Verschiedene rechtliche Bestimmungen schützen Arbeitnehmer vor sexueller Belästigung. So schreibt Art. 328 OR grundsätzlich vor, dass der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht sexueller Belästigung vorzubeugen und dafür zu sorgen hat, dass einem Opfer keine weiteren Nachteile entstehen. Das Gleichstellungsgesetz (GlG) soll zudem insbesondere vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts schützen. Die sexuelle Belästigung wird als Diskriminierung angesehen und gleich definiert. Als sexuelle Belästigung gilt jedes belästigende Verhalten sexueller Natur oder ein anderes Verhalten aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, das die Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz beeinträchtigt.
Beispiele sexueller Belästigung
Wie die nachfolgende Auflistung von Beispielen zeigt, gibt es verschieden Stufen von sexueller Belästigung. Als sexuelle Belästigung gelten etwa:
- anzügliche und zweideutige Bemerkungen über das Äussere
- sexistische Bemerkungen oder Witze über sexuelle Merkmale, sexuelles Verhalten und die sexuelle Orientierung von Frauen und Männern
- Vorzeigen von pornografischem Material
- Unerwünschte Einladungen mit eindeutiger Absicht
- unerwünschten Körperkontakten
- sexuellen Übergriffen, Nötigung oder Vergewaltigung
BGer 4D_88/2009 vom 18.8.2009
Dem Entscheid BGer 4D_88/2009 vom 18.8.2009 lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Als die Beschwerdegegnerin (Arbeitnehmerin) während einer Morgenschicht in der Küche Reinigungsarbeiten verrichtet habe, sei der Beschwerdeführer vor sie hingetreten und habe gesagt: „Das ist aber ein schönes T-Shirt; das ist zu schön, um darin zu arbeiten. Hast du kein C.________ T-Shirt zu tragen?“ Während dieses Gesprächs habe er die ganze Zeit auf ihren Busen gestarrt. Der Beschwerdegegnerin sei „sehr ungemütlich gewesen.“ Etwas später soll der Beschwerdeführer vom Büro aus die Beschwerdegegnerin zu sich gerufen haben. Sie habe sich zur Bürotür begeben, während er im Büro gestanden sei. Er habe nicht ein einziges Mal in ihre Augen geschaut, sondern ganz direkt auf ihren Busen gestarrt. Er habe sie gefragt, wo sie das T-Shirt gekauft habe und was die Aufschrift „Mango“ bedeute.
Mit Klage vom 31. Mai 2007 stellte die Beschwerdegegnerin dem Arbeitsgericht Aarau die Begehren, den Beschwerdeführer zu verpflichten, ihr wegen sexueller Belästigung eine Entschädigung nach Art. 5 Abs. 3 und 4 des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GIG; SR 151.1) in der Höhe von 6 Monatslöhnen, bzw. Fr. 33’000.– zu bezahlen und gestützt auf Art. 5 Abs. 5 GlG bzw. Art. 328 OR, je in Verbindung mit Art. 49 OR eine Genugtuung von Fr. 7’000.– sowie Schadenersatz von Fr. 1’708.80 nach Art. 5 Abs. 5 GlG bzw. Art. 328 OR, je in Verbindung mit Art. 41 OR, jeweils nebst Zins.
Mit Urteil vom 26. Juni 2008 schütze das Arbeitsgericht Aarau die Klage teilweise, indem es der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung in der Höhe eines Monatslohns von Fr. 5’674.– nebst Zins zusprach.
Entscheid des Obergerichts den Kantons Aargau
Die Vorinstanz kam in eingehender Würdigung der Aussagen mehrerer Zeugen zum Schluss, in einem Restaurant habe eine anzügliche, sexuell gefärbte Atmosphäre geherrscht, die vom Beschwerdeführer, dem Chef der Filiale, mitgeschaffen und mitgetragen worden sei. Er habe häufig den Körperkontakt zu seinen weiblichen Angestellten gesucht und diese anzüglich angeschaut. Dabei sei es zu im Geschäftsleben völlig unüblichen Körperkontakten zwischen ihm und seinen untergebenen Mitarbeiterinnen, zu offensichtlich unangebrachten Äusserungen diesen gegenüber sowie zu unangemessenen Einladungen und Umarmungen gekommen. Diese Kontakte seien zumindest unterschwellig sexuell motiviert gewesen.
Alsdann würdigte die Vorinstanz die Aussagen einer Zeugin, welche nach Auffassung der Vorinstanz dem Beschwerdeführer tendenziell wohlgesinnt war. Die Zeugin gab an, am fraglichen Morgen habe die Beschwerdegegnerin ein T-Shirt mit der Aufschrift Mango getragen. Der Beschwerdeführer habe gesagt, das sehe gut aus, sei aber keine Arbeitsuniform. Dabei habe er auf die Brust der Beschwerdegegnerin geschaut. Auf die Frage, wie die Zeugin den Blick interpretiert habe, antwortete diese, sie habe dabei gelacht. Vor dem Hintergrund der vom Beschwerdeführer mitgetragenen anzüglichen Stimmung am Arbeitsort erachtete die Vorinstanz für erwiesen, dass der – von vornherein unnötige und deplatzierte – Blick auf die Brust der Beschwerdegegnerin keineswegs geschäftlich-neutral oder bloss freundschaftlich-kollegial gewesen sei, sondern vielmehr anzüglich, dass heisst sexuell konnotiert, denn andernfalls hätte für die Zeugin kein Grund zum Lachen bestanden. An dieser Einschätzung hielt die Vorinstanz auch im Hinblick auf die den Beschwerdeführer entlastenden Angaben der Zeugin, die aussagte, sie fände es richtig, was der Beschwerdeführer gesagt habe, fest. Der von der Beschwerdegegnerin geschilderte Sachverhalt war daher nach Auffassung der Vorinstanz erstellt.
Die Appellation des Beschwerdeführers hiess das Obergericht des Kantons Aargau am 12. März 2009 daher teilweise gut und verpflichtete diesen zur Zahlung einer Entschädigung von Fr. 1’500.– zuzüglich Zins. Im Gegensatz zum Arbeitsgericht, das weitere Vorfälle sexueller Belästigung, welche die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer vorgeworfen hatte, für nachgewiesen erachtete, steht nach Auffassung des Obergerichts einzig fest, dass der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin an einem Morgen, als diese statt der Arbeitsuniform ein ihr gehörendes („privates“) T-Shirt mit der Aufschrift „Mango“ trug, beim ersten Zusammentreffen in der Küche und anschliessend bei seinem Büro in sexuell belästigender Weise (Art. 4 GlG) auf den Busen gestarrt hat.
Entscheid des Bundesgerichts
Der vor Vorinstanz umstrittene Betrag erreicht mit Fr. 5’674.– die in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten für die Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen geltende Grenze von Fr. 15’000.– nicht (Art. 51 Abs.1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG). Demnach steht dem Beschwerdeführer das von ihm ergriffene Rechtsmittel der subsidiären Verfassungsbeschwerde zur Verfügung (Art. 113 BGG).
Von einer willkürlichen Beweiswürdigung durch die Vorinstanz konnte insgesamt keine Rede sein. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde war daher abzuweisen.
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Autor: Nicolas Facincani
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