Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber über alles, was er bei seiner vertraglichen Tätigkeit für diesen von Dritten erhält, wie namentlich Geldbeträge, Rechenschaft abzulegen und ihm alles sofort herauszugeben (Art. 321b Abs. 1 OR).
In BGer 4A_613/2010 vom 25. Januar 2011 hatte sich das Bundesgericht mit der Frage der Rechtmässigkeit/Missbräuchlichkeit einer Kündigung zu befassen, die Geldgeschenke nicht weitergeleitet hatte.
Sachverhalt
BGer 4A_613/2010 vom 25. Januar 2011 lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Am Stationsleiterinnen-Rapport eines Spitals wurde, dass Geldspenden von Angehörigen umgehend im Sekretariat zu Handen der Personalkasse abgeliefert werden müssen. In der Folge wurden sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über diese Regelung orientiert.
Einer Mitarbeiterin der Pflege wurde in der Folge gekündigt, weil sie nachweisbar zweimal Geldgeschenke (einmal Fr. 500.–, einmal Fr. 300.–) entgegengenommen hatte, ohne diese weisungsgemäss unverzüglich der Heimleitung zu Handen des Personalfonds abzuliefern. Sie hatte der Heimleitung auch nicht Meldung erstattet, dass diese Spenden eingegangen waren. Die Spende von Fr. 500.– hatte Sie während fünf Wochen zu Hause aufbewahrt.
Gegen die Kündigung erhob die Arbeitnehmerin beim Bezirksgericht Uster Klage gegen die Arbeitgeberin und verlangte eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung nach Art. 336a OR in der Höhe von Fr. 29’000.– und die Berichtigung des Arbeitszeugnisses.
Das Gericht wies die Klage ab.
Entscheid des Obergerichts
Das Obergericht ging davon aus, eine missbräuchliche Kündigung könne jedenfalls nur gegeben sein, wenn die Arbeitnehmerin selbst keine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt habe. Es prüfte daher, ob die Arbeitnehmerin durch ihr Verhalten ihrer Befolgungspflicht gegenüber den Weisungen der Arbeitgeberin nachgekommen sei. Dabei kam es zum Schluss, dass die umstrittene Weisung zur Weiterleitung von Geldspenden in die „Personalkasse“ sowohl rechtmässig und verhältnismässig als auch in der Branche üblich sei und demzufolge von der Arbeitnehmerin zu befolgen war. Die Arbeitnehmerin habe sich der Weisung zu Unrecht widersetzt und damit ihre Befolgungspflicht verletzt. Indem sie ihre Mitarbeitenden auf die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit der Weisung hingewiesen und so ihre Rechtsauffassung, die von derjenigen der Arbeitgeberin abgewichen sei, kundgetan habe, habe sie auch ihre Treuepflicht gegenüber der Arbeitgeberin verletzt. Erschwerend falle ins Gewicht, dass sie ihre Untergebenen ohne Wissen der Arbeitgeberin orientiert habe. Aufgrund ihrer Treuepflicht hätte sie sich zuerst an den Arbeitgeber wenden müssen, wenn sie die Weisung für unrechtmässig gehalten habe. Indem sie dies unterlassen habe, habe sie eine weitere Treuepflichtverletzung begangen. Angesichts der Verletzung von Befolgungs- und Treuepflicht erweise sich die ausgesprochene Kündigung nicht als missbräuchlich. Die Kündigung gegenüber der Arbeitnehmerin als Kaderangestellte mit erhöhter Treuepflicht beruhe auf einem schützenswerten Grund und sei daher rechtmässig. Auch die Art und Weise, wie die Kündigung erfolgt sei, sei nicht zu beanstanden.
Entscheid des Bundesgerichts
Vor Bundesgericht rügte die Arbeitnehmerin, das Obergericht habe Art. 321d OR verletzt. Es liege schlicht keine Weisung vor, welche die Arbeitnehmerin hätte verletzen können. Das Bundesgericht folgte dieser Argumentation nicht:
Das Obergericht bezog sich auf das Protokoll der Stationsleiterinnen-Sitzung vom 31. Juli 1996 und die der Lohnabrechnung vom November 1996 beigelegte Mitteilung, indem es festhielt, dass die Beschwerdeführerin im Juli 1996 mündlich und im November 1996 schriftlich seitens der Beschwerdegegnerin die konkrete Weisung mitgeteilt erhielt, wie mit Geldgeschenken von Heimbewohnern, Angehörigen oder Dritten umzugehen sei. Das Vorliegen dieser Weisung ist unbestritten. Insofern ist es irrelevant, ob diese Weisung auch in der Hausordnung vom 22. November 1982 enthalten ist. Es liegt jedenfalls eine mündliche und schriftliche Weisung vom Juli bzw. November 1996 vor.
