Der Arbeitgeber ist gemäss Art. 328 Abs. 1 OR verpflichtet, die Persönlichkeitsgüter des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen und auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen. Er hat sich jedes durch den Arbeitsvertrag nicht gerechtfertigten Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte zu enthalten und diese auch gegen Eingriffe Vorgesetzter, Mitarbeiter oder Dritter zu schützen. Diese Fürsorgepflichten bilden das Korrelat der Treuepflicht des Arbeitnehmers.
Der Arbeitgeber hat zum Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jene Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind, soweit sie ihm mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung billigerweise zugemutet werden können (Art. 328 Abs. 2 OR). Art. 328 Abs. 2 OR bezieht sich jedoch nicht nur auf Massnahmen zum Schutz vor Berufsunfällen, sondern ganz allgemein vor Gesundheitsschädigungen, die sich aus der Berufsausübung ergeben können Zu diesem Schutz hat der Arbeitgeber die erforderlichen und geeigneten Massnahmen zu treffen. Dazu gehört die Pflicht, für eine einwandfreie Beschaffenheit der Arbeitsräume zu sorgen, so dass Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet sind. Seine Pflicht erstreckt sich aber auch auf andere Räume, mit denen der Arbeitnehmer in Berührung kommt, z.B. Zugänge zur Arbeitsstätte, Treppen, Stege, Notausgänge, Aufzüge, Höfe, Korridore, Pausen-, Wasch-, Bade- und Ankleideräume, Toiletten, Küche etc.
BGE 132 III 257 – Rauchallergie
Im Entscheid BGE 132 III 257 hatte sich das Bundesgericht mit der Frage zu befassen, ob die gegen einen Arbeitnehmer ausgesprochene Kündigung, der an einer starken Rauchallergie litt, missbräuchlich war. Der Arbeitnehmer hatte vor der Kündigung die gerichtliche Durchsetzung eines umfassenden Rauchverbotes in allen Räumen seiner Arbeitsumgebung verlangt.
Die Rauchimmissionen im Betrieb der Arbeitgeberin hatten den Kläger nicht bloss belästigt, sondern diesem Beschwerden und dadurch verschiedentlich dessen Arbeitsunfähigkeit verursacht. Aus diesem Grund war für die Gerichte klar, dass eine nach Art. 336 OR verpönte Missbräuchlichkeit bei der Kündigung voriegt, wenn die zahlreichen krankheitsbedingten Absenzen des Arbeitnehmers, welche die Arbeitgeberin schliesslich zur Kündigung bewogen, der Unterlassung einer Fürsorgepflicht zuzuschreiben wären, denn die Ausnutzung eigenen rechtswidrigen Verhaltens bildet einen typischen Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchs. Deswegen war zu prüfen, ob die Arbeitgeberin ihrer Fürsorgepflichten hinreichend nachgekommen war. Daher war massgeblich, ob das zum Schutze des Arbeitnehmer Notwendige nach dem Stand der Technik realisierbar und der Arbeitgeberin unter Berücksichtigung der gesamten Umstände billigerweise zumutbar war.
Vorinstanz (Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 5. September 2005)
Das Arbeitsgericht, dessen Erwägungen die Vorinstanz wiederum durch Verweis übernahm, erachtete es als erwiesen, dass die Rauchimmissionen im Betrieb der Arbeitgeberin den Arbeitnehmer nicht bloss belästigt, sondern diesem Beschwerden und dadurch verschiedentlich dessen Arbeitsunfähigkeit verursacht hätten. Indessen sei die Arbeitgeberin dafür besorgt gewesen, dass sowohl am Arbeitsplatz des Klägers, einem Labor, bestehend aus zwei Werkstätten und Büroarbeitsplätzen eine Etage tiefer als die übrigen Geschäftsräume der Arbeitgeberin, als auch in der Toilette und in den weiteren Räumlichkeiten, die der Arbeitnehmer für die Verrichtung seiner Arbeit aufzusuchen hatte (Kopierraum und Küche sowie Sitzungszimmer während den Sitzungen, alle in der oberen Etage), nicht geraucht werden durfte. Damit habe die Arbeitgeberin die ihr zumutbaren Massnahmen ergriffen, auch wenn das Rauchen im Lager, im Aufenthaltsraum, in den Gängen und im Sitzungszimmer, wenn keine Sitzungen stattfanden, gestattet blieb. Dass das Sitzungszimmer sowie die Gänge und das Lager rauchbelastet waren, hatte die Arbeitgeberin nicht bestritten.
