Unter der Marginalie der «Sorgfalts- und Treuepflicht» hält das Obligationenrecht in Art. 321a Abs. 1 fest, dass der Arbeitnehmer die ihm übertragene Arbeit sorgfältig auszuführen und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren hat.

Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses darf der Arbeitnehmer keine Arbeit gegen Entgelt für einen Dritten leisten, soweit er dadurch seine Treuepflicht verletzt, insbesondere den Arbeitgeber konkurrenziert (Art. 321a Abs. 3 OR, sog. Schwarzarbeitsverbot). Die Grenzen der Treuepflicht bilden die überwiegenden Interessen des Arbeitnehmers (BGE 117 II 72, S. 74).

Plant ein Arbeitnehmer hingegen, in Zukunft eine zur gegenwärtigen Arbeitgeberin konkurrenzierende Tätigkeit auszuüben, darf er bereits vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsprechende Vorbereitungen treffen. Die Treuepflicht verbietet es hingegen, mit der Konkurrenzierung der Arbeitgeberin zu beginnen oder ihm Angestellte oder Kunden abzuwerben (BGE 138 III 67, E. 2.3.5). Die Treuepflicht kann sich jedoch nur währen der Dauer der Anstellung auswirken. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt die Treuepflicht (mit Ausnahmen und in den engen Grenzen von Art. 321a Abs. 4 OR, Milani in: Etter/Facincani/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 321a N 15).

 

Urteil 4A_50/2021 des Bundesgerichts vom 6. September 2021: Konkurrenzierung gemäss Art. 321a OR sowie Verletzung von Treuepflichten

Im Urteil 4A_50/2021 hatte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Verletzung des Konkurrenzverbots resp. der allgemeinen Treuepflicht vorliegt. Dabei gestaltete sich der zugrundeliegende Sachverhalt wie folgt: Der Arbeitnehmer wurde per 1. Juli 2017 bei der Arbeitgeberin als CEO angestellt. Am 26. November 2017 kündigte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer per Ende 2018. Der Arbeitnehmer wurde für die Dauer der Kündigungsfrist freigestellt. Am 9. Januar 2018 teilte die Arbeitgeberin dem freigestellten Arbeitnehmer mit, dass sie auf die Einhaltung des nachvertraglichen Konkurrenzverbotes verzichte. Die allgemeine Treuepflicht während der Kündigungsfrist bleibe allerdings davon unberührt. Schliesslich kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. November 2018 fristlos mit der Begründung, der Arbeitnehmer hat bei verschiedenen Angelegenheiten seine Treuepflichten, insbesondere seine Nichtkonkurrenzierungspflichten, grob verletzt (Sachverhalt A.). Umstritten war vorliegend demnach u.a. die Frage, ob die fristlose Kündigung vom 23. November 2018 gerechtfertigt war. Sowohl die erste Instanz als auch das Obergericht Zürich hielten die fristlose Kündigung für ungerechtfertigt (E. 3). Die Arbeitgeberin erhob gegen den Entscheid des Obergerichts Zürich Beschwerde ans Bundesgericht.

Vorab hatte das Bundesgericht zu prüfen, ob das Recht, während dem laufenden Arbeitsverhältnis eine spätere konkurrenzierende Tätigkeit vorzubereiten, durch eine Ziffer (in den Augen der Beschwerdeführerin eine strenge Nichtkonkurrenzierungsvereinbarung) des Arbeitsvertrages eingeschränkt wurde. Im Rahmen der Vertragsauslegung nach dem Vertrauensprinzip kam das Bundesgericht zum Schluss, dass es sich bei der genannten Ziffer um ein nachvertragliches Konkurrenzverbot handelte. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der fristlosen Kündigung noch (freigestellt) in der Kündigungsfrist befand und entsprechend das Vertragsverhältnis noch nicht beendet war, fand diese nachvertragliche Regelung vorliegend keine Anwendung. Entsprechend konnte die Beschwerdeführerin aus dieser Vertragsklausel keine über Art. 321a OR hinausgehenden Rechte ableiten (E. 3.1 ff.).

