Kann die Arbeitnehmerin die Arbeit infolge Verschuldens der Arbeitgeberin nicht leisten oder kommt letztere aus anderen Gründen mit der Annahme der Ar­beitsleistung in Verzug (auch weil sich ein Betriebsrisiko verwirklicht), so bleibt sie gemäss Art. 324 Abs. 1 OR zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass die Arbeitnehmerin zur Nachleistung verpflichtet ist (sog. Annahmeverzug). Umstritten und bislang nicht restlos geklärt war die Frage, ob eine Schliessung des Betriebs auf behördliche Anordnung wegen einer Epidemie zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers zählt oder nicht. Gehört die Schliessung zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers, ist der Lohn weiterhin geschuldet. In Deutschland wurde der Lohnanspruch durch das Bundesarbeitsgericht verneint.

Das Arbeitsgericht Zürich (Einzelrichterin im vereinfachten Verfahren / Geschäfts-Nr.: AH210123) hatte etwa einen Lohnanspruch für einen konkreten Sachverhalt bejaht. Andere Gerichte haben gegenteilig entschieden.

Nun liegt ein erster Entscheid des Bundesgerichts vor (Urteil vom 30. August 2023 (4A_53/2023)).

 

Sachverhalt

Dem Entscheid des Bundesgerichts lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Drei Lehrkräfte einer Privatschule im Kanton St. Gallen hatten im Januar 2020 ihre Arbeitsverhältnisse per Ende August 2020 gekündigt. Mitte April teilte die Arbeitgeberin ihnen mit, dass der Schulbetrieb wegen des Coronavirus auf behördliche Anordnung eingestellt werde. Der Lohn werde im Umfang der entfallenen Arbeit gekürzt. Da die Betroffenen ihren Arbeitsvertrag gekündigt hätten, sei die Beantragung von Kurzarbeit nicht möglich. In der Folge richtete die Arbeitgeberin ihnen gekürzte Löhne aus. Das Kreisgericht St. Gallen hiess die dagegen erhobene Klage der Angestellten 2021 gut und verpflichtete die Arbeitgeberin zu Lohnnachzahlungen. Das Kantonsgericht bestätigte den Entscheid. Es kam zum Schluss, dass die Schliessung zum Risiko des Betriebes gehöre. Daher bestehe ein Anspruch auf Lohnfortzahlung.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Arbeitgeberin an seiner öffentlichen Beratung vom 30. August 2023 gut und wies die Sache zur Neubeurteilung zurück ans Kantonsgericht.

Den Arbeitgeber treffe bei einer behördlich angeordneten Betriebsschliessung zur Bekämpfung des Coronavirus keine Pflicht zur Lohnfortzahlung, falls die Kurzarbeitsentschädigung den Lohnausfall nicht decke. Im konkreten Fall müsse das Kantonsgericht ergänzend abklären, ob während der Schliessung ein 100%-Online-Unterricht möglich gewesen wäre und auf diese Weise Minusstunden der betroffenen Angestellten hätten vermieden werden können.

Die Rechtswissenschaft sei sich einig darüber, dass eine behördlich angeordnete Schliessung des Betriebs nicht der Risikosphäre der Angestellten zuzurechnen sei. Allerdings wollte der Gesetzgeber offensichtlich auch nicht jedes Risiko, das nicht die Arbeitnehmer betrifft, ohne weiteres den Arbeitgebern aufbürden. Ob ein Umstand in das Betriebsrisiko des Arbeitgebers falle, müsse im Einzelfall bestimmt werden. Zur Risikosphäre des Arbeitgebers gehörten persönliche Gründe auf seiner Seite. Nicht dazu zählten dagegen objektive Gründe, die alle in gleicher Weise treffen, beziehungsweise nicht nur spezifisch den Arbeitgeber. Als solchen objektiven Grund habe das Bundesgericht in der Vergangenheit etwa Kriegswirren oder kriegswirtschaftliche Massnahmen erachtet. Behördliche Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus seien ebenfalls als objektiver Grund zu werten, der keine Pflicht des Arbeitgebers zur Lohnfortzahlung nach sich ziehe. Die Schliessungen hätten alle betroffen; für Arbeitgeber hätten unzumutbare rechtliche Risiken bestanden, wenn sie sich einer Schliessung widersetzt hätten.

Es lag am Bund, die finanziellen Nachteile von Arbeitnehmenden infolge der angeordneten Betriebsschliessungen auszugleichen. Für betriebsseitige Arbeitsausfälle stand die Kurzarbeitsentschädigung zur Verfügung, die 80 % des Monatssalärs abgedeckt hat. Im konkreten Fall entfiel die Möglichkeit einer Kurzarbeitsentschädigung, da die drei betroffenen Angestellten bereits gekündet hatten.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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