Regelmässig ist im Zusammenhang mit fristlosen Kündigungen strittig, ob diese noch rechtzeitig ausgesprochen wurden. Rechtsprechung und Lehre verlangen, dass der Arbeitgeber die fristlose Kündigung umgehend ausspricht. Andernfalls wird angenommen, die Fortführung des Arbeitsverhältnisses sei für ihn zumutbar.

Die zivilrechtliche Praxis zu Art. 337 OR, die eine fristlose Kündigung grundsätzlich nur innert einer Zeitspanne von wenigen Arbeitstagen erlaubt, kann jedoch nicht ohne Weiteres auf öffentlich-rechtliche Anstellungsverhältnisse übertragen werden.

Aufgrund der Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens wird dem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber eine längere Reaktionsfrist zugestanden. Im öffentlichen Personalrecht ergeht die Kündigung in der Regel in Form einer schriftlich begründeten Verfügung. Der Kündigung geht dabei oft eine Untersuchung voraus, insbesondere, wenn Verdachtsmomente zu erhärten beziehungsweise zu widerlegen sind. Zudem ist dem Angestellten vor der Kündigung das rechtliche Gehör einzuräumen. Hinzu kommen die speziellen Verfahrensabläufe in der Verwaltung, die es häufig nicht erlauben, unverzüglich über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu entscheiden.

Die Reaktionsfrist beginnt schliesslich erst zu laufen, wenn der Arbeitgeber genügend sichere Kenntnis der Umstände hat. Der Arbeitgeber muss den Sachverhalt zwar beförderlich abklären, darf sich aber die für eine sorgfältige Erstellung des Sachverhaltes nötige Zeit nehmen.

Auch im Entscheid BVGer A-4618/2021 vom 18. April 2023 war strittig, ob die fristlose Entlassung rechtzeitig ausgesprochen wurde. Diese wurde 11 Monate nach Entdeckung von Unregelmässigkeiten ausgesprochen: Dem Entscheid lag der folgende Sachverhalt zugrunde.

 

Sachverhalt Entscheid BVGer A-4618/2021 vom 18. April 2023

Nachdem die SBB diverse Unregelmässigkeiten in Bezug auf die Auftragsvergaben aufgedeckt hatte, mit denen der Arbeitnehmer zu tun gehabt hatte, reichte sie am 26. Oktober 2020 Strafanzeige gegen ihn ein. Am 25. November 2020 eröffnete die Bundesanwaltschaft eine Strafuntersuchung wegen Gehilfenschaft zur ungetreuen Amtsführung und Betrug. Am 12. März 2021 stellte die SBB den Arbeitnehmer bis zur vollständigen Klärung des Sachverhalts frei. Am 7. September 2021 befragte die SBB den Arbeitnehmer und am 10. September 2021 gewährte sie ihm das rechtliche Gehör zur beabsichtigten fristlosen Kündigung. Am 22. September 2021 löste die SBB das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer wegen wichtiger Gründe fristlos auf.

 

Vorbringen des Arbeitnehmers gegen die Rechtzeitigkeit der fristlosen Kündigung

Unter anderem war durch das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob die fristlose Entlassung rechtzeitig erfolgte:

Der Arbeitnehmer brachte vor, die fristlose Kündigung sei nicht gerechtfertigt, weil die SBB die Reaktionsfrist für eine fristlose Kündigung nicht eingehalten habe. Die SBB habe die Kündigung erst rund elf Monate nach der Strafanzeige ausgesprochen, womit diese verspätet erfolgt sei. Die SBB habe ihre Strafanzeige am 26. Oktober 2020 eingereicht und bereits vorher umfangreiche Abklärungen vorgenommen. Dennoch habe sie damals darauf verzichtet, das Arbeitsverhältnis zu beenden oder ihn mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Die Bundesanwaltschaft habe der SBB daraufhin am 27. November 2020 ein Mitteilungsverbot auferlegt, das sie am 10. März 2021 wieder aufgehoben habe. Am 23. März 2021 habe sich die zuständige Person der Abteilung Legal Counsel der SBB telefonisch bei der zuständigen Bundesermittlerin erkundigt, ob die SBB den Beschwerdeführer aus arbeitsrechtlicher Sicht mit den Vorwürfen konfrontieren dürfe. Die Bundesermittlerin habe dies bestätigt. Am 21. April 2021 habe die SBB Einsicht in die Akten der Bundesanwaltschaft erhalten. Danach habe sie nochmals fünf Monate gewartet, bis sie ihn auf den 7. September 2021 zu einer Sachverhaltsabklärung eingeladen habe. Entgegen den Behauptungen der SBB habe weder die Bundesanwaltschaft noch die Bundeskriminalpolizei verfügt, dass aufgrund der laufenden Ermittlungen interne Untersuchungen und Befragungen zu unterlassen seien. Es habe auch im August 2021 keine «Erlaubnis» der Bundesanwaltschaft gegeben, ihn zu befragen. In den Strafakten befände sich kein Hinweis auf einen solchen Kontakt zwischen den Strafverfolgungsbehörden und der SBB. Gemäss Aktenverzeichnis der Bundesanwaltschaft habe es zwischen ihr und der SBB nach dem 19. April und dem 15. Juli erst am 15. Dezember 2021 wieder einen Kontakt gegeben.

