Der Entscheid des Bundesgerichts 4A_344/2022 befasste sich mit der Thematik der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann und thematisiert insbesondere die in diesem Zusammenhang geltenden Beweisregeln.

 

Einordnung

Art. 3 Abs. 1 GlG sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihres Geschlechts weder direkt noch indirekt benachteiligt werden dürfen, namentlich nicht aufgrund ihres Zivilstandes, ihrer familiären Situation oder, bei Frauen, ihrer Schwangerschaft. Nach Art. 3 Abs. 2 GlG gilt dies insbesondere für die Anstellung, die Aufgabenstellung, die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, die Entlöhnung, die Aus- und Weiterbildung, Beförderung und Entlassung gilt. Die Bestimmung ist eine Konkretisierung des verfassungsmässigen Grundsatzes, dass Mann und Frau Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit haben (Art. 8 Abs. 3 BV).

 

Sachverhalt (BGer 4A_344/2022)

Im vorliegenden Fall war eine Arbeitnehmerin angestellt als «Spezialistin für digitale Kommunikation». Während ihrer Anstellung arbeitete sie mit einem ebenfalls bei der Arbeitgeberin beschäftigten Spezialisten für digitale Medien zusammen. Während eines nicht offiziellen Gesprächs unter den beiden Arbeitnehmenden stellte die Arbeitnehmerin fest, dass ihr männlicher Arbeitskollege monatlich Fr. 658.- mehr verdiente als sie.

Festzuhalten ist, dass die Arbeitnehmerin über einen Master in Sozialwissenschaften, Kommunikations- und Kultursoziologie sowie Weiterbildungen verfügte und bei mehreren Arbeitnehmern Berufserfahrung gesammelt hatte. Sie war in der Lohnkategorie 4 eingestuft.

Ihr männlicher Kollege verfügte demgegenüber «nur» über einen Bachelor, nicht aber über einen Master. Er war aber in der Lohnkategorie 3 eingestuft.

Nachdem die Arbeitnehmerin ihre Arbeitgeberin mit diesem Umstand der Lohndifferenz konfrontierte und letztere die Vorwürfe der Lohndiskriminierung zurückwies, kündigte die Arbeitnehmerin, wobei sie ihre Unzufriedenheit über die nicht erfolgte Lohnanpassung zum Ausdruck brachte.

In ihrer Klage forderte die Arbeitnehmerin:

  • Lohndifferenz zwischen dem Lohn ihres ehemaligen Arbeitskollegen und ihrem eigenen Lohn
  • Genugtuung für den moralischen Schaden
  • Rückerstattung des von der Arbeitslosenkasse vorgenommenen Abzuges

Sowohl vor erster Instanz wie auch vor dem kantonalen Berufungsgericht scheiterte die Klägerin. Schliesslich war das Bundesgericht mit dem Fall befasst.

  

Bundesgericht: Herabgesetzes Beweismass und Beweislastumkehr

Das Bundesgericht schützte den Entscheid der Vorinstanz. Es hielt fest, dass nach Art. 6 GlG das Vorliegen einer Diskriminierung vermutet werde, sobald die sich darauf berufende Person sie glaubhaft mache.

Mit Blick auf das Beweismass müsse die Diskriminierung daher lediglich glaubhaft gemacht werden. Dies bedeute im Vergleich zum Regelbeweismass der vollen Überzeugung nach Art. 8 ZGB eine Lockerung. Die sich auf die Diskriminierung berufende Arbeitnehmerin müsse nur objektive Hinweise für deren Vorliegen liefern, sodass für die behauptete Diskriminierung eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche, ohne dass ausgeschlossen werden können muss, dass es auch anders liegen könnte. Der Richter schliesse dabei von objektiven Indizien auf die Tatsache der Diskriminierung.

