Im schweizerischen Arbeitsrecht herrscht grundsätzlich das Prinzip der Kündigungsfreiheit. Art. 336 OR enthält jedoch eine Auflistung von Gründen, welche eine Kündigung missbräuchlich erscheinen lassen. Die Aufzählung der Missbrauchstatbestände ist nicht abschliessend. Eine Kündigung kann auch in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) verstossen und deshalb zu einem Entschädigungsanspruch führen. Namentlich bei einer Verletzung der Fürsorgepflichten des Arbeitgebers (Art. 328 OR). Gemäss Art. 328 Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen. Er hat sich jedes durch den Arbeitsvertrag nicht gerechtfertigten Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers zu enthalten. Eine klare Verletzung dieser Pflicht im Zusammenhang mit der Entlassung kann den Missbrauch charakterisieren (BGE 132 III 115).

 

Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer

Gegenüber Arbeitnehmern im fortgeschrittenen Alter und mit einer langen Dienstzeit trifft den Arbeitgeber nach Ansicht des Bundesgerichts eine erhöhte Fürsorgepflicht. Bei solchen Arbeitnehmern ist der Art und Weise der Kündigung deshalb besondere Beachtung zu schenken. Das Bundesgericht hat aus der erhöhten Fürsorgepflicht gestützt auf das Gebot der schonenden Rechtsausübung folgende Handlungspflichten für den Arbeitgeber abgeleitet: Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer rechtzeitig über die beabsichtigte Kündigung zu informieren und anzuhören. Sodann ist der Arbeitgeber verpflichtet, nach Lösungen zu suchen, welche eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses ermöglichen (BGer 4A_384/2014 vom 12. November 2014). Demgegenüber hat das Bundesgericht nicht festgelegt, ab welchem Alter und welcher Dienstzeit von einem langjährigen älteren Arbeitnehmer auszugehen ist (siehe hierzu etwa FACINCANI/BAZELL, in: ETTER/FACINCANI/SUTTER (Hrsg.), Arbeitsvertrag, 336 N 56 ff.).

 

BGer 4A_44/2021 vom 2. Juni 2021

Im Entscheid BGer 4A_44/2021 vom 2. Juni 2021 hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Entlassung eines CEO missbräuchlich war. Dies wurde zunächst von den kantonalen Gerichten bejaht, vom Bundesgericht aber verneint.

 

Sachverhalt

Dem Entscheid BGer 4A_44/2021 vom 2. Juni 2021 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Arbeitnehmer war während rund 37 Jahren ohne schriftlichen Arbeitsvertrag bei der Arbeitgeberin angestellt. Dabei gehörte er zuletzt dem Verwaltungsrat der Arbeitgeberin an und war Vorsitzender der Geschäftsleitung. Weiter war er Minderheitsaktionär der C.________ AG, in deren Besitz sich sämtliche Aktien der Arbeitgeberin befinden. Am 25. August 2016 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mittels ordentlicher Kündigung. Das Arbeitsverhältnis endete schliesslich am 31. Mai 2017.

 

Erwägungen der Vorinstanz

Für das obere kantonale Gericht war die Kündigung missbräuchlich, die mit der folgenden Begründung: Bei der Frage, wann die Art und Weise einer Kündigung missbräuchlich sei, komme dem Alter des Arbeitnehmers wiederum eine grosse Bedeutung zu. Die Rechtsprechung habe die privatrechtliche Kündigungsfreiheit in Bezug auf ältere Mitarbeitende dahingehend eingeschränkt, als dass diese Arbeitnehmerkategorie von einer erhöhten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers profitiere. Ein älterer Arbeitnehmer sei somit über die beabsichtigte Kündigung zu informieren und anzuhören. Zudem solle nach alternativen Lösungen gesucht werden. Der Arbeitnehmer sei zum Zeitpunkt der Kündigung 60 Jahre alt gewesen und habe während rund 37 Jahren für die Beschwerdeführerin gearbeitet. Er gehöre damit zweifellos in die besonders geschützte Arbeitnehmerkategorie. Die Beschwerdeführerin mache nicht geltend, sie habe den Arbeitnehmer vorgängig informiert oder angehört. Die Kündigung erweise sich somit bereits aus diesem Grund als missbräuchlich.

 

Ablehnende Begründung des Bundesgerichts

Die Arbeitgeberin rügte daher vor Bundesgericht eine Verletzung von Art. 336 OR (d.h. die kantonalen Gerichte hätten Art. 336 OR falsch angewendet). Sie macht geltend, die von der Vorinstanz erwähnten Umstände vermöchten keine missbräuchliche Kündigung zu begründen. Die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon aus, eine privatrechtliche Kündigung bedürfe einer vorherigen Anhörung. Auch die von ihr verlangte vorgängige Abmahnung sei im Falle eines CEO nicht erforderlich. Ebenso unbegründet sei der Vorwurf, keine alternative Lösung gesucht zu haben. Der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft sei nicht verpflichtet, mit einem CEO vor einer Kündigung alternative Lösungen zu suchen.

Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass das Arbeitsrecht grundsätzlich keine Pflicht kenne, die Gegenpartei vor Aussprechen einer Kündigung anzuhören oder sie zunächst zu verwarnen. Ebenso wenig bestehe im Privatrecht eine generelle Pflicht, eine erwogene Kündigung zunächst einer Verhältnismässigkeitsprüfung in dem Sinne zu unterziehen, dass vor einer Kündigung immer zuerst mildere Massnahmen zu ergreifen wären.

 

Zur Alterskündigung

Die Vorinstanz war – mit Verweis auf das Urteil BGer 4A_384/2014 vom 12. November 2014 – der Ansicht, bei älteren Arbeitnehmern mit langer Betriebszugehörigkeit bestünden solche Pflichten als Ausfluss einer erweiterten Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin. Dort hatte das Bundesgericht erwogen, für Arbeitnehmer im fortgeschrittenen Alter und mit langer Dienstzeit gelte eine erhöhte Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin und leitete daraus Pflichten der Arbeitgeberin vorgängig zu einer Kündigung (vorgängige Information und Anhörung, Suche nach alternativen Lösungen) ab (zit. Urteil BGer 4A_384/2014 vom 12. November 2014 E. 4.2.2).

In BGE 132 III 115 hatte das Bundesgericht entschieden, dass ein Arbeitgeber missbräuchlich handle, wenn er einen Heizungsmonteur nach 44 klaglosen Dienstjahren nur wenige Monate vor der Pensionierung ohne betriebliche Notwendigkeit und ohne nach einer sozialverträglicheren Lösung gesucht zu haben, entlässt. Das Bundesgericht hielt aber in BGer 4A_44/2021, E. 4.3.2, fest, dass in einem späteren Urteil das Bundesgericht klargestellt habe, bei BGE 132 III 115 habe es sich um einen aussergewöhnlichen, gar extremen Fall gehandelt (Urteil 4A_419/2007 vom 29. Januar 2008 E. 2.5). Demgemäss dürfte keine isolierte Betrachtung nur des Alters des Arbeitnehmers stattfinden, sondern es ist auf die gesamten Umstände des Einzelfalls abzustellen.

Das Bundesgericht kritisierte in der Folge, die Vorinstanz habe zu Unrecht einzig das Alter und die lange Dienstzeit des Arbeitnehmers isoliert berücksichtigt und daraus spezifische Pflichten der Arbeitgeberin abgeleitet, welche diese nicht erfüllt habe, womit von einer missbräuchlichen Kündigung auszugehen sei. Sie sei jedoch nicht auf die spezifische Stellung des Arbeitnehmers innerhalb des Unternehmens ein. Der Arbeitnehmer war gemäss den unbestrittenen vorinstanzlichen Feststellungen Verwaltungsratsmitglied und Vorsitzender der Geschäftsleitung gewesen. Es habe sich somit nicht um einen „normalen“ Arbeitnehmer gehandelt. Er sei Geschäftsführer gewesen, habe erhebliche Entscheidkompetenzen gehabt und eine grosse Verantwortung getragen.

Die Arbeitgeberin habe daher, so das Bundesgericht, zurecht geltend gemacht, sie sei grundsätzlich nicht verpflichtet gewesen, mit dem Vorsitzenden der Geschäftsleitung nach alternativen Lösungen zu einer Kündigung zu suchen. Dies würde zudem voraussetzen, dass das Arbeitsverhältnis überhaupt in irgendeiner Form weitergeführt werden könnte. Bei einem Vorsitzenden der Geschäftsleitung dürfte sich eine Weiterbeschäftigung im Unternehmen in einer anderen Form, zum Beispiel in einer Unterabteilung, eher schwierig gestalten, wie die Arbeitgeberin zu Recht ausgeführt habe.

Gemäss Bundesgericht würde die Ausübung des an und für sich bestehenden Rechts zur Kündigung nur eingeschränkt, wenn dies zu einem krassen Missverhältnis der Interessen führen würde (BGE 132 III 115, E. 2.4). Bei einem Geschäftsführer, der erhebliche Entscheidkompetenzen habe und grosse Verantwortung habe, sei das Interesse der Arbeitgeberin an der Kündigungsfreiheit entsprechend hoch zu gewichten. Im Rahmen der Abwägung sei sodann (zumindest ergänzend) auch der relativ hohe Lohn des Arbeitnehmers mit zu berücksichtigen. Die Kündigung es damit nicht in missbräuchlicher Art und Weise erfolgt.

 

Beiträge betreffend den Schutz älterer Arbeitnehmer:

 

Weitere Beiträge zur missbräuchlichen Kündigung (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani

 

 

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