Obwohl das Arbeitszeugnis in der Praxis zunehmend von Standardformulierungen geprägt wird und sich somit teilweise von der Grundidee einer individuellen Leistungsbewertung entfernt hat, ist es immer noch eine Institution mit grosser praktischer Bedeutung. Das Arbeitszeugnis hat eine Doppelfunktion. Es soll einerseits der nächsten Arbeitgeberin einen wahrheitsgetreuen Eindruck über den Arbeitnehmer vermitteln und andererseits dessen berufliches Fortkommen fördern, weshalb es wohlwollend zu formulieren ist.
Wahrheitspflicht
Die Wahrheitspflicht bedient die Empfehlungsfunktion des Arbeitszeugnisses an die nächste Arbeitgeberin. Das Arbeitszeugnis hat demnach in erster Linie die darin beinhaltenden Tatsachen realitätsgetreu widerzugeben, wobei dies auch für die von der Arbeitgeberin aus Tatsachen abgeleiteten Werturteile gilt. Das Zeugnis muss die Leistung und das Verhalten so genau, konkret und ausführlich schildern, dass sich eine neue Arbeitgeberin ein aussagekräftiges Bild über die Qualifikation des Arbeitnehmers machen kann. Unvollständige oder unklare und missverständliche Angaben liefern u.U. ein verzerrtes Bild des Arbeitnehmers und sind daher unzulässig. Es sind deswegen grundsätzlich alle für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers relevanten Tatsachen, Vorkommnisse und Verhaltensweisen anzugeben (zum Ganzen Facincani/Delfosse, Wahrheitspflicht und Wohlwollen im Arbeitszeugnis, in: SJZ 2023, S. 1185 f.).
Entscheid AGer ZH 2024 NR. 1
Das Arbeitsgericht Zürich hatte sich bereits im Entscheid AGer ZH 2024 NR. 1 mit der Zeugnisänderungsklage im Nachgang an eine durch Arbeitgebergin ausgesprochene Kündigung auseinanderzusetzen, welch wegen nach Nichteinhaltung von angeordneten Covid-19 Schutzmassnahmen ausgesprochen worden war. In Bezug auf das Arbeitszeugnisses stellte der Arbeitnehmer das folgende Rechtsbegehren:
«Die Beklagte sei zu verpflichten, im Arbeitszeugnis bzw. Schlusszeugnis des Klägers, datierend vom [Datum Ende des Arbeitsverhältnisses], den Satz „Auf Grund von Differenzen bezüglich des Umgangs mit den stattlichen Vorgaben zur Pandemiebekämpfung endet das Arbeitsverhältnis mit A._ per [Datum]“ ersatzlos zu streichen und dem Kläger innert 10 Tagen nach Rechtskraft des Urteils das entsprechend angepasste Arbeitszeugnis aus- und zuzustellen.»
Das Arbeitsgericht wies die Beschwerde ab.
BGer 4A_630/2024 vom 8 Mai 2025
Nun war der Fall vom Bundesgericht zu beurteilen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde im Entscheid BGer 4A_630/2024 vom 8 Mai 2025 ab:
2. Der Beschwerdeführer behauptet, erst durch die (selektive) Testpflicht nur für ungeimpfte Mitarbeitende, die er – unter der Prämisse, dass nachweislich auch Geimpfte das SARS-CoV-2-Virus übertragen können – aus ethischen Erwägungen nicht habe mittragen können, sei eine rote Linie überschritten worden. Beim Einsatz des Covid-Zertifikats am Arbeitsplatz handle es sich um eine rechtshistorische Einmaligkeit, die nicht als repräsentativ für epidemiologische Schutzmassnahmen im Allgemeinen betrachtet werden könne. Deshalb könne aus der Missachtung der selektiven Testpflicht nur für Ungeimpfte nicht auf eine generelle künftige Verweigerungshaltung gegenüber allen arbeitsplatzbezogenen Schutzmassnahmen geschlossen werden. Die gegenteilige Annahme der Vorinstanz sei nicht nur bundesrechtswidrig, sondern widerspreche elementarer Lebenserfahrung, stehe zur tatsächlichen Situation in diametralem Widerspruch und erweise sich als willkürlich.
2.1. Der Beschwerdeführer blendet in seiner Argumentation aus, dass er Patientinnen und Patienten der Beschwerdegegnerin gefragt hat, ob sie damit einverstanden seien, wenn er die Maske in Pflegesituationen nicht trage. Am 16. September 2021 wurde protokolliert, dass er die Maske nur in Ausnahmefällen trage und weiterhin keinen Corona-Test gemacht habe. Wenn er von der Missachtung nur einer konkreten Weisung spricht sowie auf sein unstreitiges Wohlverhalten während der Schweinegrippe verweist, findet dies in den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz keine Stütze. Darauf ist nicht einzutreten.
2.2. Sogar wenn zu Gunsten des Beschwerdeführers von einem bisherigen Wohlverhalten ausgegangen würde (einschliesslich während der Schweinegrippe-Epidemie 2009/10), treffen seine Vorbringen nicht den entscheidenden Punkt: Selbst wenn auch Geimpfte das SARS-CoV-2-Virus übertragen konnten, bedeutet dies nicht zwingend, dass die Ansteckungswahrscheinlichkeit mit und ohne Impfung dieselbe ist und dies bekannt war. Dies wären die massgebenden Punkte. Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf, dass er diesbezüglich hinreichende Behauptungen aufgestellt hätte, so dass auf die Frage nicht weiter einzugehen ist. Sollten Geimpfte nicht merklich weniger ansteckend sein als Ungeimpfte, spräche das Schutzbedürfnis der Patienten zudem nicht dafür, die Tests zu verweigern, sondern die Tests auf Geimpfte auszuweiten. Entscheidend ist nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich exakt dieselbe Situation wiederholen wird, sondern dass der Beschwerdeführer Massnahmen zur Sicherheit der Patienten aufgrund roter Linien, die er selbst eigenmächtig zieht und die nicht primär die Sicherheit der Patienten im Auge haben, verweigert hat. Dies führt zu einer Ungewissheit in Bezug auf sämtliche Massnahmen, unabhängig davon, wie sich der Beschwerdeführer zuvor verhalten hat.
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Autor: Nicolas Facincani
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