Gemäss Art. 337 OR kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen (Abs. 1). Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf (Abs. 2). Über das Vorhandensein solcher Umstände entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (Abs. 3).

Nach der Rechtsprechung zu Art. 337 OR ist eine fristlose Entlassung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Diese müssen einerseits objektiv geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist, und anderseits auch tatsächlich subjektiv zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben. Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein (BGE 130 III 28 E. 4.1, 213 E. 3.1; 129 III 380 E. 2.1 mit Hinweisen). Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwere erreicht, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (BGE 127 III 153 E. 1a; 116 II 145 E. 6a).

 

BGer 4A_353/2024 vom 8. November 2024

Das Bundesgericht hatte sich im Entscheid BGer 4A_353/2024 vom 8. September 2024 mit einer fristlosen Kündigung im Zusammenhang mit einer Fehler im Zeiterfassungssystem auseinanderzusetzen. Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Arbeitnehmer war seit dem 1. Juni 2015 bei der Arbeitgeberin als Chemielaborant angestellt. Sein Beschäftigungsgrad von anfänglich 20 Stunden erhöhte sich per 17. August 2015 auf 32 Wochenstunden und per 1. Mai 2017 auf 40 Wochenstunden zuzüglich Vorholzeit. Das monatliche Fixgehalt ab 1. Mai 2017 betrug Fr. 5’500.– und erhöhte sich im April 2018 auf Fr. 5’610.–, jeweils zuzüglich einer Jahresendzulage (13. Monatslohn). Nach der letzten Erhöhung des Beschäftigungsgrades per 1. Mai 2017 wurde die Sollarbeitszeit im Zeiterfassungssystem der Arbeitgeberin versehentlich nicht angepasst und der Arbeitnehmer erbrachte die vereinbarte Sollarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche nicht. Unabhängig davon erhielt er von der Arbeitgeberin den Lohn für ein Arbeitspensum von 40 Stunden pro Woche. Am 24. Januar 2019 bemerkte die Arbeitgeberin den Fehler im Zeiterfassungssystem, worauf sie den Arbeitnehmer zu einem Personalgespräch auf den 1. Februar 2019 aufbot. Anlässlich dieses Gesprächs gab dieser zu, seit Anfang November 2018 vom Fehler im Zeiterfassungssystem gewusst zu haben. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer fristlos per 1. Februar 2019

 

Entscheid der Vorinstanz

Die Vorinstanz erwog, die am 1. Februar 2019 ausgesprochene fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei ohne einen objektiv wichtigen Grund gemäss Art. 337 OR erfolgt. Sie überprüfte dabei zwei infrage stehende Gründe:

Zum einen sei eine absichtliche oder böswillige Schädigung der Beschwerdeführerin durch eine Bereicherung des Beschwerdegegners infolge der unterlassenen Erhöhung des Pensums seit Mai 2017 nicht erstellt. Gemäss Aktenlage habe der Beschwerdegegner die falsche Sollzeiteinstellung im Zeiterfassungssystem der Beschwerdeführerin erst anfangs November 2018 bemerkt. Ob er den Fehler schon früher bemerkt habe oder hätte bemerken können, sei nicht erstellt. Ein von der Beschwerdeführerin gestützt auf das Kündigungsprotokoll vom 22. Februar 2019 geäusserter Verdacht wurde vom Beschwerdegegner bestritten. Die beweisbelastete Beschwerdeführerin blieb den Beweis hierfür schuldig. Die Vorinstanz erwog weiter, dass die Berechnung des Überstundensaldos bei vertragskonformer Erbringung der Arbeitsleistung für die Frage des Kündigungsgrundes nicht entscheidrelevant sei, da die Beschwerdeführerin eine Anhäufung von Minusstunden sowie eine Unterschreitung der Kernarbeitszeit toleriert und nie abgemahnt habe.

Zum anderen rechtfertige gemäss Vorinstanz auch das Unterlassen einer Meldung des Fehlers im Zeiterfassungssystem nach dessen Entdeckung durch den Beschwerdegegner die fristlose Kündigung nicht. Sein Verhalten mit der Absicht, „alles so weiterlaufen zu lassen“, um namentlich nicht mit Lohnrückzahlungen konfrontiert zu werden, sei zwar als Treuepflichtverletzung im Sinne von Art. 321a Abs. 1 OR zu werten. Die unterlassene Meldung sei indes objektiv nicht geeignet, das Vertrauensverhältnis zu zerstören und eine Weiterbeschäftigung unzumutbar zu machen. Aufgrund des Alters des Beschwerdegegners von damals 27 Jahren, seiner Arbeit als Chemielaborant mit flexiblem Gleitzeitmodell, mit welcher die Beschwerdeführerin stets zufrieden gewesen sei, sowie den Umständen, dass die Kontrolle der Arbeitsleistung und der Arbeitszeiten des Beschwerdegegners eine Pflicht der Arbeitgeberin gemäss Art. 328 OR darstelle, die Verletzung der Kernarbeitszeiten durch den Beschwerdegegner von der Beschwerdeführerin toleriert bzw. nie abgemahnt worden sei, der Fehler im Zeiterfassungssystem von der Beschwerdeführerin als Arbeitgeberin zu verantworten gewesen sei und dem Beschwerdegegner kein aktives Fehlverhalten vorgeworfen werden könne, wäre es verhältnismässig gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist von zwei Monaten abzuwarten.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht schützte den kantonalen Entscheid: Die Ermessensausübung der Vorinstanz hinsichtlich des Fehlens eines objektiv wichtigen Kündigungsgrundes halte der Überprüfung vor Bundesgericht stand. Bei diesem Ergebnis könne offen bleiben, ob – wie die Vorinstanz ebenfalls erwog – die unterlassene Meldung des Fehlers im Zeiterfassungssystem von der Arbeitgeberin als Kündigungsgrund ungerechtfertigterweise nachgeschoben worden sei. Ebenfalls nicht weiter zu prüfen sei, ob das Verhalten des Arbeitnehmers auch tatsächlich subjektiv zu einer Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt habe und ob die diesbezügliche Beweiswürdigung der Vorinstanz einer Willkürprüfung standhalten würde. Auf die entsprechenden Rügen der Beschwerdeführerin brauche nicht eingegangen zu werden:

2.4.1. Die Beschwerdeführerin hält der Vorinstanz hinsichtlich der als Kündigungsgrund behaupteten absichtlichen Schädigung vor, in ihrem Ermessensentscheid die „Evidenz“ der Schädigungsabsicht des Beschwerdegegners bzw. die Kenntnis des Fehlers im Zeiterfassungssystem während 1.5 Jahren nicht berücksichtigt zu haben; da bei einem flexiblen Arbeitszeitmodell es „vollkommen realitätsfremd“ sei, dass der Beschwerdegegner auch gestützt auf die monatlichen Auszüge des Zeitsaldos den Fehler nicht hätte bemerken müssen. Mit diesen Vorbringen begründet die Beschwerdeführerin zwar, inwiefern aus den Umständen ein anderer Rückschluss auf das Wissen des Beschwerdegegners vertretbar ist und unter Würdigung der Arbeitsrealität eines Arbeitnehmers mit einem Gleitzeitmodell gar vorzuziehen wäre. Damit zeigt sie indes nicht auf, inwiefern die gegenteilige Würdigung der Vorinstanz, diese Kenntnis des Beschwerdegegners vor der festgestellten Entdeckung des Mangels im November 2019 und eine Schädigungsabsicht sei unbewiesen geblieben, geradezu willkürlich ist.  

2.4.2. Gemäss der Beschwerdeführerin habe die Vorinstanz in Verletzung ihrer Begründungspflicht und des Rechts auf Beweis bei der Prüfung der Schwere der Treuepflichtverletzung unberücksichtigt gelassen, dass der Beschwerdegegner in Kenntnis der fehlerhaften Sollzeitarbeit und der zu wenig erbrachten Arbeitsleistung eine Lohnerhöhung gefordert haben soll. Diese Rüge ist insoweit unbegründet, als dass aus dem angefochtenen Entscheid zumindest in den Grundzügen zu entnehmen ist, dass die Vorinstanz hierzu als Beweise das Kündigungsprotokoll sowie die Zeugenbefragung der Personalleiterin der Beschwerdeführerin würdigte, diese in der Beweiswürdigung berücksichtigte und die behauptete Anfrage nach einer Lohnerhöhung als unbewiesen erachtete. Damit hat sie ihre Überlegungen begründet, von denen sie sich hat leiten lassen und die Beschwerdeführerin konnte in voller Kenntnis der Tragweite diese Begründung anfechten (vgl. BGE 143 III 65 E. 5.2, mit Hinweisen). Von einer Verletzung der Begründungspflicht als Teil des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV kann somit keine Rede sein. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin zielen auf das Ergebnis der Beweiswürdigung ab. Es gelingt ihr dabei nicht aufzuzeigen, inwiefern die Vorinstanz in Willkür verfallen sein soll, wenn sie bei der Würdigung der Beweismittel die Rolle der Personalleiterin berücksichtigte. Sie hält diesem Umstand einzig entgegen, die Glaubwürdigkeit des Beschwerdegegners sei ebenfalls vermindert, da er die Beschwerdeführerin hintergangen haben soll. Das allein lässt die Würdigung der Vorinstanz nicht als offensichtlich unrichtig erscheinen.   

2.4.3. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin zielen im Kern darauf ab, die (unstrittige) Treuepflichtverletzung des Beschwerdegegners im Verhältnis zu der ihr selbst zum Vorwurf erhobenen Verletzung der Kontrollpflichten schwerer zu gewichten. Dass ihre diesbezügliche eigene Gewichtung von der Beurteilung der Vorinstanz abweicht, belegt keine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung (oben E. 2.1). Es erscheint nicht offensichtlich unbillig, wenn die Vorinstanz die Frage der Überprüfung der Einhaltung der Kernarbeitszeit und den Fehler im Zeiterfassungssystem dem Verantwortungsbereich der Beschwerdeführerin zurechnete und daraus den Schluss zog, es wäre ihr zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis bis zum ordentlichen Kündigungstermin fortzusetzen. Wohl mag die Würdigung der Umstände durch die Beschwerdeführerin durchaus vertretbar sein, indessen bringt sie zu wenig vor, als dass anzunehmen wäre, das gegenteilige Ergebnis der Vorinstanz sei derart stossend, dass ein Eingreifen des Bundesgerichts in die vorinstanzliche Ausübung des Ermessens angezeigt wäre.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

 

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