Das Arbeitszeugnis hat eine Doppelfunktion, welche zwei unterschiedliche Bedürfnisse bedient. Es soll einerseits das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers fördern und andererseits zukünftigen Arbeitgeberinnen ein möglichst genaues Abbild von den Fähigkeiten und der Persönlichkeit des Arbeitnehmers geben. Aus diesem doppelten Zweck lassen sich einige Grundsätze ableiten, an welchen sich das Arbeitszeugnis inhaltlich zu orientieren hat. Das Zeugnis hat mithin insbesondere dem Grundsatz der Wahrheit, sowie den Grundsätzen der Klarheit und der Vollständigkeit zu entsprechen. Der Grundsatz des Wohlwollens hat zum Zweck, das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers zu fördern, oder dieses zumindest nicht unnötigerweise zu erschweren.

 

Entscheid AGer ZH 2024 NR. 1

Das Arbeitsgericht Zürich hatte sich mit einer Zeugnisänderungsklage im Nachgang an eine durch Arbeitgebergin ausgesprochene Kündigung auseinanderzusetzen. Diese Klage umfasste zugleich auch die Beurteilung ob die ausgesprochene Kündigung missbräuchlich war.

Die von der Arbeitgeberin nach Nichteinhaltung von angeordneten Covid-19 Schutzmassnahmen im September 2021 ausgesprochene ordentliche Kündigung war nach Auffassung des Arbeitsgerichts nicht missbräuchlich. Der Arbeitnehmer konnte und durfte nicht in guten Treuen davon ausgehen, die angeordneten Schutzmassnahmen seien nicht rechtmässig und von ihm nicht einzuhalten. Die Arbeitgeberin ging bei der Kündigung schonend vor. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis erst, nachdem der Arbeitnehmer trotz Gewährung des „rechtlichen Gehörs“ und mehrfacher Androhung arbeitsvertraglicher Konsequenzen bis hin zur Kündigung abschliessend verweigert hatte, die geltenden Richtlinien zum Schutz der Klientinnen und Klienten der Arbeitgeberin einzuhalten.

 

Erwähnung des Kündigungsgrundes im Zeugnis

In Bezug auf das Arbeitszeugnisses stellte der Arbeitnehmer das folgende Rechtsbegehren:

«Die Beklagte sei zu verpflichten, im Arbeitszeugnis bzw. Schlusszeugnis des Klägers, datierend vom [Datum Ende des Arbeitsverhältnisses], den Satz „Auf Grund von Differenzen bezüglich des Umgangs mit den stattlichen Vorgaben zur Pandemiebekämpfung endet das Arbeitsverhältnis mit A._ per [Datum]“ ersatzlos zu streichen und dem Kläger innert 10 Tagen nach Rechtskraft des Urteils das entsprechend angepasste Arbeitszeugnis aus- und zuzustellen.»

Der Arbeitnehmer brachte vor, dass das beanstandete Schlusszeugnis einen mustergültigen Fall einer selektiven Erwähnung von Negativa aus der unmittelbaren Schlussphase des Arbeitsverhältnisses darstelle. Es handle es sich bei der Covid Testverweigerung des Klägers um isolierte Vorfälle, welche – gemessen an der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von ziemlich genau 13 Jahren – nichts in einem Arbeitszeugnis zu suchen hätten. Rund zwei Wochen vor der Kündigung sei dem Kläger noch ein tadelloses Zwischenzeugnis ausgestellt worden, worin festgehalten worden sei, dass er sich gegenüber Vorgesetzten stets zuvorkommend und korrekt verhalte sowie die vorgegebenen Richtlinien einhalte. Angesichts des krassen Missverhältnisses von zwei Wochen Konflikt und 13 hervorragenden Dienstjahren, in welchen es sogar zu einer leistungsbedingten Lohnerhöhung gekommen sei, verletze das angefochtene Arbeitszeugnis den Massstab des Wohlwollens. Sodann bestehe aufgrund der Aufhebung der Covid-Massnahmen kein schutzwürdiges Interesse eines zukünftigen Arbeitgebers, die diesbezügliche Haltung des Klägers zu kennen. Mit der Aufhebung der Covid-Zertifikatspflicht per Mitte Februar 2022 seien sämtliche Fragen zu Covid-Massnahmen arbeitsverhältnisirrelevant geworden. Schliesslich sei auch die Wortwahl „staatlich“ nicht mit dem Klarheitsmassstab vereinbar und somit falsch sowie missverständlich.

 

Wahrheitspflicht vs. Wohlwollen

Das Arbeitsgericht nutzte die Möglichkeit sich ausführlich zum Wohlwollen und dessen Grenzen im Arbeitszeugnis zu äussern (vgl. hierzu auch Facincani, Nicolas/Delfosse, Louis: Wahrheitspflicht und Wohlwollen im Arbeitszeugnis, SJZ 119/2023, S. 1185 ff.:

2. Das Zeugnis hat nach Lehre und Rechtsprechung wohlwollend zu sein. „Wohlwollen“ ist Maxime der Ermessensbetätigung, wobei das Wohlwollen seine Grenze an der Wahrheitspflicht findet. Der Zweck beschränkt dabei den Inhalt des Zeugnisses: Es soll einerseits entsprechend seiner grundlegenden Funktion das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers fördern, andererseits zukünftigen Arbeitgebern ein möglichst getreues Abbild von Tätigkeit, Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers geben (STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 330a OR N 3a).

