Der Bundesrat hat am 15. Oktober 2025 seinen Bericht zum Postulat 22.3196 «Welche Massnahmen gegen Gefälligkeitszeugnisse von Ärztinnen und Ärzten?» veröffentlicht.
In Erfüllung des Postulats hat das für die Erarbeitung des Berichts zuständige Bundesamt für Gesundheit (BAG) im Juni und Oktober 2024 zwei aufeinander aufbauende Roundtable-Gespräche mit Expertinnen und Experten verschiedener Anspruchsgruppen veranstaltet, dokumentiert und ausgewertet.
Postulat
Am 17. März 2022 wurde im Nationalrat das Postulat 22.3196 «Welche Massnahmen gegen Gefälligkeitszeugnisse von Ärztinnen und Ärzten?» von Nationalrat Philippe Nantermod (FDP-Liberale Fraktion) eingereicht. Es bezieht sich auf Betrugsfälle im Zusammenhang mit Arztzeugnissen und die damit verbundenen finanziellen Belastungen für Arbeitgeber und das Gesundheitssystem (steigende Gesundheitskosten).
Das Postulat fordert den Bundesrat auf, in einem Bericht die wesentlichen Massnahmen darzulegen, welche die Ausstellung von Gefälligkeitszeugnissen durch Ärztinnen und Ärzte begrenzen und eindämmen könnten.
Arztzeugnisse
Können Arbeitnehmende durch Krankheit oder Unfall ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen bzw. ist diese Arbeit nicht mehr zumutbar, dann obliegt den Arbeitnehmenden der Beweis für die Arbeitsverhinderung gegenüber dem Arbeitgeber.
Dieser Beweis wird meistens durch Arztzeugnisse erbracht. Arztzeugnisse sollten Datum, Stempel und eigenhändige Unterschrift der Ärztin oder des Arztes sowie Angaben zu Ursache (Unfall oder Krankheit), Beginn, Dauer und Grad der Arbeitsunfähigkeit mit Bezug auf die von den Arbeitnehmenden geschuldete Arbeit enthalten. Weitergehende Feststellungen wie zum Beispiel die Diagnose unterliegen der ärztlichen Geheimhaltungspflicht.
Jegliche Arztzeugnisse beruhen im Grundsatz auf einer Einschätzung einer ärztlichen Fachperson zur gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit einer Patientin bzw. eines Patienten und können aufgrund einer genuinen Fehleinschätzung faktisch inkorrekt sein. Ein Arztzeugnis hat rechtlich keinen absoluten Charakter und seine Richtigkeit kann angefochten werden. Der Arbeitgeber kann insbesondere bei ernsthaften Zweifeln an einem ärztlichen Zeugnis eine (zusätzliche) ärztliche Untersuchung verlangen. Zweifel am Arztzeugnis können beispielsweise durch bestimmte Aktivitäten während der angeblichen Erkrankung, durch häufige Arztwechsel, durch Ablehnung einer vertrauensärztlichen Untersuchung oder durch lange Rückwirkung eines Arztzeugnisses hervorgerufen werden.
Arbeitnehmende können eine gesundheitlich bedingte Arbeitsverhinderung auch mit anderen Beweismitteln nachweisen. Arztzeugnisse verbessern allerdings die Beweislage, da die Gerichte meist darauf abstellen, solange nicht begründete Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.
Wenn eine ärztliche Fachperson einer Patientin oder einem Patienten eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, obwohl sie weiss, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht oder nicht im bescheinigten Umfang besteht, spricht man gemeinhin von einem Gefälligkeitszeugnis.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat teilt das Anliegen des Postulanten, dass die professionelle Zuverlässigkeit und inhaltliche Vertrauenswürdigkeit von ärztlichen Zeugnissen unvermindert hochgehalten und das Erstellen von Gefälligkeitszeugnissen sanktioniert werden müssen. Vor dem Hintergrund der bestehenden Vorschriften sieht er jedoch keinen Handlungsbedarf in dieser Sache.
Die bestehende Gesetzeslage bietet den rechtlichen Rahmen, um Gefälligkeitszeugnisse zu verhindern oder zu sanktionieren. Die Schaffung weiterer rechtlicher Vorgaben oder sonstiger Regelungen wie zum Beispiel das Vorschreiben von detaillierteren Zeugnissen dürfte gegenüber dem Status Quo keinen Mehrwert bringen. Zu beachten ist des Weiteren, dass im Sinne des Entgegenwirkens oder des Vermeidens von Gefälligkeitszeugnissen auch nicht-rechtliche Massnahmen wie beispielsweise das Einholen der Einschätzung eines Vertrauensarztes existieren und genutzt werden können.
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Autor: Nicolas Facincani
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