Während der Kündigungsfrist besuchte ein Lehrer weiterhin die Schule, behauptete, er würde dort weiter unterrichten und verschaffte sich unberechtigterweise Zugang zu sensiblen Daten über den Computer der Schulleitung. So teilte er am 23. August 2017 der Buchhalterin der Schule mit, dass er auf den Computer der Direktorin zugegriffen und Zugang zu vertraulichen oder privaten Dateien der Arbeitnehmer gehabt hatte, wie Steuerunterlagen, Jahresgehaltsbescheinigungen seiner Kollegen und der Direktorin, Verträge und Kündigungsschreiben früherer Arbeitnehmer. Er hatte auch Zugang zu persönlichen Dateien sowie zu privater Korrespondenz der Direktorin selbst, darunter Briefe an die Steuerbehörden oder privater Schriftverkehr mit ihrer Mutter. Der Arbeitnehmer behauptete, dass die Arbeitgeberin dafür verantwortlich sei, diese Dokumente nicht versteckt zu haben, und dass er beweisen könne, dass sie nicht geschützt waren. Er deutete gegenüber der Buchhalterin an, dass er die meisten vertraulichen Dokumente des derzeitigen und früheren Schulpersonals sowie Dokumente über das Privatleben der Schulleiterin besitze und dass er diese in nicht allzu ferner Zukunft gegen die Schulleiterin und die Schule verwenden werde. In der Folge wurde der Arbeitnehmer fristlos entlassen, was schliesslich zum Entscheid des Bundesgerichts BGer 4A_333/2023 vom 23. Februar 2024 führte.
Kantonale Vorinstanz
Es wurde durch die kantonalen Instanzen festgestellt, dass der Arbeitnehmer auf den Computer der Schulleiterin in deren Büro zugegriffen hat, zugänglich auch für andere Angestellte der Schule. Das kantonale Gericht hielt fest, dass der Arbeitnehmer umfangreiche Nachforschungen in den persönlichen Akten von Schülern und Angestellten der Schule anstellte und persönliche und private Dokumente der Schulleiterin einsehen konnte. Anschliessend drohte er damit, vertrauliche Dokumente des aktuellen und früheren Schulpersonals gegen die Interessen der Direktorin zu verwenden, und teilte mit, dass er selbst im Besitz dieser Dokumente sei. Insbesondere nahm er Kenntnis von dem Austausch der Schulleiterin mit der Steuerbehörde über ihre familiäre Situation sowie von privaten Gesprächen der Schulleiterin mit ihrer Mutter. Das kantonale Gericht hielt fest, dass der Arbeitnehmer diese Daten, von denen er nicht wissen konnte, dass sie ihn nicht betrafen und dass sie sensible Informationen enthielten, lange durchgesehen hatte. Anschliessend prahlte er telefonisch gegenüber der Buchhalterin der Arbeitgeberin damit, dass er seiner Meinung nach „kompromittierende“ Dokumente entdeckt habe, und kommentierte den Ton, den die Geschäftsführerin in ihrer privaten Korrespondenz anschlug, indem er sie als „Psychopathin“ bezeichnete.
In rechtlicher Hinsicht bezeichnete das kantonale Gericht dieses Verhalten als unzulässiges, besonders schwerwiegendes Fehlverhalten, das eine fristlose Kündigung rechtfertige, und stellte fest, dass es zu einem irreparablen Bruch des notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geführt habe.
Fristlose Kündigung
Nach Art. 337 OR können Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen. Die fristlose Entlassung kann jederzeit ausgesprochen werden. Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf.
Nach der Rechtsprechung ist eine fristlose Entlassung ist nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt, welche:
- objektiv geeignet sind, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zuzumuten ist, und
- auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben.
Zusätzlich gilt:
- Nach der Rechtsprechung muss eine Partei, die den Vertrag mit sofortiger Wirkung kündigen will, unverzüglich handeln, sobald sie von einem wichtigen Grund zur Kündigung Kenntnis erlangt, andernfalls wird ihr das Recht genommen, davon Gebrauch zu machen. Wenn es zu langsam handelt, schlägt es vor, dass es auf die sofortige Entlassung verzichtet hat oder dass es die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum ordentlichen Ablauf des Vertrages akzeptieren kann.
