Im Urteil des Bundesgerichts BGer 4A_419/2015, E. 2.4 hatte sich das Bundesgericht bereits dazu geäussert, wie Falle eines Verdachts auf ein strafbares Verhalten durch den Arbeitgeber zu verfahren sei. So müsse die Arbeitgeberin genügende Anstrengungen unternehmen, um den Sachverhalt in ernsthafter Weise zu prüfen und unter Umständen sogar eine Untersuchung durchzuführen bzw. durchführen zu lassen.

Das Bundesgericht hat nun im kürzlich im auf Italienisch ergangenen Urteil BGer 4A_365/2020 seine Rechtsprechung zur Verdachtskündigung im Grunde genommen bestätigt.

Dabei lag dem Urteil folgender Sachverhalt zu Grunde:

 

Sachverhalt

A arbeitete bei der B AG und wurde nach einigen Jahren befördert. Anlässlich der Beförderung wurde ein neuer Vertrag ausgestellt, welcher eine Mindestdauer bis am 30. Juni 2016 vorsah, wobei die Parteien nur bei schwerwiegenden Gründen kündigen konnten. Am 5. November 2015 meldete sich ein Anwalt bei der B AG und informierte diese, dass 5 Mitarbeiter von A dazu motiviert wurden ihr Arbeitsverhältnis zur B AG zu kündigen, um gemeinsam bei einer anderen Bank tätig zu sein. Einen Tag später, am 6. November 2015 kündigte die B AG, mit der Begründung die Bank habe Kenntnis von den Plänen des A mit weiteren Mitarbeitern die Bank zu verlassen dem A fristlos, da zudem sein Verhalten in diesem Zusammenhang inakzeptabel war.

A klagte dabei die B AG auf 883’088.65 CHF ein, bestehend aus nicht bezogenen Ferien, Bonus für die Jahre 2013 und 2014, Entschädigung für ungerechtfertigte fristlose Entlassung sowie Rückerstattung einer zu Unrecht gezahlten Entschädigung inkl. Zinsen. Dabei hiess das erstinstanzliche Gericht die Klage teilweise gut und sprach dem Kläger 447’722.20 CHF zu.

Die zweite Instanz, das Appellationsgericht Tessin, reduzierte den Betrag wiederum, befand aber die fristlose Entlassung als ungerechtfertigt, da die Arbeitgeberin keine angemessenen Nachforschungen angestellt habe, ob die Absichten von A tatsächlich so vorlagen.

 

Rechtliches

Die Anforderungen an eine fristlose Entlassung, so das Bundesgericht, sind hoch anzusetzen (BGE 137 III 303, E. 2.1.1). Nach Art. 337 OR müssen hierfür schweren Verfehlungen vorliegen, welche objektiv geeignet sind, die Vertrauensgrundlage zu zerstören oder die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (E. 3.1.1: «oggettivamente idone a distruggere il rapporto di fiducia essenziale nel contratto di lavoro o, almeno, a intaccarlo così profondamente da escludere che possa essere pretes la continuazione della relazione contrattuale e avere effetivamente provocato tale conseguenza»; Vgl. ausführlich: BGE 142 III 579, E. 4.2).

Vorliegend lag ein sogenannte Verdachtskündigung («licenziamento per meri sospetti») vor. Hierbei handelt es sich um einen Sonderfall, denn die Arbeitgeberin gibt zu erkennen, dass ihr die Fortführung des Arbeitsverhältnisses in subjektiver Hinsicht unzumutbar erscheint (vgl. Etter/Sokoll, in: Facincani/Etter/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 337 N 32). Es stellt sich die Frage, ob hier der Arbeitnehmer vorgängig abgemahnt werden muss. Ein Urteil des Bundesgerichts erwog bereits, dass der Arbeitnehmer diesbezüglich anzuhören ist (Urteil des Bundesgerichts BGer 4A_419/2015, E. 2.4).

Vorliegend bestätigte das Bundesgericht diesen Entscheid, wonach die fristlose Entlassung ungerechtfertigt ist, wenn nicht alles getan wurde, was von der Arbeitgeberin erwartet werden kann, um die Richtigkeit der Verdachtsmomente zu überprüfen (E. 3.1.2: «[…] non sarebbe stata sufficiente per giustificare un licenziamento immediato senza avvertimento o se il datore di lavoro non ha fatto tutto ciò che si poteva da lui pretendere per verificare l’esattezza dei sospetti», m.w.H. Urteil des Bundesgerichts BGer 4A_419/2015, E. 2.1.2).

 

Ungenügende Anstrengungen durch Arbeitgeber

Im konkreten Fall lagen genau diese Anstrengungen seitens der Arbeitgeberin nicht vor. So insbesondere ist der Tatsache, dass die Arbeitgeberin nicht alles in ihrer Macht stehende getan habe, um die Indizien zu bestätigen («[…] tutto quanto necessario per chiarire la fondatezza dei sospetti»). Es wurde lediglich auf Aussagen von einigen Mitarbeitern abgestellt, wobei die Arbeitgeberin zumindest eine Stellungnahme von A hätte einholen müssen (E. 3.4.1: «[…] essa avrebbe dovuto sentire il direttore che intendeva licenziare»). Des Weiteren wurde die B AG durch einen Anwalt über die Vorkommnisse informiert. Ein solcher könne nicht mit einem externen Ermittler oder dergleichen gleichgesetzt werden, da er nicht dieselbe Unabhängigkeit besitzt und seine Berichterstattung an die Bank, dass A die genannten Absichten habe, eine Anhörung von A nicht kompensieren. Dieses Versäumnis genügt, um eine ungerechtfertigte Entlassung anzunehmen (E.3.4.1: «Poiché questa omissione è sufficiente per escludere la fondatezza del ricorso sulla questione del licenziamento per meri sospetti […]»).

 

Handlungsempfehlungen

Aus Sicht der Arbeitgeberin ist es empfehlenswert insbesondere nachfolgende Grundsätze bei der Abklärung von Verdachtsmomenten zu berücksichtigen, bevor eine (fristlose) Kündigung ausgesprochen wird:

  • Jegliche Art von Anstrengungen, mit welchen sich die Indizien prüfen lassen
  • Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers
  • Die Möglichkeit von sog. Internal Investigations (interne Untersuchungen) in Betracht ziehen.

Gerade beim letzten Punkt hat sich das Bundesgericht (noch) nicht dazu geäussert, unter welchen Voraussetzungen diese durchzuführen ist. Hier kommt unter anderem die Problematik zum Vorschein, dass eine solche teilweise viel Zeit in Anspruch nimmt. Zeit, welche im Fall einer fristlosen Entlassung wohl gar nicht zur Verfügung stehen dürfte.

 

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Autor: Nicolas Facincani Matteo Ritzinger

 

 

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