Immer wieder ist streitig, ob Vergütungen des Arbeitgebers freiwillig oder geschuldet sind, so auch im Sachverhalt, welcher dem Entscheid 4A_506/2023 vom 19. Februar 2025 zugrunde lag:
Mit Vertrag vom 2. September 2019 stellte die C.________ SA den Arbeitnehmer mit sofortiger Wirkung als „Head of Middle Office & Business Process Improvement & Monitoring“ ein. Das vereinbarte Jahresgehalt betrug 448.800 Fr. brutto, zahlbar in zwölf Raten. Der Vertrag sah auch einen jährlichen Bonus nach Ermessen des Arbeitgebers von bis zu 20 % des Jahresgehalts vor.
Der Vertrag sah ferner vor, dass die Vergütung eine Entschädigung für Restricted Stock Units umfasste, die der Arbeitnehmer im Rahmen seiner vorherigen Beschäftigung hätte erhalten sollen, und zwar in Höhe von insgesamt 700.000 CHF. Diese Entschädigung sollte in drei gleichen Tranchen gezahlt werden, die erste bei der Einstellung, die zweite nach 12 Monaten Dienstzeit und die dritte nach 24 Monaten Dienstzeit.
In der Folge wurde das Arbeitsverhältnis per 31. August 2020 beendet (Massenentlassung).
Forderungen des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer machte vor Gericht eine Verletzung der Art. 97, 156, 322, 322d, 339 und 340c OR geltend. Ihm zufolge sei die zwischen den Parteien vereinbarte Prämie von 700.000 CHF, zahlbar in drei gleichen Raten, die erste bei der Einstellung, die zweite nach 12 Monaten im Dienst der Arbeitgeberin und die dritte nach 24 Monaten, ihm in voller Höhe als Gehalt mit Zinsen ab dem 1. September 2020 geschuldet. Die Vorinstanz habe gegen das Gesetz verstossen, wenn es diese Vergütung als Gratifikation betrachtet hätte, auf die der Arbeitnehmer nur Anspruch hätte, wenn er zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Tranchen noch beschäftigt wäre.
Arten der Vergütung
Bei der Vergütung sind die folgenden drei Fälle zu unterscheiden: (1) das variable Gehalt, (2) die Gratifikation, auf die der Arbeitnehmer Anspruch hat, und (3) die Gratifikation, auf die er keinen Anspruch hat. Nur wenn der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die Gratifikation hat – Fall Nr. 3 – stellt sich die Frage der Umqualifizierung des Bonus in Lohn, aufgrund des Grundsatzes der Akzessorietät bei niedrigen oder mittleren bis höheren Löhnen, während dieser Grundsatz für sehr hohe Einkommen nicht anwendbar ist (Urteile 4A_587/2020 vom 28. Mai 2021, E. 12; 4A_280/2020 vom 3. März 2021; 4A_230/2019 vom 20. September 2019, E. 3 und die zitierten Urteile).
Der Fall Nr. 1 liegt vor, wenn ein Betrag (auch als Bonus oder Gratifikation bezeichnet) festgelegt oder objektiv bestimmbar ist, d. h. wenn er grundsätzlich vertraglich zugesagt wurde und seine Höhe auf der Grundlage vorab festgelegter objektiver Kriterien wie Gewinn, Umsatz oder Beteiligung am Betriebsergebnis festgelegt ist oder festgelegt werden muss und nicht vom Ermessen des Arbeitgebers; dann ist er als (variabler) Lohnbestandteil anzusehen, den der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu zahlen hat (Art. 322 f. OR; BGE 141 III 407 E. 4.2.1; 136 III 313 E. 2; 129 III 276 E. 2).
Hingegen liegt eine Gratifikation vor – in den Fällen Nr. 2 und 3 -, wenn der Bonus unbestimmt oder objektiv unbestimmbar ist (BGE 141 III 407 E. 4.2.2; 139 III 155 E. 3.1; Urteil 4A_485/2016 vom 28. April 2017, Erw. 4.1.2).
