Liegt eine missbräuchliche Kündigung vor, so kann die gekündigte Partei eine Entschädigung verlangen. Die wird vom Richter festgesetzt und darf den Betrag von 6 Monatslöhnen nicht übersteigen. Wurde das Konsultationsverfahren im Rahmen einer Massenentlassung nicht eingehalten, beträgt der Betrag maximal 2 Monatslöhne.
Wer eine Entschädigung geltend machen will, muss gegen die Kündigung längstens bis zum Ende der Kündigungsfrist beim Kündigenden schriftlich Einsprache erheben (Art. 336b Abs. 1 OR). Er muss die Tatsachen behaupten und beweisen, gestützt auf die das Gericht schliessen kann, dass er gegen die angeblich missbräuchliche Kündigung Einsprache erhoben hat (BGE 149 III 304 E. 4; vgl. auch BGE 136 III 96 E. 2). Sodann muss innert 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klage einzuleiten.
Im Entscheid BGer 4A_212/2023 vom 11. Mai 2023 (BGE 149 III 304) hatte das Bundesgericht die Frage zu beantworten, ob es im Rahmen einer Klage auf Entschädigung wegen einer behaupteten missbräuchlichen Kündigung grundsätzlich am Arbeitnehmer liegt, darzulegen bzw. zu behaupten, dass er rechtzeitig Einsprache erhoben habe, oder ob grundsätzlich von der gültigen und rechtzeitigen Einsprache ausgegangen werden kann, bis der Arbeitgeber die Rechtzeitigkeit und/oder das Vorliegen einer Einsprache überhaupt bestreitet.
Gemäss Bundesgericht ist es am Arbeitnehmer, aufzuzeigen, dass die Voraussetzungen für die Begründung seines Anspruchs auf die Entschädigung erfüllt sind, d.h. er muss die tatsächlichen Umstände behaupten und beweisen, aus denen der Richter den Anspruch auf eine Entschädigung für die missbräuchliche Kündigung ableiten kann, der eine gültige Einsprache voraussetzt. Gegebenenfalls muss der Richter das Schreiben auslegen – das Gesetz verlangt die Schriftform -, um zu entscheiden, ob eine Einsprache im Sinne von Art. 336b OR vorliegt. Wird also durch den Arbeitnehmer nicht behauptet, dass er rechtzeitig eine Einsprache erhoben hat, kann die Klage auf eine Entschädigung nach Art. 336a OR nicht gutgeheissen werde
Entscheid BGer 4A_33/2025 vom 6. Mai 2025
Eine ähnliche, aber nicht gleiche, Fragestellung behandelte der Entscheid BGer 4A_33/2025 vom 6. Mai 2025. Die Arbeitgeberin berief sich im Verfahren vor dem Obergericht auf die Novenschranke gemäss Art. 229 ZPO und machte geltend, der Arbeitnehmer habe im Rahmen des Gerichtsverfahrens nicht rechtzeitig behauptet, dass er schriftlich Einsprache gegen die Kündigung erhoben habe. Der Arbeitnehmer seinerseits argumentierte, die fehlende Behauptung könne im Rahmen der gerichtlichen Fragepflicht nach Art. 56 ZPO korrigiert werden. Die Vorinstanz (Obergericht) lehnte die Ansicht des Arbeitgebers ab. Sie verwies auf die einschlägige Lehre. Demnach beinhaltet die gerichtliche Fragepflicht im Kern, dass das Gericht die Parteien auf mangelhafte Tatsachenvorträge hinweise, wobei die Mangelhaftigkeit nicht auf mangelnder prozessualer Sorgfalt beruhen dürfe. Tatsachenvorträge seien oftmals ungenügend, weil sie nicht den erforderlichen Detaillierungsgrad aufweisen. Damit die gerichtliche Fragepflicht zum Tragen komme, würde vorausgesetzt, dass die Parteien die betreffenden Tatsachen überhaupt behauptet haben. Entsprechend dürfe die gerichtliche Fragepflicht nicht dazu führen, dass das Gericht die Parteien auf Tatsachen aufmerksam mache, die von ihnen überhaupt nicht vorgetragen wurden. Die gerichtliche Fragepflicht befreie die Parteien nicht davon, die relevanten Tatsachen selbst vorzubringen und die entsprechenden Beweismittel einzubringen. Sie dürfe nicht auf eine Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen hinauslaufen, weil sonst eine Partei einseitig bevorteilt würde.
Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht schützte hingegen den Arbeitnehmer, welcher im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht anwaltlich vertreten war.