Das Obergericht berücksichtigte die Hausordnung bei der Prüfung, ob die betreffende Weisung im Widerspruch zu vertraglichen Vereinbarungen der Parteien stehen könnte. Dabei gelangte es im Gegenteil zum Schluss, dass die Hausordnung verschiedentlich auch das Personal einbeziehe oder dieses zumindest indirekt anspreche. Das Befolgen und Durchsetzen der Hausordnung lasse sich auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Arbeitsvertrag unter die dort genannte Pflicht des Arbeitnehmers subsumieren, „die Interessen des Heims nach Kräften zu wahren“. Die Hausordnung sei folglich auch als Teil des Arbeitsverhältnisses anzusehen. Ziffer 13 der Hausordnung wonach es dem gesamten Personal untersagt ist, irgendwelche Trinkgelder und Geschenke entgegenzunehmen, widerspreche der strittigen Weisung nicht, sondern stelle vielmehr eine Wiederholung und Präzisierung dar. Eine Vertragswidrigkeit sei demnach nicht erkennbar. Dies wird von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt.
Des Weiteren machte ei Arbeitnehmerin geltend, das Obergericht habe Art. 321b OR verletzt, weil es ein Weisungsrecht hinsichtlich der Ablieferung von Geldspenden bejaht habe, obwohl diese gerade nicht für den Arbeitgeber bestimmt seien. Sie erachtete daher die Weisung als unrechtmässig, weshalb sie diese auch nicht zu befolgen gehabt habe. Auch dies wurde vom Bundesgericht verworfen:
4.2 Es trifft zu, dass Trinkgelder und Gelegenheitsgeschenke nicht unter die Herausgabepflicht nach Art. 321b OR fallen, da sie für den Arbeitnehmer und nicht für den Arbeitgeber bestimmt sind (Staehelin, a.a.O., N. 2 zu Art. 321b OR; Streiff/von Kaenel, a.a.O., N. 3 zu Art. 321b OR; PORTMANN, Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N. 1 zu Art. 321b OR). Vorliegend ging es aber nicht um Trinkgelder an die Beschwerdeführerin persönlich, sondern um Geldspenden, die nach der Darstellung der Beschwerdeführerin als Wertschätzung und Dankbarkeit für einfühlsame Pflege und Begleitung im Sterben gedacht waren, als Linderung des erlittenen Leides auch der Pflegenden sowie zur Stärkung für die weitere gemeinsame Pflegetätigkeit. Die strittigen Geldspenden sollten mithin das Personal für geleisteten Einsatz belohnen und für künftigen stärken. Entsprechend waren die Geldbeträge gemäss der strittigen Weisung nicht etwa an den Arbeitgeber herauszugeben, sondern vielmehr in den Personalfonds einzulegen, der dem gesamten Personal zugute kommt. Die Weisung ordnet mithin nicht eine über Art. 321b OR hinausgehende Herausgabepflicht an den Arbeitgeber betreffend Geldbeträge an, die nicht für ihn bestimmt waren, sondern regelt das Vorgehen bei Geldspenden zuhanden des Personals. Sie verstösst damit nicht gegen Art. 321b Abs. 1 OR.
Im Übrigen musste die Hausordnung vom 22. November 1982 und insbesondere die darin enthaltene Ziffer 13, wonach es dem gesamten Personal untersagt ist, irgendwelche Trinkgelder und Geschenke entgegenzunehmen, der Beschwerdeführerin nach den vorinstanzlichen Feststellungen spätestens nach der Stationsleiterinnen-Sitzung vom 31. Juli 1996 bekannt sein, ohne dass sie bei der Heimleitung dagegen remonstriert hätte. Ebenso wenig opponierte sie gemäss dem Stationsleiterinnen-Protokoll an dieser Sitzung, an der festgehalten wurde, dass es nur eine Personalkasse gebe und dass alle Geldspenden dort abgegeben werden müssten. Daraus durfte die Beschwerdegegnerin auf das Einverständnis der Beschwerdeführerin zum angeordneten Vorgehen schliessen.
Die Einwände der Beschwerdeführerin gegen die vom Obergericht angenommene Verletzung der Befolgungspflicht gegenüber der Weisung betreffend Geldspenden erweisen sich als unbegründet. Das Obergericht nahm diesbezüglich zu Recht eine Vertragsverletzung durch die Beschwerdeführerin an.
5. Des weiteren bleibt auch der Vorwurf aufrecht, dass die Beschwerdeführerin als leitende Angestellte ihre Treuepflicht (Art. 321a OR) gegenüber der Beschwerdegegnerin verletzte, indem sie ihre Untergebenen auf die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit der Weisung hinwies und sie dadurch zumindest sinngemäss anhielt, die Weisung nicht einzuhalten, wobei erschwerend ins Gewicht fällt, dass sie ihre Untergebenen orientierte, ohne zuvor mit der Beschwerdegegnerin betreffend ihre abweichende Auffassung eine Lösung zu suchen.
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Autor: Nicolas Facincani
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