Kündigungen sind missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen werden, wenn der Arbeitnehmer ein verfassungsmässiges Recht ausübt. In diesem Zusammenhang hatte sich das Kantonsgericht St. Gallen im Entscheid BO.2024.11-K3 vom 27. Dezember 2024 mit dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit auseinanderzusetzen.

Umfasst der grundrechtliche Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit auch unhaltbare oderoffensichtlich falsche, provozierende oder schockierende Äusserungen.  Aber wie weit geht er?

 

Sachverhalt

Anfang September 2021 publizierte der Arbeitnehmer auf seinem privaten Mobiltelefon über die «Status»-Funktion von WhatsApp eine dreiteilige «Story»: Im ersten Teil der Story soll es sich gemäss dem Arbeitnehmer um eine Mitteilung gehandelt haben, wonach die Gerichte in Spanien die Covid-Zertifikatspflicht gekippt sowie die USA die Zertifikatspflicht zurückgezogen bzw. verboten hätten. Von dieser Mitteilung gibt es keinen Screenshot. Im zweiten Teil der Story ging es um den Screenshot einer Mitteilung des Bundesrates vom April 2021, die auf der Homepage des BAG veröffentlicht wurde. Diese Mitteilung besagte, dass die Normalisierungsphase mit der Aufhebung der verbleibenden Corona-Massnahmen beginne, sobald alle impfwilligen erwachsenen Personen vollständig geimpft seien. Dem Screenshot hatte der Arbeitnehmer die folgende Bemerkung hinzugefügt: «Man kann alle Leute einige Zeit, einige Leute alle Zeit, aber niemals alle Leute alle Zeit zum Narren halten!». Im dritten Teil der Story – von der es auch einen Screenshot gibt – veröffentlichte der Arbeitnehmer das Bild eines «Gesundheitspasses» aus der nationalsozialistischen Zeit, samt Hakenkreuz, zusammen mit der Bemerkung «Die Geschichte wiederholt sich und wir, die das vorausgesehen hatten, sind die Verschwörungstheoretiker. Leider nicht, kann man dazu sagen».

Am 15. September 2021 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist und unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglich ausgeschlossenen Kündigungstermine.

Im Kündigungsschreiben führte die Arbeitgeberin aus, dass der Arbeitnehmer in der Vergangenheit bereits zweifach habe verwarnt werden müssen und diese Vorfälle in der Personalakte vermerkt seien. Eine der vorerwähnten Verwarnungen sei wegen Missachtung der behördlichen Weisung zum Tragen einer Atemschutzmaske erfolgt. Des Weiteren wurde Bezug genommen auf das im Whats-App-Status geteilte Bild des Gesundheitspasses aus der Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland. Mit der Formulierung «die Geschichte wiederholt sich» entstehe der Eindruck, bei den kantonalen und eidgenössischen Behörden handle es sich um Schergen des NS Regimes. Damit habe der Arbeitnehmer die eidgenössischen und kantonalen Behörden bewusst herabgesetzt. Als Betrieb, welcher kantonale Finanzhilfen erhalten habe, könne ein solches Verhalten nicht geduldet werden. Die Kündigung erfolge «aufgrund der vorerwähnten wiederholten Verfehlungen».

 

Missbräuchliche Kündigung

Nach Art. 336 Abs. 1 lit. b OR ist eine Kündigung missbräuchlich, die ausgesprochen wird, weil die andere Partei ein verfassungsmässiges
Recht ausübt, es sei denn, die Rechtsausübung verletze eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb. Die entlassene Partei muss das Vorliegen eines missbräuchlichen Kündigungsgrundes sowie die natürliche Kausalität dieses Grundes für die Kündigung behaupten und beweisen (Handkommentar SHK-FACINCANI/BAZZELL, 2021, Art. 336 OR N 65).

 

Die Meinungsäusserungsfreiheit

Nach Art. 16 Abs. 2 BV hat jede Person das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten. Die Garantie der freien Meinungsäusserung verleiht jedem Einzelnen das Recht, der Öffentlichkeit oder Privatpersonen Meinungen und Informationen ohne Behinderung durch Behörden mitzuteilen und sich dabei aller erlaubten und zweckmässigen Mittel zu bedienen (SG Kommentar BV-RECHSTEINER/ ERRASS, 2023, Art. 16 N 19). Lehre und Praxis gehen in der Auslegung von Art. 16 BV von einem weiten Begriff der Meinung aus. Er umfasst die «Gesamtheit der Mitteilungen menschlichen Denkens» unabhängig davon, ob diese rational fassbar oder emotional geprägt sind, ob sie dem Beweis zugänglich sind (Tatsachenbehauptungen) oder subjektive Standpunkte (eigene oder fremde Meinungen, Werturteile, persönliche Überzeugungen oder Empfindungen) wiedergeben. Wegen der Bedeutung der Meinungs- und Informationsfreiheit für den demokratischen und gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess sind insbesondre inhaltsbezogene Beschränkungen im Bereich des politischen Diskurses nur unter sehr restriktiven Umständen zulässig. Die gilt insbesondere auch, wenn ein für die Gesellschaft wichtiges Thema betroffen ist, wie z.B. die öffentliche Gesundheit. Insbesondere Mitglieder der Regierung, Politiker und andere Machtträger haben ein grösseres Mass an Kritik zu tolerieren. Hingegen sind laut Bundesgericht die Grenzen der zulässigen Kritik überschritten, wenn ein Politiker mittels einer Fotomontage mit Adolf Hitler verglichen wird (Pra 101 [2012] Nr. 53; BSK BV-HERTIG, Art. 16 N 42; SG Kommentar BV-RECHSTEINER/ ERRASS, Art. 16 N 42).