Der Arbeitnehmer legte mit präzisen Aktenhinweisen dar, dass er die Einsprache gegen die Kündigung zusammen mit dem Schlichtungsgesuch vom 30. März 2023 einreichte. In der verbesserten Klage verlangte er unter dem Titel „Beweislast“ den Beizug „aller bereits für das Schlichtungsverfahren vorgelegten Dokumente“. Auf der anderen Seite setzte sich die Arbeitgeberin in ihrer Klageantwort vom 17. Oktober 2023 mit der behaupteten Missbräuchlichkeit der Kündigung auseinander und nahm dabei Bezug auf ihre schriftliche Antwort vom 11. November 2022 auf die Einsprache vom 2. November 2022. Dies stellte auch die Erstinstanz so fest. Nach dem ersten Schriftenwechsel erliess die Erstinstanz die prozessleitende Verfügung vom 23. Oktober 2023. Darin machte sie den Arbeitnehmer darauf aufmerksam, dass er „Bestand, Höhe und Fälligkeit seiner Forderung zu beweisen“ habe. Gleichzeitig hielt sie ausdrücklich fest, dass die Akten des Schlichtungsverfahrens beigezogen würden. Bei dieser Ausgangslage habe die Erstinstanz (anders als das Obergericht) ohne Verletzung von Bundesrecht feststellen dürfen, dass der Arbeitnehmer am 2. November 2022 schriftlich Einsprache gegen die Kündigung erhoben hatte.
6.3.1. Denn alle am Verfahren beteiligten Personen haben nach Treu und Glauben zu handeln (Art. 52 Abs. 1 ZPO). Jede Partei hat grundsätzlich ein Recht auf Einhaltung der prozessualen Vorschriften. Sofern sich die Parteien im Rahmen der Vorgaben des Prozessrechts verhalten, ist bei der Anwendung von Art. 52 Abs. 1 ZPO grosse Zurückhaltung geboten. Allerdings fliesst bereits aus Art. 2 Abs. 1 ZGB der Grundsatz, dass alle in der Ausübung ihrer Rechte und in der Erfüllung ihrer Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln haben. Entsprechend weist die zivilprozessuale Lehre zu Recht darauf hin, dass es nicht erlaubt ist, sich bei der Abwehr solcher Rechte im Prozess einer Taktik zu bedienen, die mit Art. 52 Abs. 1 ZPO und Art. 2 Abs. 1 ZGB im Widerspruch steht. Die Gerichte dürfen nicht einer ungerechten oder gewissenlos geführten Sache zum Sieg verhelfen (MYRIAM A. GEHRI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 4. Aufl. 2024, N. 4 zu Art. 52 ZPO mit Hinweis auf MAX GULDENER, Treu und Glauben im Zivilprozess, SJZ 1943, S. 389 ff. und 405 ff.). Den Parteien ist es aufgrund von Art. 52 Abs. 1 ZPO untersagt, mutwillig unwahre Tatsachenbehauptungen aufzustellen und wahre Tatsachen wissentlich zu bestreiten (Urteil 4A_221/2015 vom 23. November 2015, nicht publ. in: BGE 141 III 549).
Die Beschwerdegegnerin hatte den Empfang der Einsprache gegen die Kündigung am 11. November 2022 schriftlich bestätigt. Dieses Schreiben brachte der Beschwerdeführer in das Verfahren ein. Die Beschwerdegegnerin nahm in ihrer Klageantwort sogar selbst darauf Bezug. Die Beschwerdegegnerin handelte treuwidrig, indem sie nach Eintritt der Novenschranke plötzlich geltend machte, der Beschwerdeführer habe nicht behauptet, dass er rechtzeitig Einsprache gegen die Kündigung erhoben habe.
6.3.2. Die Beschwerdegegnerin verweist auch im bundesgerichtlichen Verfahren auf BGE 149 III 304. Allerdings unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von jenem Fall. In BGE 149 III 304 entschied das Bundesgericht die Grundsatzfrage, wer die Beweis- und Behauptungslast für die rechtzeitige Einsprache gegen die Kündigung nach Art. 336b Abs. 1 OR trägt (vgl. dort E. 4 und die Regeste: „Le demandeur doit alléguer et prouver les circonstances factuelles dont le juge peut inférer qu’il a formé opposition au congé prétendument abusif“). Was die konkreten Umstände des Einzelfalls betraf, war die Arbeitnehmerin dort bereits zu Beginn des Verfahrens anwaltlich vertreten und eine Einsprache gegen die Kündigung lag überhaupt nicht bei den Akten (vgl. dort Sachverhalt lit. B.a sowie E. 4.2). Demgegenüber befindet sich hier die Einsprache gegen die Kündigung in den Akten des Schlichtungsverfahrens, die mit prozessleitender Verfügung vom 23. Oktober 2023 zu den Akten des erstinstanzlichen Verfahrens hinzugezogen wurden. Zudem war der Beschwerdeführer im massgebenden Zeitpunkt nicht anwaltlich vertreten.
