Das Arbeitszeugnis ist in der Praxis zunehmend von Standardformulierungen geprägt. Es hat somit teilweise von der Grundidee einer individuellen Leistungsbewertung entfernt. Dennoch ist es immer noch eine Institution mit grosser praktischer Bedeutung. Das Arbeitszeugnis hat eine Doppelfunktion. Es soll einerseits der nächsten Arbeitgeberin einen wahrheitsgetreuen Eindruck über den Arbeitnehmer vermitteln und andererseits dessen berufliches Fortkommen fördern, weshalb es wohlwollend zu formulieren ist.
Vor diesem Hintergrund wurde das Arbeitszeugnis 2.0 entwickelt. Nachfolgend sollen gewisse Grundsätze des Zeugnisses 2.0 hier wiedergegeben werden:
arbeitszeugnis.work
Auf der Website arbeitszeugnis.work (Verein Vision Arbeitszeugnis; Manuel Wiesner von der Familie Wiesner Gastronomie AG als Initiator) wird das Arbeitszeugnis 2.0 dargestellt. Es lohn sich auf jeden Fall für alle Personen, die sich regelmässig mit Arbeitszeugnissen beschäftigen, diese Informationen zu studieren. Von verschiedenen Arbeitgebern wird dieses nun verwendet.
Ziele des Arbeitszeugnisses 2.0
Das Arbeitszeugnis 2.0 ist gemäss der Website arbeitszeugnis.work darauf ausgelegt, modernen Anforderungen gerecht zu werden und den digitalen Wandel zu unterstützen. Nach dem Prinzip „Reduce to the max“ soll eine starke Vereinfachung und Standardisierung angestrebt werden. Dabei soll das Arbeitszeugnis 2.0 eine A4-Seite nicht überschreiten und ein einheitliches Layout verwendet werden. Übergeordnet sollen gemäss der Website arbeitszeugnis.work mit dem Arbeitszeugnis 2.0 folgende Ziele erreicht werden:
- Klarheit in der Formulierung und Bewertung, um unnötige Diskussionen
zu vermeiden; - Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts des Mitarbeitenden;
- Hohen Automatisierungsgrad im Erstellungsprozess;
- Übersichtlichkeit für geübte Lesende: Innerhalb von 45 Sekunden sollen sie einen umfassenden Eindruck über die Person erhalten können.
Für die Mitarbeitenden bietet das Arbeitszeugnis 2.0 mehrere Vorteile im Vergleich zum traditionellen Arbeitszeugnis:
- Erneut steigende Lesebereitschaft seitens der rekrutierenden Unternehmen;
- Digitale Weiterverwendbarkeit für den Rekrutierungsprozess;
- Schnelle und einfache Erstellung durch die Unternehmen, was lückenlose und zügige Dokumentation ermöglicht;
- Transparente Bewertung: Ein Leitfaden hilft bei der Interpretation aller Punkte;
- Internationale Verständlichkeit und somit weniger Sprachbarrieren;
- Klare Regeln für negative Bewertungen: Diese sind definiert und können nur mit schriftlicher Dokumentation und mit vorheriger Kenntnisnahme des Mitarbeitenden aufgeführt werden, wodurch viele Diskussionen und Gerichtsfälle vermieden werden.
Aufbau des Arbeistzeugnisses 2.0
Das Arbeitszeugnis 2.0 ist wie folgt aufgebaut:
- Beschreibung von Unternehmung und Mitarbeitenden;
- Daten über Bewertungsperiode sowie Funktion;
- Tätigkeiten;
- Fähigkeiten;
- Stärken;
- Gut zu wissen für weitere individuelle Informationen, welche notwendig sind, um sich ein Gesamtbild machen zu können.
Daten
Neben der Position werden (gemäss der Website arbeitszeugnis.work) im Arbeitszeugnis der Beschäftigungsgrad und der Arbeitsort aufgeführt.
Es wird im Arbeitszeugnis 2.0 immer pro Position, Team, etc. ein Arbeitszeugnis erstellt. Wie bei 2.2.1 bereits erläutert, werden z.B. bei einem Positionswechsel ein Arbeitszeugnis erstellt bis zum Positionswechsel und dann bei Austritt ein zweites Arbeitszeugnis ab dem letzten Funktionswechsel.
Demnach gibt es folgende Ausführungen:
- Bewertungsperiode: TT.MM.JJJJ – TT.MM.JJJJ
- Eintritt: TT.MM.JJJJ
- Austritt aus Firma: TT.MM.JJJJ
- Besteht kein gekündigtes Verhältnis, so wird dieser Punkt ausgeblendet
- Erstellungsgrund:
- Auf Wunsch von Vornamen + NACHNAME (in Grossbuchstaben / oder auch nur Vorname)
- Interner Wechsel
- Kündigung durch Vornamen + NACHNAME (in Grossbuchstaben / oder auch nur Vorname)
- Kündigung durch Firma
- Auflösung im gegenseitigen Einvernehmen
- Führungswechsel
- Befristetes Arbeitsverhältnis
- Pensionierung
- Individualisierung
Arbeitszeugnis 2.0 – Bedeutung der Bewertungen
Um einen Standard zu gewährleisten und zur besseren Interpretierbarkeit der einzelnen Bewertungskategorien, sind auf der der Website arbeitszeugnis.work entsprechende Beispiele für die Bewertungen aufgeführt. Die Aufzählungen in den Beispielen sind nicht abschliessend und dienen als Orientierung. Nicht aufgeführte Punkte müssen dabei bei der Einordnung gleich bewertet werden und einem Drittvergleich standhalten (Grundsatz vom Dealing-at-arm’s-length).
