Georges Chanson, Fachanwalt SAV Arbeitsrecht, CHANSON Anwalt, www.arbeitsrechtler.ch
Bestätigung gewisser Bedingungsfeindlichkeit bei Lohn
Ich bin kürzlich auf einen französisch redigierten Entscheid des Bundesgerichts aufmerksam geworden, der – neben der hier nicht behandelten Thematik einer missbräuchlichen Kündigung – die Rechtsprechung, wonach bei Lohn Bedingungen, insbesondere jene eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses, unzulässig sind, bestätigt. Es handelt sich um BGer 4A_506/2023 vom 19.02.2025, der Anfang April ins Internet gestellt wurde. Der vorangehende Entscheid der Chambre des prud’hommes de la Cour de justice GE ist soweit ersichtlich nicht im Internet publiziert.Auszüge aus dem Wortlaut des Entscheids samt einer gegenübergestellten automatisierten Übersetzung ins Deutsche samt Auszügen aus zwei weiteren früheren Entscheiden habe ich in einer Sammeldatei zusammengefügt.
Konkret ging es um einen Mitarbeiter einer Erdölhandelsfirma, dem eine Entschädigung als Ersatz für Beteiligungen, die er an der vorherigen Stelle erhalten hätte, versprochen war. Es handelte sich um einen SignOn-Bonus von insgesamt 700’000 Franken, zahlbar in 3 gleichen Tranchen, bei Einstellung (bei Stellenantritt am 02.09.2019), nach 12 und nach 24 Monaten. Der Arbeitnehmer wurde noch an eine Drittfirma verliehen, was die Existenz von insgesamt 3 beklagten Gesellschaften erklärt. Es lief auch ein Massenentlassungsverfahren, in dessen Verlauf die Zahlung der zweiten Tranche offeriert wurde, wenn auf die dritte verzichtet würde, was der Arbeitnehmer ablehnte. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Arbeitgeberkündigung Ende August 2020. Das Tribunal des prud’hommes wies alle finanziellen Forderungen des Arbeitnehmers ab, während die zweite Instanz ihm noch fast 22’000 Franken als Ferienentschädigung zusprach. Den SignOn-Bonus betrachtete sie als Gratifikation, auf die der Arbeitnehmer nur unter der Bedingung Anspruch hätte, dass er an den Fälligkeitsterminen der Raten noch angestellt ist. Dabei ging es davon aus, dass der 02.09.2020 das Fälligkeitsdatum für die zweite Rate gewesen wäre, während das Arbeitsverhältnis am 31.08.2020 geendet hat.
Diese Qualifikation als Gratifikation verwarf das Bundesgericht in der E. 4.3. meines Erachtens zu Recht. Die Zahlung dieser im Voraus fest vereinbarten 700’000 Franken sei im Arbeitsvertrag festgelegt worden und auch die Fälligkeitstermine der einzelnen Tranchen. Und weiter (frei übersetzt): Der Betrag wurde im Prinzip zu festen Terminen zugesagt und hing nicht vom guten Willen des Arbeitgebers ab. Die erfüllten Bedingungen implizieren die Einstufung als Lohn und schliessen die Einstufung als Gratifikation aus. Eine Gratifikation könne im Rahmen von Art. 27 Abs. 2 ZGB an Bedingungen geknüpft werden, wozu in E. 4.1.2 verschiedene Beispiele angeführt werden. Anders sei es dagegen bei Lohn (wiederum frei übersetzt): Hingegen darf die Lohnzahlung nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer im Betrieb anwesend ist oder seinen Vertrag nicht kündigt; die Funktion des Lohns selbst steht dem entgegen. Eine solche Klausel ist unzulässig und nichtig, soweit sie sich auf einen Lohnbestandteil bezieht (Art. 20 Abs. 2 OR). Diese doch ziemlich lapidare Feststellung wird mit dem Hinweis auf drei Entscheide (alle französisch redigiert, der erste und dritte in der Sammeldatei auszugsweise enthalten) ergänzt:
- ATF 109 II 447 E. 5c (vom 01.11.1983)
- TF 4A_158/2019 vom 26.02.2020 E. 4;
- TF 4C.426/2005 vom 28.02.2006 E. 5.2)
Dabei hat der Entscheid vom 26.02.2020 lediglich den Wert einer Bestätigung, indem er unter Verweis in E. 4 auf die beiden anderen vorstehenden Entscheide und auf Art. 20 Abs. 2 OR im Wesentlichen festhält, dass die Zahlung des Lohns nicht von der Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb oder von der Nichtkündigung seines Vertrags abhängig gemacht werden dürfe; die Funktion des Lohns selbst stehe dem entgegen. Eine solche Klausel sei unzulässig und nichtig, da sie sich auf einen Lohnbestandteil bezieht. Aus der Begründung des amtlich publizierten Entscheids von 1983 ist nur ersichtlich, dass eine als Gratifikation vereinbarte Summe in Tat und Wahrheit ein Lohnbestandteil und deshalb im Austrittsjahr pro rata geschuldet war. Als Gegenleistung für geleistete Arbeit müsse sie entsprechend der Dauer des Arbeitsverhältnisses bezahlt werden. Ob es konkrete Bedingungen für diese Gratifikation gab oder nicht, lässt sich dem Sachverhalt des nur auszugsweise publizierten Entscheids nicht entnehmen. Dieses Urteil ist nach meinem Verständnis beschränkt geeignet, die Begründung der angeblichen Bedingungsfeindlichkeit von Lohn zu untermauern. Allerdings lässt sich von ihm ableiten, dass ein Lohnbestandteil, der für eine längere Periode, insbesondere für ein Jahr, bestimmt ist, pro rata geschuldet bleibt, wenn der Vertrag vor Ablauf dieser Periode endet.