 

Beurteilung durch das Kantonsgericht

Das Kantonsgericht St. Gallen vertritt die Ansicht, dass die Meldungen im Whats-App-Statutes durch die Meinungsäusserung geschützt sei. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit umfasst auch unhaltbare oderoffensichtlich falsche, provozierende oder schockierende Äusserungen: In einer Demokratie darf die Mehrheit die Minderheit nicht zum Schweigen bringen (E. III. 3b). Eine WhatsApp-Story, in der u.a. das Corona-Zertifikat mit dem Gesundheitspass aus der Nazi-Zeit (samt Hakenkreuz) verglichen wird, mag zwar geschmacklos und unangemessen sein, überschreitet den zulässigen Rahmen von Art. 16 Abs. 2 BV aber nicht (E. III. 4).

Während der Kläger diese Einschätzung der Vorinstanz teilt, vertritt die Beklagte auch im Berufungsverfahren die Auffassung, der Kläger habe die Coronapolitik des Bundesrates mit den Verbrechen der NS-Zeit gleichgesetzt und seine Äusserung mit dem nationalsozialistischen Gesundheitspass verbildlicht. Damit vergleiche er bewusst die Führung des Bundesrates mit derjenigen Hitlers, dem grössten Verbrecher des zwanzigsten Jahrhunderts, was nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht mehr von der Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt sei. Die vorinstanzliche Ansicht, dass die Äusserung in der WhatsApp-Story als schützenswerte Minderheitsmeinung gelte, sei somit falsch (Berufungsantwort, N 10a mit Hinweis auf Klageantwort, N 25a). Indessen vergleicht der Kläger den Bundesrat nicht mit Hitler und seinen Verbrechen, sondern den Gesundheitspass der NS-Zeit mit dem Corona-Zertifikat, was nicht dasselbe ist. Zwar mag auch dieser Vergleich geschmacklos, schockierend und unangemessen erscheinen, er überschreitet den zulässigen Rahmen von Art. 16 Abs. 2 BV allerdings nicht (vgl. E. 3b hiervor). Auch ergibt sich aus den Äusserungen des Klägers weder eine Leugnung des Holocausts (SG Kommentar BV-RECHSTEINER/ERRASS, Art. 16 N 44 m.w.H.), noch stellt sie eine Rassendiskriminierung dar (Kommentar BV-RECHSTEINER/ERRASS, Art. 16 N 43 m.w.H.). Auch eine Sympathie für nationalsozialistisches Gedankengut kann daraus nicht abgeleitet werden (BGer 8C_740/2017). Schliesslich ist die Verwendung eines Hakenkreuzes an sich in der Schweiz (noch) nicht strafbar (vgl. SDA-Meldung Bundesversammlung vom 17. April 2024 betreffend Hakenkreuzverbot). Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass die beiden durch Screenshots belegten WhatsApp-Nachrichten im Status von der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sind (vgl. aber E. 7 hiernach).

Die vorinstanzliche Ansicht, dass die Äusserung in BO.2024.11-K3 12/23 der WhatsApp-Story als schützenswerte Minderheitsmeinung gelte, sei somit falsch (Berufungsantwort, N 10a mit Hinweis auf Klageantwort, N 25a). Indessen vergleicht der Kläger den Bundesrat nicht mit Hitler und seinen Verbrechen, sondern den Gesundheitspass der NS-Zeit mit dem Corona-Zertifikat, was nicht dasselbe ist. Zwar mag auch dieser Vergleich geschmacklos, schockierend und unangemessen erscheinen, er überschreitet den zulässigen Rahmen von Art. 16 Abs. 2 BV allerdings nicht (vgl. E. 3b hiervor). Auch ergibt sich aus den Äusserungen des Klägers weder eine Leugnung des Holocausts (SG Kommentar BV-RECHSTEINER/ERRASS, Art. 16 N 44 m.w.H.), noch stellt sie eine Rassendiskriminierung dar (Kommentar BV-RECHSTEINER/ERRASS, Art. 16 N 43 m.w.H.). Auch eine Sympathie für nationalsozialistisches Gedankengut kann daraus nicht abgeleitet werden (BGer 8C_740/2017). Schliesslich ist die Verwendung eines Hakenkreuzes an sich in der Schweiz (noch) nicht strafbar (vgl. SDA-Meldung Bundesversammlung vom 17. April 2024 betreffend Hakenkreuzverbot). Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass die beiden durch Screenshots belegten WhatsApp-Nachrichten im Status von der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sind (vgl. aber E. 7 hiernach).

Das Kantonsgericht sah aber nicht erstellt, dass dem Arbeitnehmer wegen dem Whats-App-Status gekündigt wurde. Es gelang dem Arbeitnehmer nicht den diesbezüglichen Nachweis zu erbringen.

 

Weitere Beiträge zur missbräuchlichen Kündigung (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani

 

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