Bundesgericht – Rückweisung an die Vorinstanz
Das Bundesgericht machte verschiedene Ausführungen zum Schutz vor Rauchbelästigungen, musste aber offen lassen (und die Sache an die Vorinstanz zurückweisen), ob die Arbeitgeberin ihrer Fürsorgepflichten hinreichend nachgekommen war.
5.3 Aus dieser allgemeinen Fürsorgepflicht wurde bereits vor Einführung spezifischer Vorschriften zum Schutze vor Passivrauchen in der Lehre abgeleitet, Arbeitnehmer, welche die nicht mehr bestreitbare Gesundheitsschädigung durch Passivrauchen nicht auf sich nehmen wollten, hätten aus Art. 328 OR gegenüber dem Arbeitgeber den Anspruch, dass dieser sie auch dann durch ein Rauchverbot im Betrieb schützt, wenn ein solches aus betrieblichen Gründen nicht erforderlich ist (Rehbinder, a.a.O., N. 7 zu Art. 328 OR, mit Hinweisen; Erich Janutin, Gesundheit im Arbeitsrecht, Diss. Zürich 1991, S. 181).
5.4 Mit der nunmehr geltenden Fassung von Art. 328 OR erfolgte eine Angleichung an die entsprechenden Bestimmungen des öffentlichen Rechts (insbesondere Art. 6 Abs. 1 ArG, aber auch Art. 82 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung [UVG; SR 832.20], wonach ein Arbeitgeber verpflichtet ist, Massnahmen zur Verhütung von Berufsunfällen zu ergreifen). Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich im Grunde um eine einheitliche Pflicht handelt (Staehelin, a.a.O., N. 15 zu Art. 328 OR mit Hinweis). Art. 6 Abs. 1 ArG und der gestützt darauf erlassene Art. 19 ArGV 3 können daher, sofern das Arbeitsverhältnis nicht dem Arbeitsgesetz untersteht und dessen Bestimmungen daher im Rahmen von Art. 342 Abs. 2 OR nicht direkt Anwendung finden, zur Konkretisierung von Art. 328 Abs. 2 OR herangezogen werden.
5.4.1 Nach Art. 19 ArGV 3 hat der Arbeitgeber im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass die Nichtraucher nicht durch das Rauchen anderer Personen belästigt werden. Wie der Titel „Nichtraucherschutz“ anzeigt, sollen mit dieser Bestimmung Nichtraucher und Nichtraucherinnen vor Belästigungen durch Passivrauchen bewahrt werden. Das Arbeitsgericht hob zutreffend hervor, der Schutzbereich umfasse auch die subjektive Empfindung der Belästigung und damit mehr als die blosse Gesundheit und das entsprechende Risiko.
5.4.2 Der Bereich, wo Rauchen erlaubt ist, ist unter Berücksichtigung der Lüftungs- und Belüftungsmöglichkeiten so anzuordnen, dass der Rauch ohne Belästigung für Nichtraucher und Nichtraucherinnen abgezogen werden kann. Auf Verlangen betroffener nichtrauchender Arbeitnehmer ist unter Umständen ein geeignetes Rauchverbot zu erlassen (vgl. Tobias Jaag/Markus Rüssli, Schutz vor Passivrauchen: verfassungsrechtliche Aspekte, in: AJP 2006 S. 21 ff., S. 22; Seco, Wegleitung zur Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz, 319-1).
5.4.3 Die Schutzmassnahmen des Arbeitgebers sollen den Betriebsablauf und das Arbeitsklima im Betrieb nicht beeinträchtigen und keine Diskriminierung der Raucherinnen und Raucher darstellen. Die Verhängung eines Rauchverbots ist aber stets zulässig, sofern es der Betriebssicherheit oder dem Schutz des Nichtrauchers dient (Roger Baumberger, Rauchen am Arbeitsplatz, Diss. Zürich, Bern 2002, S. 93 und S. 114 mit Hinweisen).
