Im Entscheid vom 22. April 2024 hat sich das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) (A-4782/2023) mit dem Beweismass bei der Geltendmachung einer sexuellen Belästigung auseinandersetzt. Ein Arbeitnehmer wurde wegen angeblicher sexueller Belästigung fristlos entlassen. Das BVGer kam zum Schluss, dass das erforderliche Beweismass nicht erreicht war. Es hiess die Beschwerde des Arbeitnehmer gegen die Kündigung teilweise gut und sprach eine Entschädigung von 3 Monatslöhnen.

 

Sachverhalt

Dabei lag dem Urteil folgender Sachverhalt zu Grunde: A (Arbeitnehmer) war als Bundesangestellter bei B (Arbeitgeber) seit 2018 angestellt. Mit Antrag vom 13. Juni 2023 beantragte der Mitarbeitende C vom Arbeitgeber eine interne Untersuchung wegen Mobbings gegen A. Aus der internen Untersuchung gehe hervor, dass A sich oft so verhalten haben soll, dass das Arbeitsklima belastet wurde. Zudem gab eine Kollegin von A an, dass sie von B sexuell belästigt, worden sein. Die Arbeitskollegin machte unerwünschte, sexuell konnotierte Berührungen und verbale Belästigungen geltend. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit dem Bundesangestellten fristlos aus wichtigen Gründen. Dagegen erhob der Angestellte Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. A bestritt das Vorhandensein eines wichtigen Grundes und behauptete Opfer einer Verschwörung geworden zu sein. A beantragte eine Entschädigung von 65 000 Franken, jedoch keine Weiterbeschäftigung.

 

Zum wichtigen Grund

Dabei äusserte sich das Bundesverwaltungsgericht zunächst allgemein zur Begrifflichkeit des wichtigen Grundes, wonach dieses grundsätzlich restriktiv zur Anwendung gelangt und einen Vertrauensbruch im Arbeitsverhältnis voraussetzt. So erwähnte das BVGer: «Conformemente a consolidata giurisprudenza, la disdetta immediata per motivi gravi, quale misura eccezionale, deve essere ammessa in maniera restrittiva. In questo senso, unicamente in presenza di una manchevolezza particolarmente grave del lavoratore, si può giustificare il licenziamento immediato; nello specifico è necessario che la manchevolezza abbia compromesso la relazione di fiducia fra le parti – presupposto essenziale di un rapporto di lavoro – o che l’abbia pregiudicata a tal punto che la prosecuzione del contratto sino al termine di disdetta ordinario non sia più sostenibile (besonders schweres Fehlverhalten; cfr. sentenza del TAF A-659/2023 del 12 marzo 2024 consid. 5.1.2 con riferimenti).» (A-4782/2023, E.4.1).

Daraufhin konkretisiert das BVGer die für den Arbeitnehmer anwendbaren Bestimmungen des Bundespersonalgesetzes (BPG), deren Verletzung einen wichtigen Grund für eine fristlose Entlassung darstellen kann. Dabei handelt es sich um die (Fürsorge)Pflicht des Arbeitnehmers, die berechtigten Interessen des Arbeitgebers und des Bundes zu wahren (Art. 20 BPG). Die Fürsorgepflicht verpflichtet den Arbeitnehmer insbesondere, bestimmte Handlungen zu unterlassen, die das Arbeitsverhältnis oder die Interessen des Arbeitgebers schädigen. So kann sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ein schwerwiegendes Motiv darstellen: «In particolare, il dovere di diligenza impone al dipendente di astenersi da determinate attività che danneggiano il rapporto di lavoro o gli interessi del datore di lavoro. Un comportamento inaccettabile nei confronti dei colleghi di lavoro può costituire un motivo grave, ad esempio le molestie sessuali sul posto di lavoro (sentenza del TAF A-2913/2021 del 24 ottobre 2022 consid. 6.6 con ulteriori riferimenti). (…), le molestie sessuali o sessiste sono considerate una violazione degli obblighi previsti dal contratto di lavoro.» (A-4782/2023, E. 4.2).