 

Entscheid BVGer A-4618/2021 vom 18. April 2023

Das Verwaltungsgericht bestätigte die Rechtzeitigkeit der fristlosen Entlassung, insbesondere weil glaubhaft vorgebracht werden konnte, dass Gründe für die verzögerte Kontaktnahme mit dem Arbeitnehmer vorlagen:

7.5.3 Die Vorinstanz reichte am 26. Oktober 2020 Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer ein. Vom 27. November 2020 bis am 10. März 2021 galt gestützt auf Art. 73 Abs. 2  StPO ein Mitteilungsverbot der Bundesanwaltschaft. Am 10. März 2021 hob die Bundesanwaltschaft das Mitteilungsverbot auf, woraufhin die Vorinstanz den Beschwerdeführer am 11. März 2021 freistellte. Am 19. August 2021 lud die Vorinstanz den Beschwerdeführer auf den 31. August 2021 zu einem Gespräch zur Abklärung des Sachverhaltes ein. Das Gespräch fand schliesslich am 7. September 2021 statt, nachdem der Beschwerdeführer die Vorinstanz am 29. August 2021 über seine Ferienabwesenheit bis am 4. September 2021 informiert hatte. Nach dem Gespräch forderte die Vorinstanz den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. September 2021 auf, zum Entwurf der Kündigungsverfügung Stellung zu nehmen und sprach schliesslich am 22. September 2021 die fristlose Kündigung aus.

7.5.4 Dass die Vorinstanz den Beschwerdeführer nicht vor Ergehen des Mitteilungsverbots befragte, ist nachvollziehbar: Erstens war der Beschwerdeführer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und zweitens lagen der Vorinstanz zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle relevanten Tatsachen vor, zum Beispiel bezüglich der gefälschten Dokumente, die in der Strafanzeige vom 26. Oktober 2020 noch nicht erwähnt wurden. Vom 27. November 2020 bis am 10. März 2021 war sodann aufgrund des Mitteilungsverbots unbestrittenermassen keine Befragung möglich.

Zu beurteilen bleibt die Frage, ob der Umstand, dass die Vorinstanz den Beschwerdeführer vom 10. März 2021 bis zum 19. August 2021 nicht zum Sachverhalt befragte, darauf schliessen lässt, dass ihr die Fortführung des Arbeitsverhältnisses zumutbar war und die fristlose Kündigung damit nicht gerechtfertigt. Für diesen Zeitraum liegt keine formelle Verfügung der Bundesanwaltschaft oder der Bundespolizei vor, welche die Befragung des Beschwerdeführers verboten hätte. Die Dauer von fünf Monaten – während der die Vorinstanz auch keine anderen Sachverhaltsabklärungen vornahm – spricht grundsätzlich gegen ein endgültig zerstörtes Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem Beschwerdeführer und ist entsprechend rechtfertigungsbedürftig.

Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts ist es jedoch zulässig, mit einer fristlosen Kündigung bis zum Abschluss eines Strafverfahrens zu warten, wenn ein strafrechtlicher Sachverhalt oder dessen rechtliche Würdigung relevant sein könnte (vgl. BGE 138 I 113 E. 6.4.1 mit Verweis auf das Urteil des BGer 1P_47/2000 vom 25. April 2000 E. 2b). Vorliegend wartete die Vorinstanz zwar nicht den Abschluss des Strafverfahrens insgesamt ab, jedoch ergaben sich aus dem Strafverfahren (zusätzliche) Sachverhaltselemente und Beweismittel, auf welche die Vorinstanz ihre Kündigung stützte.