- Die Umstände des Einzelfalls bestimmen die Frist, innerhalb derer von der betreffenden Person vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie die Entscheidung über die sofortige Kündigung des Vertrages trifft. Generell ist die Rechtsprechung der Ansicht, dass eine Reflexionsfrist von zwei bis drei Arbeitstagen ausreicht, um rechtliche Informationen zu reflektieren und aufzunehmen. Eine zusätzliche Frist wird toleriert, wenn sie durch die praktischen Erfordernisse des täglichen und wirtschaftlichen Lebens gerechtfertigt ist; eine Verlängerung um einige Tage kann somit gewährt werden, wenn die Entscheidung von einem mehrköpfigen Organ innerhalb einer juristischen Person getroffen werden muss oder wenn der Vertreter des Arbeitnehmers gehört werden muss.
- Es ist auch zu unterscheiden, ob die Fakten klar sind oder geklärt werden müssen. Im letzteren Fall ist der Zeitaufwand für die Klärung des Sachverhalts zu berücksichtigen, wobei festgelegt ist, dass ein Arbeitgeber, der konkret den Verdacht auf das Vorliegen einer gerechten Ursache hat, unverzüglich und kontinuierlich alle Maßnahmen ergreifen muss, die vernünftigerweise von ihm zur Klärung der Situation verlangt werden können. In einigen Fällen kann es notwendig sein, geheime Untersuchungen durchzuführen.
- Darüber hinaus muss der Arbeitgeber je nach Art des Verdachts (z. B. sexuelle Belästigung) vorsichtig vorgehen und eine Vorstrafe vermeiden.
- Angesichts der schwerwiegenden Folgen einer sofortigen Kündigung muss der Arbeitgeber in der Lage sein, den Sachverhalt sorgfältig oder zumindest in einer Weise darzulegen, die sich der Überprüfung von Gerichtsverfahren widersetzt, wobei er darauf achten muss, den Ruf des Arbeitnehmers nicht durch vorzeitige Verurteilung zu schädigen.
Beurteilung durch das Bundesgericht
Der Arbeitnehmer bestritt vor Bundesgericht im Entscheid (4A_333/2023 vom 23. Februar 2024) nicht, dass er sich Zugang zum Computer der Direktorin verschafft und deren private Akten durchsucht hat, ebenso wie die anderer Mitarbeiter und Schüler. Er behauptete aber, dies mit dem Ziel getan zu haben, seine Arbeitgeberin auf eine „Schwachstelle“ in ihrem Computersystem aufmerksam zu machen, durch die zahlreiche persönliche Daten von Angestellten zugänglich gemacht wurden, und Beispiele dafür geliefert zu haben.
Keine der Kritikpunkte des Arbeitnehmer würden es aber rechtfertigen, von der Begründung des kantonalen Gerichts abzuweichen. Der Arbeitnehmer habe nämlich immer wieder wiederholt, dass die strittigen Daten frei zugänglich gewesen waren und er somit keine Straftat begangen habe, indem er sie eingesehen hat, was in den Augen des kantonalen Gerichts jedoch nicht entscheidend gewesen sei. Die Tatsache, dass die Arbeitgeberin wusste oder wissen musste, dass der Computer der Direktorin durch ein dem Arbeitnehmer bekanntes Passwort geschützt war, reiche nicht aus, um die Analyse des kantonalen Gerichts zu entkräften, dass der gerechte Grund für die fristlose Kündigung nicht in der Frage lag, auf welche Weise oder mit welcher Berechtigung der Arbeitnehmer auf die Dateien zugegriffen hatte, einschliesslich der sensiblen oder höchstpersönlichen Daten der Direktorin, der Lehrer oder der Schüler, sondern darin, dass sein Verhalten weit über eine „ungesunde Neugier“ hinausging, dass es unzulässig und geeignet war, das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen der Arbeitgeberin und ihm zu zerstören.
Die Tatsache, dass der Zugang zum Computer der Schulleiterin möglich sei, gebe dem Arbeitnehmer nämlich nicht das Recht, sich dort hineinzuwagen und Informationen zu entnehmen, sie zu speichern und damit zu drohen, sie gegen die Schulleiterin einzusetzen.
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Autor: Nicolas Facincani
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