Im Zusammenhang mit Versicherungsleistungen von Taggeldversicherungen kommt es immer wieder vor, dass diese ihre Leistungspflicht bestreiten mit der Begründung, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen sei – so auch im Fall BGer 4A_368/2024 vom 23. Oktober 2024. Genügt es, wenn eine Krankheit unter Verweis auf die Arztzeugnisse behauptet wird?
Dem Fall des Bundesgericht lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein Arbeitnehmer (Beschwerdeführer) war vom 1. September 2000 bis 31. März 2023 bei der Stadt U angestellt bis zum 31. Dezember 2022 bei einem Vorversicherer kollektiv krankentaggeldversichert. Der Arbeitnehmer machte einen Leistungsfall ab 9. März 2022 geltend. Per 1. Januar 2023 überführte die damalige Arbeitgeberin des Klägers ihre Krankentaggeldversicherung zu einer neuen Versicherung (Beschwerdegegnerin). Diese lehnte mit Schreiben vom 17. Februar 2023 für die Zeit ab dem 1. Januar 2023 eine Leistungspflicht ab.
Begründung der Vorinstanz
Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdeführer begründe seinen Anspruch auf Krankentaggelder unter Hinweis auf verschiedene Arztberichte. Dabei bringe er vor, er sei arbeitsunfähig gewesen. Die Beschwerdegegnerin bestreitet eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im relevanten Zeitraum. Zwischen den Parteien ist strittig, ob der Beschwerdeführer vom 1. Januar 2023 bis 31. März 2023 krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen ist (vgl. dazu BGE 142 III 671 E. 3.9). Auch wenn ihm bis zum 31. Dezember 2022 Taggelder ausbezahlt worden sind, muss er beweisen, dass er auch vom 1. Januar 2023 bis 31. März 2023 krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen war, wenn er für diesen Zeitraum einen Anspruch auf Taggelder geltend machen will.
Beurteilung durch das Bundesgericht
Diese Grundsätze wandte die Vorinstanz gemäss Bundesgericht schlüssig auf den vorliegenden Fall an. Der Beschwerdeführer mache in seiner Klage in pauschaler Weise eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vom 1. Januar 2023 bis 31. März 2023 geltend; dabei verweise er auf Arztzeugnisse in einer Sammelbeilage. Nun habe die Beschwerdegegnerin aber in ihrer Klageantwort eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers im relevanten Zeitraum bestritten. Bei dieser Ausgangslage habe den Beschwerdeführer eine Substanziierungslast getroffen. Er hätte aufzeigen müssen, inwiefern ihn eine Krankheit in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt habe. Dieser Obliegenheit sei er nicht nachgekommen. Er habe sich zwar in der Replik zur Bestreitung einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit durch die Beschwerdegegnerin geäussert und pauschal auf eine weitere Sammelbeilage verwiesen, in der Arztzeugnisse für die Monate März 2022 bis Dezember 2022 enthalten seien. Doch habe der Beschwerdeführer gerade nicht präzisiert, aufgrund welcher Krankheit welche funktionellen Einschränkungen resultierten und wie sich diese konkret auf seine Arbeitsfähigkeit auswirken sollten. Gleiches gelte für dessen Stellungnahme vom 4. Januar 2024. Auch dort habe er unter Verweis auf eine ärztliche Beurteilung vom 13. Juli 2022 nur pauschal die Behauptung einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit wiederholt.
Die Vorinstanz erklärte gemäss Bundesgericht zu Recht, dass der Beschwerdeführer seiner Behauptungs- und Substanziierungslast in den Rechtsschriften selbst hätte nachkommen müssen. Der pauschale Verweis auf die Beilagen genüge nicht. In der Tat liege es weder am Gericht noch an der Gegenpartei, die Sachdarstellung aus den Beilagen zusammenzusuchen und danach zu forschen, ob sich aus den Beilagen etwas zu Gunsten der behauptungsbelasteten Partei ableiten lässt
Mit dieser Begründung sei die Vorinstanz zum Schluss gelangt, mangels Substanziierung könne kein Beweis abgenommen werden über das Bestehen einer Krankheit, deren allfällige funktionelle Auswirkungen und die daraus allenfalls resultierende Arbeitsunfähigkeit.
Leitsätze und Zusammenfassung
Das Bundesgericht fasst das Ganze im Entscheid nochmals zusammen. Hierzu das Bundesgericht:
4.2.2. Der Beschwerdeführer behauptete im vorinstanzlichen Verfahren eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und forderte gestützt darauf Krankentaggelder. Nach Art. 8 ZGB hat, wo es das Gesetz nicht anders bestimmt, derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Demgemäss hat die Partei, die einen Anspruch geltend macht, die rechtsbegründenden Tatsachen zu beweisen, während die Beweislast für die rechtsaufhebenden bzw. rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Tatsachen bei der Partei liegt, die den Untergang des Anspruchs behauptet oder dessen Entstehung oder Durchsetzbarkeit bestreitet. Der Eintritt des Versicherungsfalls ist nach diesen Grundsätzen vom Anspruchsberechtigten zu beweisen (BGE 141 III 241 E. 3.1; 130 III 321 E. 3.1).
4.2.3. Der Beschwerdeführer ist somit beweisbelastet für den Eintritt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Im Übrigen weist die Beschwerdegegnerin darauf hin, sie habe bereits im vorinstanzlichen Verfahren vorgebracht, dass die vom Beschwerdeführer vorgelegten Akten keinen Nachweis für die behauptete krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit darstellten und die Klage entsprechend abzuweisen sei. Die Vorinstanz setzte sich mit den Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander und begründete die Abweisung seiner Klage mit einer mangelnden Substanziierung einer Krankheit, deren allfälligen funktionellen Auswirkungen und einer daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit. Daran vermögen auch die Ausführungen des Beschwerdeführers betreffend die Erfüllung vertraglicher Mitwirkungspflichten nichts zu ändern. Die Vorinstanz war nicht gehalten, alle Vorbringen des Beschwerdeführer einlässlich zu widerlegen. Ihr Entscheid ist hinreichend begründet. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
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Autor: Nicolas Facincani
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