Im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens werden den Bewerbern verschiedene Fragen gestellt. Das Fragerecht des Arbeitgebers ist aber beschränkt. Es dürfen nur Fragen gestellt werden, die zu der besetzenden Stelle in einem Zusammenhang stehen und an denen der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat. Es ist von der konkreten Stelle abhängig, ob eine Frage zulässig oder unzulässig ist. So ist insbesondere die Position und die Wichtigkeit der Stelle zu berücksichtigen (vgl. hierzu etwa Dominik Probst, in: Etter/Facincani/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 320 N 5ff.).

Wird der Arbeitgeber im Rahmen des Bewerbungsverfahrens getäuscht, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag anfechten oder eine fristlose Kündigung aussprechen. Auch wenn sich die Rechtsfolgen der fristlosen Kündigung und der Anfechtung ähneln, so bestehen in der Fristenregelung erhebliche Unterschiede. Der Arbeitgeber muss eine fristlose Kündigung sofort nach Kenntnis des Kündigungsgrundes aussprechen, während das Recht zur Anfechtung gemäss Art. 31 OR grundsätzlich innerhalb Jahresfrist ausgeübt werden kann. Versäumt es der Arbeitgeber, eine fristlose Kündigung rechtzeitig auszusprechen, so soll ihm über die Anfechtung eine alternative Vorgehensweise zur Verfügung stehen. Wird zuerst die fristlose Kündigung geltend gemacht, schliesst dies die nachträgliche Anfechtung des Vertrages aus.

Dieser Ansatz ist vergleichbar mit demjenigen im Kaufrecht, wo die alternative Anwendbarkeit der Anfechtung wegen Willensmängeln neben der Sachmängelgewährleistung ebenfalls anerkannt und mit der unterschiedlichen Fristenregelung begründet wird.

Das Obergericht Zug hatte im Entscheid Z1 2021 14 vom 12. Mai 2022 einen solchen Fall zu beurteilen.

 

Sachverhalt Entscheid Z1 2021 14 vom 12. Mai 2022

In der Begründung der Kündigung machte der Arbeitgeber geltend. Der Arbeitnehmer habe mehrere falsche Angaben gemacht und Tatsachen im Rahmen seiner Bewerbung verschwiegen. Sodann sei das Arbeitszeugnis gefälscht worden. In der Folge erklärte der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag infolge absichtlicher Täuschung im Sinne von Art. 28 OR als „von Anfang an unverbindlich“ und forderte von die erbrachten Leistungen (Lohn) zurück.

 

Art. 320 Abs. 3 OR

Ist ein Arbeitsvertrag nichtig oder wird er nach dessen Abschluss erfolgreich angefochten, so kann der Arbeitnehmer, obgleich kein Arbeitsvertrag vorliegt, dennoch den Lohnanspruch geltend machen, sofern er für den Arbeitgeber gutgläubig eine Arbeitsleistung erbracht hat. In einem solchen Fall liegt ein faktischer Arbeitsvertrag vor (Art. 320 Abs. 3 OR). Guter Glaube liegt vor, wenn der Arbeitnehmer den Mangel des Arbeitsvertrages (Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit) nicht kannte und auch nicht hätte kennen sollen. An der Gutgläubigkeit fehlt es nur dann, wenn der Arbeitnehmer positive Kenntnis von der Ungültigkeit hatte. Die Voraussetzungen an ein solches faktisches Arbeitsverhältnis sind:

  • Abschluss eines Arbeitsvertrages
  • Ungültigkeit (Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit) eines abgeschlossenen Arbeitsvertrages
  • bereits geleistete Arbeit aufgrund des ungültigen Arbeitsvertrages
  • Gutgläubigkeit des Arbeitnehmers.

Liegt ein faktisches Arbeitsverhältnis vor, so kann jede Partei den faktischen Arbeitsvertrag mit sofortiger Wirkung kündigen. Die Auflösung des Arbeitsvertrages kann so lange erfolgen, als der Ungültigkeitsgrund noch besteht.

 

Erwägungen des Obergerichts

Das Obergericht prüfte insbesondere die Rechtsfolgen des wegen absichtlicher Täuschung erfolgreich angefochtenen Vertrages.

Konkret ging es darum, dass gemäss Art. 320 Abs. 3 OR die Auflösung von Arbeitsverhältnissen aufgrund von Ungültigkeit ausnahmsweise ex nunc erfolgt (der Vertrag ist in diesem Fall bis zur Anfechtung als gültig zu betrachten und nicht rückabzuwickeln), dies obwohl einseitig unverbindliche Verträge grundsätzlich ex tunc abgewickelt werden und bereits erbrachte Leistungen zurückzuerstatten sind. Jedoch knüpft Art. 320 Abs. 3 OR dies ausdrücklich an die Gutgläubigkeit des Arbeitnehmers. Das Obergericht verwies auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach die Vermutung des guten Glaubens gem. Art. 3 Abs. 1 ZGB auch in Bezug auf Art. 320 Abs. 3 OR gelte.

Das Obergericht führte aus, dass die gesetzlich verlangte Gutgläubigkeit des Arbeitnehmers nur dann zu verneinen sei, wenn ihm nicht nur die Kenntnis vom Mangel beim Zustandekommen, sondern auch die Kenntnis um die rechtliche Unverbindlichkeit des Vertrags nachgewiesen werden könne. Gemäss Obergericht liege es am Arbeitgeber, den vermuteten guten Glauben mittels Gegenbeweises zu widerlegen. Die Arbeitgeberin habe es aber trotz entsprechender Behauptungs- und Beweislast versäumt, entsprechende Behauptungen aufzustellen. Abgesehen davon, vermöge eine Täuschung mit einem gefälschten Arbeitszeugnis die Gutgläubigkeit im Sinne von Art. 320 Abs. 3 OR nicht alleine zu beseitigen. Dementsprechend sei von der Gutgläubigkeit des Beklagten auszugehen.

 

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Autor: Nicolas Facincani 

 

 

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