Darüber hinaus macht die Vorinstanz glaubhaft geltend, ihr sei sehr daran gelegen gewesen, dem Beschwerdeführer so schnell wie möglich zu kündigen. Sie habe dies nur deshalb nicht früher getan, weil sie von den Strafverfolgungsbehörden darum gebeten worden sei, mit der Befragung zu warten. Die Vorinstanz führt diesbezüglich aus, sie habe sich am 23. März 2021 bei der Bundeskriminalpolizei erkundigt, ob eine Befragung des Beschwerdeführers möglich sei. Am darauffolgenden Tag sei sie über ihre Rechtsvertreterin informiert worden, dass keine arbeitsrechtliche Befragung stattfinden dürfe. Zudem sei sie darum gebeten worden, nicht direkt mit den Strafverfolgungsbehörden zu kommunizieren, sondern nur über die Rechtsvertreterin. Anlässlich der strafrechtlichen Einvernahme des Beschwerdeführers am 14. April 2021 habe sie sich bei der zuständigen Bundesermittlerin nach dem weiteren Vorgehen erkundigt. Diese habe mitgeteilt, dass sie informieren werde, wenn eine Befragung stattfinden könne. Im Juni 2021 habe sich die Vorinstanz über die Rechtsvertreterin erneut erkundigt, ob eine Befragung nun möglich sei. Am 16. August 2021 sei ihr schliesslich erlaubt worden, den Beschwerdeführer zu befragen.

Die Vorinstanz legt zum Beweis dieser Vorbringen zwar keine entsprechenden Aufforderungen der Ermittlungsbehörden vor, wie der Beschwerdeführer zu Recht moniert. Immerhin belegt sie aber mit einer internen E-Mail vom 16. August 2021, dass die zuständige Person von Legal Counsel SBB an diesem Tag den direkten Vorgesetzten des Beschwerdeführers und HR darüber informierte, dass sie von der Bundesanwaltschaft grünes Licht für die Befragung des Beschwerdeführers erhalten habe. Die Ausführungen der Vorinstanz dazu, wieso sie den Beschwerdeführer nicht früher befragte, sind zudem ausführlich und nachvollziehbar. Demgegenüber lässt der Beschwerdeführer offen, woher er die Information hat, die zuständige Bundesermittlerin habe der Vorinstanz am 23. März 2021 telefonisch mitgeteilt, sie (die Vorinstanz) müsse selber entscheiden, wie sie arbeitsrechtlich vorgehen wolle. Darüber hinaus hatte die Vorinstanz bereits mit der Einreichung einer Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer klar belegt, dass sie das Verhalten des Beschwerdeführers als gravierend ansah. Schliesslich ist in verschiedener Hinsicht ersichtlich, dass die Vorinstanz sich um ein beschleunigtes Verfahren bemühte, was ebenfalls unterstreicht, dass sie die Anschuldigungen als schwerwiegend einschätzte. So stellte sie den Beschwerdeführer unmittelbar nach Aufhebung des Mitteilungsverbots frei und bemühte sich nach dem 16. August 2021 umgehend um einen Gesprächstermin. Die Vorinstanz bemühte sich im Rahmen des Möglichen, das Verfahren voranzutreiben. Die vom Beschwerdeführer gestellten Beweismittelanträge sind nach dem Gesagten mangels Relevanz respektive in antizipierter Beweiswürdigung abzuweisen, zumal es sich dabei vor allem um Zeugenbefragungen handelt, die vom Bundesverwaltungsgericht lediglich als subsidiäre Beweismittel angeordnet werden (vgl. Art. 14 Abs.1 Bst. c  VwVG).

Nach dem Gesagten ist glaubhaft, dass die Vorinstanz mit der Befragung des Beschwerdeführers zuwartete, weil die zuständigen Behörden des Strafverfahrens sie darum gebeten hatten. Dass dem Aktenverzeichnis der Bundesanwaltschaft nach dem 15. Juli 2021 erst wieder im Dezember 2021 ein Kontakt zwischen ihr und der Vorinstanz entnommen werden kann, ändert daran nichts. Es erscheint ohne Weiteres vorstellbar, dass solche für das Strafverfahren unbedeutende Kontakte keinen direkten Niederschlag in den Strafakten fanden.

7.5.5 Insgesamt ist damit nicht davon auszugehen, dass die Vorinstanz unzulässig lange mit der fristlosen Kündigung zuwartete und ihr die Fortführung des Arbeitsverhältnisses zumutbar gewesen wäre.

 

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Autor: Nicolas Facincani 

 

 

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