Folglich hatte das Bundesgericht ausschliesslich zu prüfen, ob eine Verletzung der gesetzlichen Treuepflicht gemäss Art. 321a OR gegeben war. Diesbezüglich stellte es, in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin fest, dass die Vorinstanz den Sachverhalt unrichtig festgestellt hatte:

3.3.3 Die Beschwerdeführerin rügte etwa, dass der Beschwerdegegner „geschäftliche Aktivitäten, namentlich mit Bezug zum Zahnarztgeschäft, aber auch in Bezug auf den Erwerb eines Krankenhauses in Deutschland“ ausübe, dies unter dem Titel „Kläger ist trotz Freistellung aktiv, auch im Zahnarztgeschäft“. Auch aus den weiteren von der Vorinstanz angeführten Fundstellen in den Rechtsschriften ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner insbesondere vorwarf, „beim Deal Sourcing, Fundraising und bei der Investorensuche, insbesondere betreffend die Zahnarztbranche, also dem Geschäftsbereich, in dem die Beklagte tätig ist“, eine federführende Rolle gespielt zu haben. Mithin unterstellt die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner, während der Kündigungsfrist eine Tätigkeit ausgeübt zu haben, welche er als deren Angestellter ausgeübt hätte. Nicht vorgeworfen wird ihm demgegenüber, er hätte zahnärztliche Dienstleistungen angeboten (oder Vorbereitungen dafür getroffen), was die Vorinstanz übersieht und die Frage der Konkurrenzierung (allein) unter diesem Gesichtspunkt prüfte. Dem Gesagten zufolge stellte die Vorinstanz den Sachverhalt offensichtlich unrichtig fest, was zu korrigieren ist, da die Behebung dieses Mangels für den Ausgang des Verfahrens potenziell relevant ist (vgl. E. 1.2 hiervor).

 

Tätigkeiten während der Kündigungsfrist

Insbesondere in Bezug auf drei Tätigkeiten des Arbeitnehmers während der Kündigungsfrist, namentlich der Zusammenarbeit mit einer anderen Gesellschaft, dem Versuch eines Krankenhauskaufes in Deutschland mit dieser anderen Gesellschaft sowie einer Konferenzteilnahme, stellte sich die Frage einer Konkurrenzierung. Die Vorinstanz vertrat den Standpunkt, dass alle drei vorgeworfenen Tätigkeiten keine Tätigkeiten auf der Angebotsseite darstellen würden, was jedoch für eine Konkurrenzierung erforderlich sei. Auch eine anderweitige treuwidrige Handlung im Sinne von Art. 321a OR sei vorliegend nicht gegeben, weshalb der Arbeitnehmer – auch in einer Gesamtbetrachtung – die Grenze der zulässigen Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf eine spätere Erwerbstätigkeit nicht überschritten habe. Dagegen wendete die Beschwerdeführerin ein, dass eine solche angebotsseitige Konkurrenz lediglich bei nachvertraglichen Konkurrenzverboten entscheidend sei. Vorliegend sei die Treuwidrigkeit des Vorgehens des Arbeitnehmers entscheidend. Wäre dieser nicht freigestellt worden, hätte er dieselben Aktivitäten für die Beschwerdeführerin getan, welche er nun freigestellt für sich selbst und zusammen mit Dritten ausübte (E. 3.4).

Diesbezüglich liess das Bundesgericht unter Hinweis auf seine Rechtsprechung ausführen, dass sich der Begriff der Konkurrenzierung bei Art. 321a OR nicht von demjenigen des nachvertraglichen Konkurrenzverbotes gemäss Art. 340 f. OR unterscheidet (Urteil 4C.210/1006 des Bundesgerichts vom 18. Dezember 1996, E. 4b). Dabei liegt ein Konkurrenzverhältnis vor, wenn die Betroffene, bei ganz oder teilweise übereinstimmendem Kundenkreis, gleichartige und folglich unmittelbar das gleiche Bedürfnis befriedigende Leistungen anbieten (BGE 92 II 22, E. 1d). Das arbeitsvertragliche Konkurrenzverbot betrifft nur die anbieterseitige Konkurrenz (BGE 130 III 353, E. 2.1). Unter Bezugnahme auf das Gesagte kam das Bundesgericht in E. 3.6 zum Schluss, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn die Vorinstanz davon ausging, dass Tätigkeiten auf dem Angebotsmarkt keine Konkurrenzierungen im Sinne von Art. 321 OR darstellten. Es verneinte demnach das Vorliegen einer Konkurrenzierung. Indem die Vorinstanz zudem neben der Konkurrenzierung auch eine Verletzung der Treuepflicht geprüft hatte, ging sie, entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin und gemäss dem Bundesgericht korrekterweise davon aus, dass die Konkurrenzierung bloss eine Form der Treuepflichtverletzung nach Art. 321a Abs. 1 OR ist.