3. Grundsätzlich schliessen sich die Prinzipien der Wahrheitspflicht und des Wohlwollens nicht per se aus. Dennoch kann in bestimmten Fällen die Frage aufkommen, welchem Prinzip ein Arbeitgeber bei der Erstellung eines Arbeitszeugnisses vorrangig folgen sollte, insbesondere wenn die betroffenen Interessen aufgrund einer Doppelfunktion kollidieren. Es gibt Situationen, in denen die Erwähnung einer Tatsache aufgrund der Wahrheitspflicht angezeigt scheint, jedoch möglicherweise die berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers beeinträchtigen würde. Andererseits könnte die Nichterwähnung von Tatsachen aus Gründen des Wohlwollens angebracht sein, besonders, wenn diese in der Allgemeinbewertung des Arbeitnehmers nicht allzu stark ins Gewicht fallen (NICOLAS FACINCANI / LOUIS DELFOSSE, Wahrheitspflicht und Wohlwollen im Arbeitszeugnis, SJZ 119/2023 S. 1185 ff., 1186). Nach, herrschender Lehre sollte ein Arbeitszeugnis in erster Linie wahr sein, die Wahrheitspflicht hat also oberste Priorität (MANFRED REHBINDER/JEAN-FRITZ STÖCKLI, in: HEINZ HAUSHEER/HANS PETER WALTER (Hrsg.), Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Das Obligationenrecht, Der Arbeitsvertrag: Art. 319–362 OR, Bern 2010, Art. 330a OR N 14; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 330a OR N 3a; FACINCANI/DELFOSSE, SJZ 119/2023, 1186 f.; BGer 4C.60/2005 vom 28. April 2005 E. 4.1.). Es ist klar, dass falsche Tatsachen nicht ins Arbeitszeugnis gehören, da Dritte ein berechtigtes Interesse an der Richtigkeit der darin enthaltenden Angaben haben (MICHEL VERDE, Haftung für Arbeitszeugnis, Empfehlungsschreiben, Referenzauskunft und Referenzschreiben, recht 2010 S. 144 ff., 149). Gleichzeitig muss sich der Arbeitgeber nicht nur aus Wohlwollen möglichen Haftungsrisiken gegenüber Dritten oder Ansprüchen des Arbeitnehmers aus missbräuchlicher Kündigung aussetzen (BSK OR I-PORTMANN/RUDOLPH, Art. 330a N 6; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 330a OR N 3; FACINCANI/DELFOSSE, SJZ 119/2023, 1186 ff.). Reine Gefälligkeitszeugnisse lassen sich daher auch nicht mit dem Wohlwollensgrundsatz rechtfertigen. Das bedeutet, dass einem durchschnittlichen Arbeitnehmer kein herausragendes Zeugnis ausge stellt werden darf, nur um dessen beruflichen Fortschritt zu fördern. Andererseits dürfen die Wahrheitspflicht und der darin enthaltene Vollständigkeitsgrundsatz nicht so verstanden werden, dass über jedes Detail informiert werden muss. Das Gebot des Wohlwollens erfordert beispielsweise, dass verhältnismässig unbedeutende Details oder einmalige Verfehlungen, die keinen Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben und für den Arbeitnehmer nicht charakteristisch sind, im Arbeitszeugnis nicht zu erwähnen sind, selbst wenn diese faktisch der Wahrheit entsprechen. Negative Tatsachen sollten demnach nur genannt werden, soweit sie für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers als erforderlich erscheinen. Im Hinblick auf Entgleisungen des Arbeitnehmers ist deswegen in erster Linie eine bestimmte Erheblichkeit oder Regelmässigkeit sowie Aktualität notwendig, damit die Wahrheitspflicht eine Erwähnung dieser Tatsachen im Arbeitszeugnis erfordert (BSK OR I-PORTMANN/RUDOLPH, Art. 330a N 4; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH a.a.O., Art. 330a OR N 3a; FACINCANI/DELFOSSE, SJZ 119/2023, 1186 ff.).

 

Beurteilung durch das Arbeitsgericht

Die Erwähnung des Kündigungsgrundes im Arbeitszeugnis war gemäss nach Auffassung des Arbeitsgerichts rechtens.

2.5. Geht es letztlich um die Erwähnung eines für die Kündigung ausschlaggebenden Grundes, der die grundsätzliche Eignung eines Arbeitnehmenden betrifft, eine zukünftige Arbeitsstelle zu besetzen, so muss der Arbeitgeber ohne allenfalls nicht selbst haftbar zu werden, diesen Grund im Schlusszeugnis erwähnen. Angesichts der konkreten Umstände hat die Beklagte zudem eine doch recht neutrale (und damit wohlwollende) Formulierung gewählt. Sie lässt dem Kläger immerhin Spielraum, sich in einem Bewerbungsgespräch zu erklären. Hätte die Beklagte konkret erwähnt, dass der Kläger Patienten angefragt hat, ob er die Maske entgegen der damals als notorisch und undiskutablen geltenden Maskenpflicht ablegen dürfe, so hätte auch dies der Wahrheit entsprochen, wäre für den Kläger indes wohl deutlich nachteiliger gewesen. Auch in diesem Kontext verhielt sich die Beklagte schonend und zurückhaltend. Der Antrag des Klägers auf Streichung des zweitletzten Absatzes des Schlusszeugnisses der Beklagten (ausgenommen des Schreibfehlers) ist damit abzuweisen.

Den Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 28. August 2023 nichts (VB2023.00244), wo dieses gerade gegenteilig Entschieden hatte, liess das Arbeitsgericht nicht gelten.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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