Es bleibt deshalb die Frage, was der vor gut 19 Jahren erlassene Entscheid 4C.426/2005 dazu hergibt. Dort war vor Bundesgericht nicht mehr strittig, dass der betreffende Bonus ein Lohnbestandteil war. Entsprechend war in E. 5.2 nur noch zu prüfen, ob es nach schweizerischem Recht zulässig ist, die Entstehung des Anspruchs auf Zahlung eines Lohnbestandteils davon abhängig zu machen, dass der Arbeitnehmer noch im Betrieb anwesend ist und weder eine Kündigung erhalten noch ausgesprochen hat. Das hatten die Genfer Vorinstanzen und dann auch das Bundesgericht verneint. Letzteres mit der Begründung, Lohn nach Art. 322 Abs. 1 OR sei eine Geldleistung, die als Gegenleistung für geleistete Arbeit erbracht wird. Es handle sich um einen wesentlichen Bestandteil des Arbeitsvertrages. Die Funktion des Lohns selbst schliesse es somit aus, dass der Arbeitgeber die Vergütung einer bereits erbrachten Arbeitsleistung davon abhängig machen könne, dass der Arbeitnehmer noch im Betrieb ist. Daran ändere nichts, dass Art. 322 OR nur dispositiv sei und auch nach Ansicht des Bundesgerichts nicht unter das Verzichtsverbot von Art. 341 Abs. 1 OR falle. Dies gelte jedoch nur für die Zukunft und Vereinbarungen über Lohnreduktionen könnten sich nicht auf bereits erbrachte Arbeitsleistungen beziehen. Die von den Parteien vereinbarte Zusatz-Bedingung, dass der Arbeitnehmende an den Bonus-Auszahlungsterminen tatsächlich und kündigungsfrei im Unternehmen anwesend sei, erweise sich als unzulässige Bedingung und müsse daher als nichtig betrachtet werden, da sie sich auf einen Lohnbestandteil bezieht, was mit Verweis auf Art. 20 Abs. 1 OR untermauert wird.
Diese Rechtsprechung aus dem Jahr 2006 wurde soweit ersichtlich nie grundlegend überprüft, sondern ohne neue Argumente mit Verweisen auf diesbezüglich weniger ausführliche Entscheide bestätigt. Sie wurde sowohl vom Zürcher Arbeitsgericht (von diesem einmal als gefestigt bezeichnet, EAGZ 2022 Nr. 5, dort E. 3.2, S. 18 in der Broschüre) und vom Zürcher Obergericht (als feste Praxis, LA170033-O, dort E. II.2.4) übernommen, ist aber auch mehrfach kritisiert worden. Bereits 2007 zeigte sich Conradin Cramer in seiner Dissertation über den Bonus im Arbeitsvertrag nicht überzeugt (dort Rz. 502, S. 166). Eine stark erweiterte Zweitauflage dieses Werks mit Beizug von Alfred Blesi und René Hirsiger als Co-Autoren ist übrigens derzeit in der Endphase und soll in diesem Sommer erscheinen. Auch die Wetziker Kommentatoren Streiff/von Kaenel/Rudolph sind der Meinung, es sei schwer begründbar, dass Lohn nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden kann und verweisen in N9 zu Art .322d OR auf andere kritische Stimmen und einen Aufsatz von Peter Reinert (AJP 2009 S. 9), der offenlegt, dass nach dieser Praxis konsequenterweise auch Dienstaltersgeschenke pro rata bezahlt werden müssten, weil sie ja eigentlich auch an eine zeitliche Bedingung geknüpfter Lohn sind. Klare Worte verwendet Roger Rudolph in seiner Habitlitationsschrift über die richterliche Rechtsfindung im Arbeitsrecht (2021, dort Rz. 501) indem er ausführt, dass die Begründung des Bundesgerichts für die von ihm vertretene Bedingungsfeindlichkeit ausgesprochen dünn und wenig greifbar ausfällt. Die Praxis des Bundesgerichts, die immer wieder auf diesen einen Entscheid 4C.426/2005 vom 28.02.2006 zurückgreift, übersieht m.E. auch, dass Boni – selbst, wenn sie ermessensfrei bestimmbar sind – durchaus auch einen Anreizcharakter für das Verbleiben im Unternehmen, also für die Zukunft, haben können.
In der Sache hat das Bundesgericht die hier beschriebene Streitigkeit so gelöst, dass es die Zusatzvereinbarung über die Auszahlung des SignOn-Bonus in drei Raten nicht vollumfänglich unwirksam betrachtet, sondern davon eine pro rata-Teil bis zum Austritt zugesprochen hat. Deshalb wurden dem Arbeitnehmer nicht die volle zweite Rate zugesprochen, weil sein Vertrag zwei Tage vor Fälligkeit endete. Die anscheinend auch vor Bundesgericht verlangte dritte Rate (fällig am 02.09.2021) wies dieses mit dem Satz ab, da der Arbeitnehmer nicht über den 1. September 2020 hinaus gearbeitet hat, habe er keinen Anspruch auf einen Lohnanteil, der sich auf einen Zeitraum nach diesem Datum bezieht. Für die sich dabei stellende Frage, ob der Arbeitnehmer nicht auch mit einer Vereitelung nach Art. 156 OR hätte argumentieren müssen, gibt der bloss aus dem bundesgerichtlichen Urteil bekannte Sachverhalt zu wenig her. Allerdings hätte die bundesgerichtliche Verneinung einer missbräuchlichen Kündigung eine solche Argumentation sicher erschwert.
Autor: Georges Chanson, Fachanwalt SAV Arbeitsrecht, CHANSON Anwalt, www.arbeitsrechtler.ch
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