In einem früheren Entscheid wurde beispielsweise bei einer Arbeitnehmerin, die 15 bis 25% weniger Lohn erhielt als ein männlicher Kollege, der die gleiche Arbeit verrichtete, eine Lohndiskriminierung vermutet. Wiederum in einem anderen Fall wurde eine verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angenommen, als eine Frau, die über gleichwertige Qualifikationen wie ihr männlicher Vorgänger verfügte für eine unveränderte Arbeit zu einem geringeren Lohn angestellt wurde.

Wird eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts auf diese Weise glaubhaft gemacht, obliegt es dem Arbeitgeber, den strikten Beweis des Gegenteils zu erbringen – die Glaubhaftmachung durch die Arbeitnehmerin führt m.a.W. zu einer Umkehr der Beweislast.

Der Arbeitgeber muss also entweder beweisen, dass keine Ungleichbehandlung vorliege oder sie auf objektiven Faktoren beruhe. Solche objektiven Faktoren seien namentlich Ausbildung, Zeit in einer Funktion, Qualifikation, Berufserfahrung, konkreter Tätigkeitsbereich, erbrachte Leistungen, eingegangene Risiken und Pflichten. Es sei – so das Bundesgericht – ausserdem möglich, dass sich Lohnunterschiede aus sozialen Überlegungen ergäben, etwa Familienpflichten oder Alter (BGE 142 II 49 E. 6.3 sowie BGE 130 III 145 E. 5.2 und BGE 127 III 207 E. 3c). Ausserdem könnten eine starke Verhandlungsposition des Arbeitnehmenden und die konjunkturelle Lage Lohnunterschiede rechtfertigen. Dadurch bedingte Unterschiede seien jedoch ab Zumutbarkeit auszugleichen.

Mit Blick auf das vorinstanzliche Verfahren hielt das Bundesgericht fest, dass das kantonale Gericht befand, der Lohnunterschied zwischen der Arbeitnehmerin und ihrem männlichen Kollegen sei nicht geschlechtsspezifisch. Ausgangslage sei, dass der einzige männliche Angestellte der in derselben Abteilung wie die Arbeitnehmerin arbeitete, in einer höheren Lohnkategorie eingeteilt sei als sie selbst, obwohl er nur über einen Bachelor-Abschluss, sie dagegen über einen Master-Abschluss verfüge. Somit hätte die Arbeitnehmerin das Vorliegen einer Diskriminierung glaubhaft gemacht mit der Folge, dass die Beweislast i.S.v. Art. 6 GlG umgekehrt werde. Entsprechend läge es an der Arbeitgeberin zu beweisen, dass diese Ungleichbehandlung auf objektiven Faktoren beruhe. Hierfür spreche wiederum

  • dass die Aufgaben der Arbeitnehmerin und des männlichen Kollegen nicht vergleichbar seien,
  • dass diese Aufgaben von Personen mit unterschiedlichen Profilen und Fähigkeiten ausgeführt würden,
  • dass in der Lohnpyramide nicht unbedingt derjenige mit der «höchsten Ausbildung» in der Spitze stehe, sondern vielmehr der Marktwert der Ausbildung zu berücksichtigen sei und schliesslich
  • der Mann, der die Nachfolge der Arbeitnehmerinübernahm ebenfalls in der Lohnklasse 4 eingestuft worden sei.

Insgesamt sei der Lohnunterschied daher nicht geschlechtsspezifisch, sondern ergebe sich aus den unterschiedlichen Aufgaben und aus dem unterschiedlichen Wert, der den Markt ihnen beimass, unabhängig vom Niveau der Diplome.

Vor Bundesgericht bestritt die Arbeitnehmerin nicht, dass die Aufgaben unterschiedlich waren. Sie machte inhaltlich aber insbesondere geltend, dass es nicht zutreffe, dass die technischen Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt besser bezahlt würden als ihre eigenen.

Die Annahmen der Vorinstanz waren somit gemäss Bundesgericht nicht willkürlich.

 

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Autoren: Nicolas Facincani / Laura Meier

 

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