5.4.4 Die Voraussetzungen für die öffentlichrechtliche Anordnung von Massnahmen zum Schutze des Arbeitnehmers sind analog den privatrechtlichen geregelt: Für die Anordnung entsprechender Massnahmen muss ein praktisches Bedürfnis bestehen, sie müssen dem aktuellen Stand der Technik entsprechen und angesichts der Eigenheit des Betriebes verhältnismässig sein. Ob die letztgenannte Voraussetzung gegeben ist, beurteilt sich nach Art und Grösse des Betriebes einerseits und dem Ausmass der Risiken andererseits. Die auferlegten Massnahmen müssen für den Betrieb wirtschaftlich tragbar sein und deren Kosten in einem vernünftigen Verhältnis zu deren Wirksamkeit stehen, wobei aber dem Gesundheitsschutz stets erste Priorität zukommt (Scheidegger/Pitteloud, in: Geiser/von Kaenel/Wyler, Arbeitsgesetz, N. 15 und 19 zu Art. 6 ArG).
5.4.5 Soweit die öffentlichrechtlichen Bestimmungen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind und dem Arbeitnehmer konkrete Schutzrechte gewähren, die Inhalt eines Einzelarbeitsvertrages sein könnten, begründen sie für den Arbeitnehmer nach Art. 342 Abs. 2 OR einen zivilrechtlichen Anspruch. Ein Teil der Lehre leitet aus dem beidseitig zwingenden Charakter (Art. 361 OR) von Art. 342 Abs. 2 OR ab, zu Lasten des Arbeitgebers könnten im Anwendungsbereich der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen keine weitergehenden Schutzmassnahmen vereinbart oder aus Art. 328 Abs. 2 OR abgeleitet werden (Rehbinder, a.a.O., N. 18 zu Art. 328 OR; Rehbinder/Portmann, a.a.O., 3. Aufl., N. 9 und 10 zu Art. 328 OR). Indessen umfasst Art. 342 Abs. 2 OR nach seinem Wortlaut nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch dem Arbeitnehmer auferlegte öffentlich-rechtliche Pflichten. Durch die beidseitig zwingende Ausgestaltung wird lediglich sichergestellt, dass auch der Arbeitgeber allfälligen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen des Arbeitnehmers Nachachtung verschaffen kann. Damit ist mit Blick auf den mit den öffentlich-rechtlichen Normen verfolgten Zweck durchaus vereinbar, dass sich der Arbeitgeber zu Schutzmassnahmen verpflichtet, die über die öffentlich-rechtlichen Schutzvorschriften hinausgehen. Ebenso ist nicht auszuschliessen dass Art. 328 Abs. 2 OR zu einem weiterreichenden Schutz als das öffentliche Recht verpflichtet (Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, 6. Aufl., N. 6 zu Art. 328 OR; Staehelin, a.a.O., N. 52 zu Art. 328 OR).
5.5 Zu beachten ist, dass im zu beurteilenden Fall weder der allgemeine Schutz vor dem Passivrauchen (vgl. hiezu Tobias Jaag/Markus Rüssli, a.a.O., S. 21 ff.) noch der generelle Schutz des Arbeitnehmers vor der Belästigung durch Tabakrauch (vgl. hiezu Art. 19 ArGV 3; Seco, Wegleitung zur Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz, 319-1) zur Debatte steht. Es geht vielmehr darum, den voraussehbaren Ausbruch der Rauchallergie und damit den Eintritt einer Gesundheitsschädigung des gegen Rauch allergischen Arbeitnehmers zu verhüten. In diesem Zusammenhang können weitergehende Massnahmen gerechtfertigt erscheinen als in Bezug auf den Schutz „gewöhnlicher“ Nichtraucher (Werner Stocker, Hat der Nichtraucher überhaupt „Rechte“?, in BJM 1980 S. 169 ff., S. 170; Roger Baumberger, a.a.O., S. 114 mit Hinweisen; vgl. auch Jochen Lessmann, Rauchverbote am Arbeitsplatz, Stuttgart 1991, S. 292; Wank, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Auflage, München 2006, N. 20 zu § 618 BGB mit weiteren Hinweisen).
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Autoren: Nicolas Facincani / Matteo Ritzinger
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