6.3.3. Das Zivilprozessrecht hat eine dienende Funktion. Es ist darauf ausgerichtet, dem materiellen Recht zum Durchbruch zu verhelfen (BGE 139 III 457 E. 4.4.3.3; 116 II 215 E. 3; vgl. auch BGE 127 III 461 E. 3d; 123 III 140 E. 2c). In diesem Sinne sieht die ZPO beispielsweise auch vor, dass das Gericht auch über eine nicht streitige Tatsache nach Art. 153 Abs. 2 ZPO von Amtes wegen Beweis erheben kann, wenn an der Richtigkeit erhebliche Zweifel bestehen (Urteile 4A_367/2022 vom 10. November 2022 E. 2.2; 4A_196/2021 vom 2. September 2022 E. 3.4.1; 4A_375/2016 vom 8. Februar 2017 E. 5.3.3). Dass dem Beschwerdeführer vorliegend das Recht (im Sinne einer Prüfung der Kündigung auf deren Missbräuchlichkeit) nicht abgeschnitten werden darf, steht denn auch mit dem Zweckgedanken der allgemeinen gerichtlichen Fragepflicht nach Art. 56 ZPO in Einklang (siehe hiervor E. 3.3). Dieser besteht darin, dass eine Partei nicht wegen Unbeholfenheit ihres Rechts verlustig gehen soll. Eine Grenze ist dort erreicht, wo eine Partei einseitig bevorteilt würde, weil (abseits von Art. 153 Abs. 2 ZPO) eine Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen stattfände. Angesichts der Umstände des vorliegenden Einzelfalls kann aber gerade nicht gesagt werden, dass diese Grenze vorliegend überschritten wäre. Der Beschwerdeführer brachte die schriftliche Einsprache gegen die Kündigung vom 2. November 2022 in das Schlichtungsverfahren ein, dessen Akten im erstinstanzlichen Verfahren beigezogen wurden. Zudem reichte er das Schreiben vom 11. November 2022, in dem die Beschwerdegegnerin den Empfang der Einsprache ausdrücklich bestätigte, direkt in das Verfahren ein, worauf sich die Beschwerdegegnerin in der Klageantwort sogar bezog. Es fehlte einzig an einer expliziten Tatsachenbehauptung des Beschwerdeführers, dass er rechtzeitig Einsprache gegen die Kündigung erhoben habe.
6.3.4. Im Rechtsgang sind prozessuale Formen unerlässlich, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Daher steht nicht jede prozessuale Formstrenge mit Art. 29 Abs. 1 BV in Widerspruch (BGE 134 II 244 E. 2.4.2 mit Hinweisen). Überspitzter Formalismus liegt hingegen vor, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und den Rechtssuchenden den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (Urteile 4A_201/2023 vom 9. Oktober 2023 E. 3.6.1; 5A_932/2018 vom 22. Juli 2019 E. 3.2 mit Hinweisen). Das vorinstanzliche Vorgehen ist mit dem Verbot des überspitzten Formalismus nicht vereinbar. Die Beschwerdegegnerin hatte im Schreiben vom 11. November 2022 ausdrücklich anerkannt, dass sie die Einsprache gegen die Kündigung vom 2. November 2022 erhalten hatte. Beide Schreiben waren bei den erstinstanzlichen Akten. Wie erwähnt, fehlte es nur an der ausdrücklichen Behauptung des Beschwerdeführers, dass er rechtzeitig Einsprache gegen die Kündigung erhoben habe. Dass ihm die Vorinstanz deswegen das Recht abschnitt, ist durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt und vereitelt die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise (BGE 145 I 201 E. 4.2.1; 142 I 10 E. 2.4.2 mit Hinweisen; siehe für den Zivilprozess: BGE 140 III 636 E. 3.5 f.).
6.4. Nach dem Gesagten ist mit der Erstinstanz davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer rechtzeitig Einsprache gegen die Kündigung im Sinne von Art. 336b Abs. 1 OR erhoben hat. Die Vorinstanz wird zu prüfen haben, ob die Kündigung als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Bei diesem Ausgang braucht nicht auf die Rüge des Beschwerdeführers gegen die vorinstanzliche Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen eingegangen zu werden.
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Autor: Nicolas Facincani
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