 

Verletzung anderer Treuepflichten

Neben dem Vorliegen einer Konkurrenzierung prüfte die Vorinstanz wie erwähnt ebenfalls eine Verletzung von anderweitigen Treuepflichtverletzungen gemäss Art. 321a OR. Das Bundesgericht erliess dazu die folgenden rechtlichen Ausführungen. Die Wahrung der berechtigten Interessen der Arbeitgeberin umfasst insbesondere auch das Unterlassen von allem, was die Arbeitgeberin wirtschaftlich schädigen könnte (BGE 117 II 72, E. 4a). Dabei genügt die Möglichkeit einer Schädigung für die Annahme einer Treuepflichtverletzung (Urteil 4C.221/2004 des Bundesgerichts vom 26. Juli 2004, E. 3.3). Die Treuepflicht der Arbeitnehmer ist jedoch nicht ohne Schranken, die Grenzen der Treuepflicht liegen in den berechtigten eigenen Interessen des Arbeitnehmers an der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit, zu welchen insbesondere auch das Interesse an einer anderen Tätigkeit gehört. Dies ist der Grund, weshalb der Arbeitnehmer noch während seiner bestehenden Anstellung eine spätere Tätigkeit vorbereiten darf. Seine Treuepflicht verletzt er hingegen dann, wenn er gegen Treu und Glauben verstösst, so wenn er bspw. noch während der Kündigungsfrist mit der Konkurrenzierung beginnt oder seinem Arbeitgeber Angestellte oder Kunden abwirbt (BGE 138 III 67, E. 2.3.5).

Das Bundesgericht kam in seiner Subsumption zwar zum Schluss, dass sich die Aufgaben des Arbeitnehmers mit denjenigen decken, welche er bei ihr ebenfalls gemacht hätte. Allerdings greife diese Tatsache für die Bejahung einer Treuwidrigkeit zu kurz und das Bundesgericht stützte die Verneinung einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Treuepflicht durch die Vorinstanz und eine entsprechende Bejahung der fristlosen Kündigung als ungerechtfertigt (E. 3.10):

3.9 Der Beschwerdeführerin ist dahingehend zu folgen, dass die Suche nach Investitionsmöglichkeiten und potenziellen Investoren durch Teilnahme an Investorenmeetings und der Jefferies 2018 Health Conference sowie durch die Präsentation in einer Broschüre, die darauf abzielte, Investoren anzuwerben, sich – zumindest teilweise – mit den Aufgaben des Beschwerdegegners bei ihr deckt. Die Beschwerdeführerin greift allerdings zu kurz, wenn sie sich überschneidende Tätigkeiten per se als treuwidrig betrachtet. Erforderlich ist nämlich stets, dass die Handlung (oder Unterlassung) dem Arbeitgeber zumindest potenziell zum Schaden gereichen könnte (vgl. E. 3.7 hiervor). Die Suche des Beschwerdegegners nach Investitionsmöglichkeiten und/oder Investoren war mithin nur dann treuwidrig, wenn er dadurch jene der Beschwerdeführerin tangierte oder hätte tangieren können. Aus den vorstehenden Ausführungen zum bestrittenen und unbestrittenen Sachverhalt (E. 3.8) geht hervor, dass nicht erstellt ist, dass die Beschwerdeführerin unter der Führung des Beschwerdegegners an der Erschliessung des deutschen Marktes arbeitete und dazu nach einem Krankenhaus in Deutschland suchte. […] Da nicht erwiesen ist, dass die Beschwerdeführerin nach Zielobjekten in Deutschland suchte, tangierte die Suche des Beschwerdegegners nach einem Krankenhaus in Deutschland und dessen Bemühungen, (Co- ) Investoren für den Kauf desselben und/oder den Aufbau einer dortigen ambulanten Ärzteplattform zu akquirieren, die Beschwerdeführerin nicht, so dass diesbezüglich nicht von einer Treuepflichtverletzung ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend um eine Treuepflichtverletzung zu bejahen ist das oberwähnte Zugeständnis des Beschwerdegegners, wonach die Beschwerdeführerin in verschiedenen europäischen Ländern immer wieder Investitionsmöglichkeiten geprüft habe. Derartige lose Aktivitäten vermögen die eigenen Interessen des Arbeitnehmers an der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit nicht zu überwiegen (vgl. E. 3.7 hiervor).

 

Weitere Beiträge zum Konkurrenzverbot

 

Autoren: Nicolas Facincani / Seline Wissler

 

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