren könnten. Als bekannt vorausgesetzt werden kann namentlich das Risiko einer erneuten vorübergehen­den Schliessung oder Einschränkung der Restaurationsbetriebe sowie der Umfang und die Voraussetzungen der Kurzarbeitsentschädigung. Einige — auch namhafte Gastronomiebetriebe — haben bis zu diesem Zeitpunkt alternative Geschäftsmo­delle, wie bspw. Take-away-Angebote, auf die Beine gesteilt, mit denen sie die Ausfälle zu minimieren und ihre Mitarbeitenden weiterhin zu beschäftigen versucht haben.

 

Betriebswirtschaftlicher Entscheid der Arbeitgeberin

Gemäss Arbeitsgericht traf die Klägerin einen betriebswirtschaftlichen Entscheid, kein Take-Away anzubieten und somit die Arbeitnehmerin während der Kündigungsfrist anderweitig einzusetzen, weshalb der Lohnanspruch bejaht wurde.

3.2.7. Die Beklagte traf am 8. August 2020 in Kenntnis der damaligen Situation den unternehmerischen Entscheid, die Klägerin als Event-Koordinatorin mit unbefriste­tem und nach Ablauf der Probezeit mit einer Frist von zwei Monaten kündbarem Vertrag anzustellen (act. 5/3). Es war bekannt, dass im Fall eines erneuten Res­taurationsverbots allenfalls die Kurzarbeitsentschädigung zum Zug kommt. Aber auch, dass es der Arbeitnehmerin frei steht, den Vertrag in Ausübung ihrer Kündi­gungsfreiheit wieder zu kündigen, womit während der Kündigungsfrist die Möglich­keit der Kurzarbeit entfiele (vgl. Art. 31 Abs. 1 lit. c AVIG). Entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. Prot. S. 7 f.), liegt kein Rechtsmissbrauch vor. Die Beklagte traf zudem den betriebswirtschaftlichen Entscheid, keine alternativen Verpflegungs­möglichkeiten anzubieten und die Klägerin während der Kündigungsfrist auch nicht anderweitig einzusetzen (vgl. auch act. 5/3 Ziff. 1b). Das Risiko, der Klägerin wäh­rend der zweimonatigen Kündigungsfrist trotzdem den Lohn bezahlen zu müssen, ist dem Betriebsrisiko der Beklagten zuzurechnen. Es liegt ein Anwendungsfall von Art. 324 OR vor.

3.2.8. Mit anderen Worten gehört die vorliegend zu beurteilende Betriebsschlies­sung resp. die damit einhergehende Arbeitsverhinderung der Klägerin zum Be­triebsrisiko der Beklagten, womit die Beklagte — wenn auch unverschuldet mit der Entgegennahme der Arbeitsleistung der Klägerin in Verzug geraten ist und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, das heisst bis zum 28. Februar 2021 zur Lohnfort­zahlung verpflichtet war.

 

Beachten Sie auch die bisherigen, im Zusammenhang mit COVID-19 erschienen Beiträge (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani

 

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