Die Meinungsäusserungsfreiheit ist ein von der Bundesverfassung stark geschütztes Kommunikationsgrundrecht (Art. 16 Abs. 2 BV). Doch wie verhält sich dies am Arbeitsplatz? Darf der Arbeitnehmer frei seine Meinung äussern? Der nachfolgende Beitrag wird die Thematik beleuchten und die aktuelle Rechtsprechung erörtern.

 

Treuepflicht

Die in Art. 321a OR gesetzlich statuierte Treuepflicht konkretisiert sich im sorgfältigen Arbeiten und im Wahren der Interessen des Arbeitgebers. Die Treuepflicht ist vor allem eine Unterlassungspflicht, denn der Arbeitnehmer hat alles zu unterlassen, was die Interessen oder das Ansehen des Arbeitgebers gefährden oder wirtschaftlich schaden könnte (BGE 117 II 72 E 4a). Dies gilt nicht nur während der Arbeitszeit, sondern – wenn auch eingeschränkt – in der Freizeit des Arbeitnehmers. Nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses kann die Treuepflicht in reduziertem Masse weiterbestehen, bspw. in der Geheimhaltungspflicht (Art. 321a Abs. 4 OR) oder im Konkurrenzverbot (Art. 340 Abs. 1 OR). Die Grenzen der Treuepflicht sind die eigenen berechtigten Interessen des Arbeitnehmers zu seiner Persönlichkeitsentfaltung und stehen unter dem Vorbehalt der Grundrechte, darunter der Meinungsäusserungsfreiheit. Eine weitergehende Spezifizierung der Treuepflicht findet sich ferner im Beitrag: Die allgemeine Treuepflicht des Arbeitnehmers.

 

Fürsorgepflicht

Bei der Fürsorgepflicht wird der Arbeitgeber dazu veranlasst, dem Arbeitnehmer Schutz und Fürsorge zu gewähren und dessen berechtigte Interessen zu wahren. Hierzu gehören Aspekte wie Persönlichkeitsschutz, Datenschutz, Gleichbehandlungsgrundsatz, Lohnfortzahlung, Freizeit-, Ferien– und Urlaubsgewährung. Genauso hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Mobbing, Stress und Wucher zu schützen wie auch Blossstellungen vor der eigenen Belegschaft oder in der Öffentlichkeit zu unterlassen. Siehe hierzu etwa den Beitrag zum Mobbing.

 

(Fristlose) Kündigung aufgrund einer Meinungsäusserung

Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers geht sehr weit und umfasst, vor allem auch unter dem Aspekt des Persönlichkeitsschutzes, alle Persönlichkeitsgüter. Darunter fallen insbesondere Leben, Gesundheit sowie auch die Meinungsäusserungsfreiheit. Dieses Argument kann ebenfalls mit der Freiheit zur gewerkschaftlichen Organisation gestützt werden.

Dies bedeutet aber nicht, dass der Arbeitnehmer alles sagen kann was er will. Eine Entlassung ist auch möglich, wenn der Arbeitnehmer seine Treuepflicht verletzt. Denkbar wären hier wiederholte, öffentliche Kritiken an der Unternehmensphilosophie sowie auch das ständige Missachten von Weisungen. Sodann können auch Beleidigungen, Beschimpfungen oder Tätlichkeiten die fristlose Kündigung zur Folge haben (BGE 4C.221/2004 E. 2.2). Wiederum sind hier Ausnahmen möglich, namentlich dann, wenn sich der Arbeitnehmer in verständlicher Erregung befand und den Arbeitgeber als «Arschloch» beschimpfte (BGE 4C.400/2005). Dies gilt umso mehr, wenn der Arbeitgeber die spannungsgeladene Situation zu verantworten hat. Es kommt aber stark auf die Art und Weise der Meinungsäusserung drauf an.

Nachfolgend sind Faktoren aufgelistet, welche bei der Qualifikation der Meinungsäusserung zu berücksichtigen sind:

  • Art der Meinungsäusserung (Zeitungsbericht, Interview, etc.)
  • Ort und Adressatenkreis der Meinungsäusserung (Arbeitsplatz oder Öffentlichkeit)
  • Intensität und Häufigkeit der (kritischen) Meinungsäusserung (Die Beurteilung erfolgt aber regelmässig nach objektivem Massstab und nicht nach subjektivem Empfinden, sodass nicht jede Äusserung über die Grenze sozial korrekten Verhaltens als kritisch gilt. Bei Behörden ist der Massstab aber sicherlich strenger zu setzen, sodass falsche oder rufschädigende Äusserungen schneller zur Entlassung führen können.)
  • Stellung des Mitarbeiters (je eher ein höher leitender Angestellter, desto grösser ist seine Treuepflicht und desto weniger kann er sich kritisch gegenüber dem Arbeitgeber äussern; bspw. wird einem Abteilungsleiter eine erhöhte Treupflicht zuteil)
  • Funktion des Mitarbeiters (ein funktioneller Zusammenhang mit der Tätigkeit ist erforderlich; gibt sich bspw. der Arbeitnehmer als Angestellter des Arbeitgebers zu erkennen ist dies kritischer, als wenn er dies als Privatperson tut)
  • Natur des Vertragsverhältnisses (ein Angestellter in der öffentlichen Verwaltung muss sich, aufgrund des Vertrauens der Öffentlichkeit in den Staat, eine erhöhte Treuepflicht zurechnen lassen

 

Rechtsprechung

Das Bundesgericht verneint eine missbräuchliche Kündigung, wenn ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Treuepflichtverletzung vorliegt. Eine unangebrachte Meinungsäusserung kann infolgedessen eine Kündigung rechtfertigen bzw. führt dazu, dass eine darauffolgende Kündigung nicht missbräuchlich ist.

Damit die Missbräuchlichkeit hingegen bejaht werden kann, ist ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers mit einer gewissen Intensität erforderlich. Konkret, muss der Arbeitgeber die Fürsorgepflicht verletzten, indem er bspw. die Meinungsäusserung gänzlich verunmöglicht. Dies wird dann als Persönlichkeitsverletzung verstanden. Trotzdem ist aber eine gewisse Schwere notwendig, bloss unanständiges, einem geordneten Geschäftsverkehr unwürdiges Verhalten, genügt gemäss Bundesgericht nicht.

 

Fazit

Zusammenfassend ist auf den Einzelfall abzustellen, wobei die genannten Indizien vorgängig zu prüfen sind, um zu sehen in welcher Art und Weise die Meinungsäusserung erfolgt ist. Sodann ist immer die Meinungsäusserungsfreiheit gegenüber der Treuepflicht abzuwägen.

 

Weitere Beiträge zur Treuepflicht und zur Fürsorgepflicht

 

Autoren: Nicolas Facincani / Matteo Ritzinger