Erfolgt eine Kündigung während der Schwangerschaft oder während 16 Wochen nach der Niederkunft durch den Arbeitgeber, so ist diese nach Schweizerischem Arbeitsrecht nichtig (unabhängig vom Wissen oder Wissenmüssen des Arbeitgebers) und kann als nicht ausgesprochen betrachtet werden. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, nach Ablauf der Sperrfrist (also frühestens 16 Wochen nach der Niederkunft) erneut eine Kündigung zuzustellen, will er an der Kündigung festhalten. Es kann auch geschehen, dass eine Kündigung gültig ausgesprochen wird und während der laufenden allgemeinen Kündigungsfrist ein Grund für eine Sperrfrist eintritt. Ist dies der Fall, so wird die Dauer der Arbeitsverhinderung aufgrund der Sperrfrist am Ende der Kündigungsfrist hinzugerechnet (d.h. wird eine Kündigung durch den Arbeitgeber vor Beginn der Schwangerschaft ausgesprochen, wird die Kündigungsfrist während der gesamten Dauer der Sperrfrist (d.h. während der ganzen Schwangerschaft und 16 Wochen danach) unterbrochen und erst nach deren Ablauf um die restliche Dauer fortgesetzt).
Während der Probezeit gilt der zeitliche Kündigungsschutz nicht, es gelten nur die Bestimmungen zum sachlichen Kündigungsschutz. Insbesondere kann eine Kündigung missbräuchlich sein und zugleich gegen das Gleichstellungsgesetz verstossen, wenn einer Schwangeren während der Probezeit (wegen der Schwangerschaft) gekündigt wird.
Regelung in Deutschland
Das Deutsch Recht enthält eine vergleichbare Regelung, doch muss die Schwangerschaft dem Arbeitgeber bekannt sein, oder innert 2 Wochen nach der Kündigung bekannt gemacht werden:
§ 17 („Kündigungsverbot“) des Gesetzes zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz) vom 23. Mai 2017 (BGBl. 2017 I S. 1228, im Folgenden: MuSchG) lautet wie folgt:
(1) Die Kündigung gegenüber einer Frau ist unzulässig
- während ihrer Schwangerschaft,
- bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und
- bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung,
wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Das Überschreiten dieser Frist ist unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers, die er im Hinblick auf eine Kündigung der Frau trifft.
(2) Die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle kann in besonderen Fällen, die nicht mit dem Zustand der Frau in der Schwangerschaft, nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder nach der Entbindung in Zusammenhang stehen, ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklären. Die Kündigung bedarf der Schriftform und muss den Kündigungsgrund angeben.
Das Kündigungsschutzgesetz vom 25. August 1969 (BGBl. 1969 I S. 1317) (im Folgenden: KSchG) bestimmt in § 4 („Anrufung des Arbeitsgerichtes“):
Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrates beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichtes erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.
In § 5 KSchG („Zulassung verspäteter Klagen“) heisst es:
(1) War ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben, so ist auf seinen Antrag die Klage nachträglich zuzulassen. Gleiches gilt, wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 Kenntnis erlangt hat.
(2) Mit dem Antrag ist die Klageerhebung zu verbinden; ist die Klage bereits eingereicht, so ist auf sie im Antrag Bezug zu nehmen. Der Antrag muss ferner die Angabe der die nachträgliche Zulassung begründenden Tatsachen und der Mittel für deren Glaubhaftmachung enthalten.
(3 Der Antrag ist nur innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig. Nach Ablauf von sechs Monaten, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann der Antrag nicht mehr gestellt werden.
7 KSchG („Wirksamwerden der Kündigung“) sieht vor:
„Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam
Urteil des Europäischen Gerichtshofes C‑284/23 vom 27. Juni 2024
Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes C‑284/23 vom 27. Juni 2024 hatte sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die vorgenannte Deutsche Regelung der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1992, L 348, S. 1) widerspricht oder nicht. Diese Richtlinie sieht nämlich das Folgende vor:
Art. 10 („Verbot der Kündigung“) der Richtlinie 92/85 sieht vor:
Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird Folgendes vorgesehen:
- Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Kündigung der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 8 Absatz 1 zu verbieten; davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind, wobei gegebenenfalls die zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muss.
- Wird einer Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2 während der in Nummer 1 genannten Zeit gekündigt, so muss der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführen.
- Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 vor den Folgen einer nach Nummer 1 widerrechtlichen Kündigung zu schützen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass die Zweiwochenfrist für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage für schwangere Frauen, die erst nach Ablauf der regulären Klagefrist von ihrer Schwangerschaft erfahren, mit europäischem Recht unvereinbar ist:
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die in § 5 KSchG vorgesehene Frist von zwei Wochen vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen zu Verfahrensnachteilen zu führen scheint, die gegen den Grundsatz der Effektivität und damit gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch die Richtlinie 92/85 verliehenen Rechte verstoßen können. Diese Frist, die deutlich kürzer ist als die in § 4 KSchG vorgesehene ordentliche Frist, scheint nämlich in Anbetracht der Situation, in der sich eine Frau zu Beginn ihrer Schwangerschaft befindet, besonders kurz zu sein und es der schwangeren Arbeitnehmerin sehr schwierig zu machen, sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage sowie die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen, zumal Unsicherheiten hinsichtlich des Beginns dieser Zweiwochenfrist und der Kumulierung von Pflichten nicht auszuschließen sind, für die jeweils unterschiedliche Fristen gelten und die teils gegenüber dem Arbeitgeber, teils gegenüber einem Gericht zu erfüllen sind.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 10 und 12 der Richtlinie 92/85 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine schwangere Arbeitnehmerin, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der für die Erhebung einer Klage gegen ihre Kündigung vorgesehenen Frist Kenntnis erlangt hat, eine solche Klage nur dann erheben kann, wenn sie binnen zweier Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellt, sofern die Verfahrensmodalitäten im Zusammenhang mit diesem Zulassungsantrag insoweit nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes genügen, als sie Nachteile mit sich bringen, die geeignet sind, die Umsetzung der Rechte übermäßig zu erschweren, die Art. 10 dieser Richtlinie schwangeren Arbeitnehmerinnen vermittelt.
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Autor: Nicolas Facincani
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