Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber (oder auch der Arbeitnehmer) das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen. Die fristlose Entlassung kann jederzeit ausgesprochen werden. Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf. Es ist aber eine sofortige Reaktion erforderlich.

 

ZR 1979 Nr. 77

In ZR 1979 Nr. 77 hatte sich das Obergericht des Kantons Zürich mit der Frage der Rechtmässigkeit der fristlosen Entlassung eines Reisevertreters wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand mit dem Geschäftsauto zu befassen.

 

Sachverhalt

Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der ab anfangs Juli 1973 für die Beklagte (Arbeitgeberin) als Reisevertreter tätige Kläger (Arbeitnehmer) lenkte am späten Abend des 30. August 1974 den Firmenwagen mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens zwei Gewichtspromille von einem Restaurant in Zürich aus an seinen Wohnort im Zollikerberg. Auf der Fahrt kollidierte er mit einem Kandelaber. Das Auto erlitt Totalschaden. Er selbst zog sich Verletzungen zu, deretwegen er mehrere Monate voll arbeitsunfähig war. Durch Verfügung vom 19. September 1974 entzog ihm die Polizeidirektion den Führerausweis für die Dauer von 22 Monaten ab dem Unfalltag. Mit Schreiben vom 20. September 1974 teilte die Beklagte dem Kläger mit, auf Grund des Ereignisses vom 30. August 1974 kündige. sie ihm den Anstellungsvertrag „fristlos, d.h. auf den 1.9.1974 rückwirkend“, wobei sie bemerkte, die fristlose Entlassung sei auf sein grobfahrlässiges Verhalten zurückzuführen, und sie mache ihn für den der Firma „entstandenen materiellen Schaden und geschäftlichen Schaden (Hauptsaison)… verantwortlich“. Der Kläger fordert im Prozess unter anderem Lohn für die Monate September bis November 1974. Die Beklagte hat Abweisung beantragt und für Schaden wegen Umsatzausfalls etc. Widerklage erhoben.

 

Entscheid des Obergerichts

Das Obergericht vertrat die Auffassung, dass die fristlose Kündigung gerechtfertigt war, verneinte aber die Zulässigkeit der Rückwirkung der fristlosen Kündigung.

Für das Obergericht war es nicht entscheidend, ob der Kläger seitens der Beklagten seinerzeit angewiesen worden sei, sich des Alkoholgenusses zu enthalten, oder ob Verwarnungen vorangegangen seien. Ebensowenig sei ausschlaggebend, ob der Alkoholexzess und die anschliessende verhängnisvolle Fahrt als noch in die Arbeitszeit fallend betrachtet werden können oder nicht. Wesentlich sei dagegen, dass der Kläger, als er trank, sich bewusst gewesen sein muss, dass er das der Beklagten gehörende Geschäftsauto bei sich hatte und dieses hernach noch an seinen Wohnort zu steuern haben werde:

Nach Art. 321a Abs. 1 und 2 OR hat der Arbeitnehmer Fahrzeuge und Material, die ihm vom Arbeitgeber zur Ausführung der Arbeit zur Verfügung gestellt werden, sorgfältig zu behandeln und überhaupt die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren. Damit wird dem Arbeitnehmer jede nicht durch die Diensterfüllung gerechtfertigte Gefährdung von Fahrzeug und Material des Arbeitgebers untersagt, läuft doch schon diese dessen Interessen zuwider. Wer mit dem Fahrzeug des Dienstherrn und einer anvertrauten wertvollen Ladung im Rauschzustand herumfährt, wie es der Kläger tat, gefährdet das ihm vom Arbeitgeber anvertraute Gut in hohem Masse, und zwar in grobfahrlässiger, unentschuldbarer Weise. Er verletzt schon damit den Arbeitsvertrag schwerwiegend. Hier hat sich zudem die Gefährdung verwirklicht, verlor der betrunkene Kläger doch in einer nahe bei seiner Wohnung gelegenen und ihm daher zweifellos bestens bekannten Strassengabelung infolge übersetzter Geschwindigkeit die Herrschaft über das Fahrzeug und beschädigte dieses bei der anschliessenden Kollision derart, dass es nicht mehr zu reparieren war. Der Arbeitsvertrag der Parteien sah vor, dass der Kläger seine Reisetätigkeit, welche sich auf das ganze Gebiet der Schweiz und Süddeutschlands bis zur Autobahn München-Karlsruhe erstrecken sollte, mit dem ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Auto ausüben werde. Der Arbeitsantritt des Klägers war seinerzeit deshalb erst auf den 1. Juli 1973 festgesetzt worden, weil ihm bis anfangs Juli 1973 wegen eines vorangegangenen Falles von Fahren in angetrunkenem Zustand der Führerausweis entzogen war. Im Berufungsverfahren unbestritten blieb auch, dass der Kläger darauf aufmerksam gemacht wurde, er könne nur als Vertreter tätig sein, wenn er über den Führerausweis verfüge. Im Strafverfahren wegen des Vorfalles vom 30. August 1973 erklärte er selber, er sei beruflich auf den Führerausweis angewiesen. Diesen Führerausweis, den er erst anfangs Juli 1973 wieder erhalten hatte und den er zur vertragsgemässen Ausübung seiner Reisetätigkeit benötigte, hat der Kläger in einer gegen die berechtigten Interessen der Beklagten als Arbeitgeberin verstossenden und damit vertragswidrigen Weise und zudem äusserst leichtfertig aufs Spiel gesetzt, wenn er – im Bewusstsein, welche Folgen dies haben könne – sich abermals in betrunkenem Zustand ans Steuer setzte. Tatsächlich wurde dem Kläger deswegen der Führerausweis erneut, diesmal gleich für 22 Monate, entzogen. Überdies führten die erlittenen Verletzungen dazu, dass der Kläger mehrere Monate 100% arbeitsunfähig war. Infolge seines vertragswidrigen und grobfahrlässigen Verhaltens war der Kläger somit auf lange Zeit nicht mehr in der Lage, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, dies zumal ja auch noch die Verbüssung einer wegen des raschen Rückfalls längeren Freiheitsstrafe in Aussicht stand. Dass die Beklagte unter solchen Umständen zur fristlosen Entlassung nach Art. 337 OR auch ohne vorangehende Verwarnung berechtigt war, steht ausser jedem Zweifel.

 

Sofortige Reaktion notwendig

Die fristlose Kündigung muss sofort nach Kenntnis des wichtigen Grundes ausgesprochen werden, ansonsten der Kündigende sein Recht auf sofortige Vertragsauflösung verwirkt hat. Das Bundesgericht erachtet im Regelfall eine Überlegungsfrist von etwa zwei bis drei Arbeitstagen als angemessen. Eine Reaktionszeit bis zu einer Woche wird vom Bundesgericht nur in Ausnahmefällen gewährt, wenn bei einer juristischen Person die Entscheidungskompetenz einem mehrköpfigen Gremium zusteht und die Willensbildung daher aufwendiger ist. Bei einem klaren Sachverhalt ist anders vorzugehen als in Fällen, in denen zuerst Abklärungen notwendig sind. Sind Abklärungen von Nöten, beginnt die vorgenannte Überlegungsfrist mit dem Abschluss der Abklärungen. Liegt ein konkreter Verdacht vor, den es abzuklären gilt, so hat der Kündigende die notwendigen Abklärungen unverzüglich zu veranlassen. Wartet er damit zu, so hat er sein Recht auf fristlose Kündigung ebenfalls verwirkt (BGE 138 I 113 E. 6.3).

Das Obergericht hielt fest, dass vorliegend der Beklagten nicht vorgehalten werden könne, sie habe die fristlose Entlassung zu spät erklärt. Richtig sei, dass eine ausserordentliche Kündigung innerhalb angemessener Frist nach Kenntnis des Kündigungsgrundes ausgesprochen werden müsse. Der Arbeitgeber dürfe sich jedoch, bevor er eine so schwerwiegende Massnahme ausspricht, zuerst zuverlässig über die Vorfälle vergewissern, welche für seinen Entschluss wesentlich sind. Zumal die Verfügung der Polizeidirektion betr. neuerlichen Entzug des Führerausweises erst vom 19. September 1974 datierte, sei eine am 20. September 1974 ausgesprochene fristlose Entlassung nach den Umständen des Falles durchaus nicht verspätet gewesen.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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