 

Anwendbares Beweismass

In Bezug auf das Beweismass stellt das BVGer klar, dass es nicht ausreichend ist die wichtigen Gründe lediglich glaubhaft zu machen: «A titolo di precisazione, il Tribunale segnala che nel caso di specie non è sufficiente dimostrare unicamente la verosimiglianza di ciò che viene allegato, visto che l’art. 6 della Legge federale sulla parità dei sessi del 24 marzo 1995 (LPar, RS 151.1) – legge che potrebbe essere richiamata in relazione a fatti di molestie sessuali (cfr. art. 4 LPar) – fa un elenco di motivi in cui vi è un alleggerimento dell’onere della prova, all’interno del quale non è però inclusa la situazione riguardante le molestie sessuali (cfr. SUTTER/FACINCANI, in: Handkommentar, Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann vom 24. März 1995, 2022, art. 6 LPar n. marg. 42)» (A-4782/2023, E.5). Es wird zwar keine absolute Gewissheit verlangt, jedoch darf das Gericht keine ernsthaften Zweifel in Bezug auf die Wahrheit der Behauptungen hegen. Verbleibende Zweifel dürften sodann nur geringfügig sein: «Una sicurezza assoluta non può essere domandata. Il Tribunale non deve tuttavia nutrire dei seri dubbi sulla fondatezza di quanto allegato. Gli eventuali restanti dubbi devono poi essere di lieve natura (cfr. MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER/ KAYSER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 3a ed. 2022, n. marg. 3.141)» (A-4782/2023, E. 5).

Vorliegend kam das BVGer, nach einer gesamthaften Würdigung der Beweise, zum Schluss, dass der wichtige Grund, der zur fristlosen Kündigung führte, nicht erwiesen war. Aufgrund der vagen und unstimmigen Zeugenaussagen (inhaltlich siehe A-4782/2023, E.6.1, erster Spiegelstrich: «Mi è sembrato […]» oder siehe A-4782/2023, E.6.1, zweiter Spiegelstrich «coprendomi la visuale […] così mi è apparso») und der zweifelhaften, zeitlichen Darstellung der Geschehnisse war das erforderliche Beweismass nicht erreicht: «In altre parole, per i motivi esposti (cfr. supra consid. 6.5.1 segg.) e dopo un apprezzamento complessivo dei mezzi di prova apportati dall’autorità inferiore, lo scrivente Tribunale non si può ritenere convinto della sussistenza del motivo grave come ritenuto nella decisione impugnata. Permangono ancora infatti dei dubbi di natura non lieve sulla fondatezza delle tesi dell’autorità inferiore. Il Tribunale non può nemmeno ritenere con certezza, visti i dubbi emersi, che la tesi del complotto sostenuta dal ricorrente possa essere esclusa nel modo più assoluto. I dubbi che nutre il Tribunale sono anche da ricondurre ad un’inchiesta svolta in maniera approssimativa.» (A-4782/2023, E. 6.6). Die St. Galler Richter rügten überdies die Vorgehensweise der geführten internen Untersuchung und – in Anbetracht der schwerwiegenden Vorwürfe gegen A – der Arbeitgeber mehr Beweise zur Untermauerung der Entscheidung hätte vorlegen müssen. So: «Viste anche le gravi accuse mosse nei confronti del ricorrente, l’autorità avrebbe dovuto fornire maggiori elementi a sostegno della decisione.», siehe A-4782/2023, E. 6.6).

 

Entschädigung

Daraus folgend besteht ein Entschädigungsanspruch. Dabei kürzte das BVGer den von A geltend gemachten 6 auf 3 Monatslöhnen mit der Begründung, dass A sich in seinem Anstellungsverhältnis nicht immer vorbildlich verhalten haben soll und das Gericht weiterhin Zweifel an seinem Verhalten gegenüber weiblichen Kollegen hat («Dato il comportamento non esemplare del ricorrente nel corso della sua attività presso B._______ e visto che al Tribunale permangono comunque dei dubbi in merito al suo comportamento nei confronti delle colleghe donne, si giustifica una riduzione dell’indennità a tre mesi di salario lordo», siehe A-4782/2023, E. 8.3).

Anzumerken gilt, dass dieses Urteil noch beim Bundesgericht angefochten werden kann.

 

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Autoren: Nicolas Facincani Matteo Ritzinger

 

 

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