Gesetzliche Grundlagen sind erfüllt
Gemäss der hier vertretenen Ansicht erfüllt das Arbeitszeugnis die Grundlagen des schweizerischen Obligationenrechts:
Art. 330a Abs. 1 OR hält fest, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber jederzeit ein Zeugnis verlangen kann, welches sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über seine Leistungen und sein Verhalten ausspricht. Das Arbeitszeugnis hat eine Doppelfunktion, welche zwei unterschiedliche Bedürfnisse bedient. Es soll einerseits das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers fördern und andererseits zukünftigen Arbeitgeberinnen ein möglichst genaues Abbild von den Fähigkeiten und der Persönlichkeit des Arbeitnehmers geben. Aus diesem doppelten Zweck lassen sich einige Grundsätze ableiten, an welchen sich das Arbeitszeugnis inhaltlich zu orientieren hat. Das Zeugnis hat mithin insbesondere dem Grundsatz der Wahrheit, sowie den Grundsätzen der Klarheit und der Vollständigkeit zu entsprechen. Die Wahrheitspflicht bedient die Empfehlungsfunktion des Arbeitszeugnisses an die nächste Arbeitgeberin. Es hat demnach in erster Linie die darin beinhaltenden Tatsachen realitätsgetreu widerzugeben, wobei dies auch für die von der Arbeitgeberin aus den Tatsachen abgeleiteten Werturteile gilt. Das Zeugnis muss die Leistung und das Verhalten so genau, konkret und ausführlich schildern, dass sich eine neue Arbeitgeberin ein aussagekräftiges Bild über die Qualifikation des Arbeitnehmers machen kann. Unvollständige oder unklare und missverständliche Angaben liefern u.U. ein verzerrtes Bild des Arbeitnehmers und sind daher unzulässig. Es sind deswegen grundsätzlich alle für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers relevanten Tatsachen, Vorkommnisse und Verhaltensweisen anzugeben.
Demgegenüber hat der Grundsatz des Wohlwollens zum Zweck, das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers zu fördern, oder dieses zumindest nicht unnötigerweise zu erschweren. Dieses Gebot fliesst aus der allgemeinen Fürsorgepflicht nach Art. 328 Abs. 1 OR und ist dort von Relevanz, wo die Arbeitgeberin in Bezug auf die Leistungsbewertung und das Verhalten des Arbeitnehmers ihr Ermessen ausüben und Werturteile fällen muss. Das Gebot besteht darin, dass die Arbeitgeberin auf die Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen muss und die Bewertung möglichst fair und sachlich vorzunehmen und mögliche Kritikpunkte schonend zu kommunizieren hat. Verlangen Arbeitnehmer Anpassungen eines ausgestellten Arbeitszeugnisses, argumentieren diese daher oft mit fehlendem Wohlwollen, was aber von Arbeitgeberinnen oft mit dem Argument der Wahrheitspflicht zurückgewiesen wird.
Inhalt des Arbeitszeugnisses
Das Arbeitszeugnis hat gemäss Obligationenrecht vollständig zu sein, es muss sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers äussern. Sodann spricht sich das Zeugnis in der Regel auch über eine Gesamtbeurteilung aus. Der Leistungsbeurteilung ist im Rahmen der Bewertung von Arbeitsmenge, Arbeitsgüte und Arbeitsbereitschaft ein objektiver Massstab zu Grunde zu legen. Auf Verlangen des Arbeitnehmers können auch Einzelleistungen aufgenommen werden. Im Rahmen der Beurteilung des Verhaltens wird die Interaktion mit Vorgesetzten und Kollegen sowie gegenüber Kunden und weiteren Dritten beurteilt.
Die wichtigen Funktionen des Arbeitnehmers sind in das Arbeitszeugnis aufzunehmen. Dabei ist auf die tatsächlich ausgeführte Tätigkeit und nicht die vertraglich vereinbarte Tätigkeit abzustellen. Insgesamt soll einem Dritten ermöglich werden, sich insgesamt ein zutreffendes Bild vom Arbeitnehmer zu machen. Die Beurteilung der Leistung und des Verhaltens beinhaltet naturgemäss Werturteile. Hier hat der Arbeitgeber nach verkehrsüblichen Massstäben und pflichtgemässem Ermessen vorzugehen.
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Autor: Nicolas Facincani
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