Bedingungen bei der Gratifikation
Der Arbeitgeber kann die Zahlung der Gratifikation von der Erfüllung von Bedingungen abhängig machen, im Rahmen von Art. 27 Abs. 2 ZGB (Urteile 4A_219/2013 vom 4. September 2013, Erw. 3.1; 4C.426/2005 vom 28. Februar 2006, Erw. 5.1). So ist es zulässig, zu verlangen, dass der Arbeitnehmer bei Fälligkeit der Gratifikation tatsächlich im Unternehmen beschäftigt ist, oder dem Arbeitnehmer, der zum Zeitpunkt des Anlasses für die Gratifikation noch im Dienst des Arbeitgebers steht, keine oder eine reduzierte Gratifikation zu gewähren, dessen Arbeitsverhältnis jedoch bereits gekündigt wurde (Urteile 4A_513/2017 vom 5. September 2018, E. 5.1; 4A_26/2012 vom 15. Mai 2012, E. 5.2.2; 4A_502/2010 vom 1. Dezember 2010, E. 2.2; 4A_509/2008 vom 3. Februar 2009, Erw. 4.1; 4A_115/2007 vom 13. Juli 2007, Erw. 4.3.1; 4C.426/2005, a. a. O., Erw. 5.1). Hingegen kann die Zahlung des Lohns nicht von der Anwesenheit des Arbeitnehmers im Unternehmen oder der Nichtkündigung seines Vertrags abhängen; die Funktion des Lohns selbst spricht dagegen. Eine solche Klausel ist unzulässig und nichtig, soweit sie sich auf einen Bestandteil des Lohns bezieht (Art. 20 Abs. 2 OR; vgl. BGE 109 II 447 E. 5c; Urteile 4A_158/2019 vom 26. Februar 2020, Erwägung 4; 4C.426/2005, Erwägung 5.2).
Entscheid der Vorinstanz
Im vorliegenden Fall hat das kantonale Gericht die Vereinbarung über den in drei Tranchen gezahlten Betrag von 700.000 Franken als Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR qualifiziert, ohne den bestimmten oder unbestimmten Charakter der Vergütung zu erörtern. Anschließend legte sie den Vertrag aus und stellte den tatsächlichen Willen der Parteien fest, wonach sie vereinbart hätten, die Zahlung jeder der drei Tranchen davon abhängig zu machen, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt jeder Zahlung noch beschäftigt ist. Da das Arbeitsverhältnis am 31. August 2020 endete und das vom Kantonsgericht festgelegte Datum für die Fälligkeit der Zahlung der zweiten Tranche am 2. September 2020, war das Gericht der Ansicht, dass der Arbeitnehmer die Bedingung, noch im Dienst des Arbeitgebers zu stehen, nicht erfüllt hatte, sodass er keinen Anspruch auf die Zahlung der Tranche von 233.333 Fr. hatte.
Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht entschied wie folgt:
Die Zahlung des Betrags von 700.000 Fr. wurde im Arbeitsvertrag vereinbart. Der Betrag wurde im Voraus festgelegt, ebenso wie die Termine, an denen jede Tranche ausgezahlt werden sollte. Der Betrag wurde grundsätzlich zu festen Terminen zugesagt und hängt nicht vom guten Willen des Arbeitgebers ab. Die erfüllten Bedingungen führen zu Qualifikation als Lohn und schliessen die Qualifikation als Gratifikation aus.
Daher sei die Klausel, die die Zahlung des Lohns davon abhängig macht, dass der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt noch beschäftigt ist, um Anspruch auf die Zahlung des Lohns zu haben, rechtswidrig und nichtig (Art. 20 Abs. 2 OR). Der Arbeitnehmer habe Anspruch auf Zahlung eines Teils dieses Betrags, der der geleisteten Arbeitszeit habe. Da das Vorinstanz feststellte, dass der Arbeitnehmer vom 2. September 2019 bis zum 31. August 2020 (einschliesslich) beschäftigt war, wurde er an 365 von 366 Tagen (2020 ist ein Schaltjahr) eingestellt, was ihm Anspruch auf die vollständige Zahlung von 233.333 Fr. geben würde. Letztendlich hat er pro rata temporis Anspruch auf die Zahlung des Betrags von 232’695 Fr. 50 brutto als Lohn.
Da die Forderungen aus dem Arbeitsvertrag mit Beendigung des Vertrags fällig wurden (Art. 339 Abs. 1 OR), begannen die Zinsen von 5 % pro Jahr ab dem 1. September 2020 zu laufen.
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Autor: Nicolas Facincani
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